ThyssenKrupp: Übersee-Stahlwerke entpuppen sich als Ladenhüter
Unterschiedliche Preisvorstellungen, technische Probleme sowie eine unklare politische Gemengelage erschweren einen Abschluss eines Verkaufs der Übersee-Stahlwerke von ThyssenKrupp . So kann Vorstandschef Heinrich Hiesinger immer noch keinen Vollzug für den im Mai 2012 eingeleiteten Prozess melden.

Zunächst stießen die Werke in Brasilien und den USA auch auf reges Interesse, denn schon nach einigen Monaten ließ ThyssenKrupp durchblicken, dass es mehr als eine Handvoll Interessenten gebe. Im Februar dieses Jahres stellte Hiesinger dann einen Verkauf bis Mai in Aussicht. Doch der Optimismus ist verflogen. Unklar ist, ob der Konzern die Werke wie geplant in dem bis Ende September laufenden Geschäftsjahr 2012/13 abstoßen kann. Selbst ein Scheitern des Verkaufs erscheint nicht ausgeschlossen. Vor allem das Werk in Brasilien wird zur Hängepartie.
Zwölf Milliarden Euro haben die Anlagen in Rio de Janeiro und im US-Bundesstaat Alabama gekostet. Rund 4000 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Nach diversen Abschreibungen stehen die Anlagen noch mit 3,4 Milliarden Euro in den Büchern. Der Verkaufserlös könnte deutlich niedriger ausfallen. Nomura-Analyst Neil Sampat rechnet mit einen Erlös von bis zu 2,5 Milliarden Euro. Vor wenigen Wochen schien eine Veräußerung an den brasilianischen Stahlkonzern CSN nur eine Frage der Zeit zu sein. ThyssenKrupp erklärt, mit einem führenden Bieter in fortgeschrittenen Verhandlungen zu sein. Der Konzern strebe einen "zeitnahen" Abschluss an. Was das Management unter dem Begriff versteht bleibt offen. Denn es hakt immer wieder. Es sei zwar etwas Bewegung in den Prozess gekommen, mit einer kurzfristigen Entscheidung aber nicht zu rechnen, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters. Hinzu kommt, dass selbst nach einem Abschluss wohl noch Monate vergehen, ehe die Behörden grünes Licht geben.
Komplizierte Struktur in Brasilien erschwert Verkauf
Vor allem bei dem Werk in Brasilien reißen die Probleme nicht ab. Die ursprüngliche Strategie von Steel Americas ist längst gescheitert. Die Anlage in Brasilien sollte billig Rohstahl produzieren, der in den USA zu Blechen weiterverarbeitet und mit einem gehörigen Preisaufschlag an die Automobilindustrie verkauft werden sollte. Die steigenden Löhne und die zunehmende Stärke der Landeswährung in Brasilien machten die Rechnung des alten Vorstands zunichte.
Zudem standen die Autokonzerne in den USA nicht Schlange, um von ThyssenKrupp beliefert zu werden. Als habe es bei dem Werk nicht schon genug Pannen gegeben, musste ThyssenKrupp mitten im Verkaufsprozess einen der beiden Hochöfen im Mai wegen "Prozessinstabilität" abschalten. Seit Ende Juni wird er wieder hochgefahren. Bereits beim Bau der Stahlschmiede in einem Sumpfgebiet im Bundesstaat Rio de Janeiro hatte ThyssenKrupp Unsummen verbrannt. Erschwert wird der Verkaufsprozess durch die komplexe Struktur bei der Anlage, an der der brasilianische Rohstoffkonzern Vale 27 Prozent hält.
ThyssenKrupp bestätigt, dass an den Gesprächen Vale, die staatliche Entwicklungsbank BNDES und Regierungsstellen beteiligt sind. Die Regierung hat derzeit allerdings alle Hände mit den Massenprotesten gegen steigende Preise und Korruption zu tun. Das Stahlwerk dürfte für sie nicht ganz oben auf der Agenda stehen. Auch dadurch drohen weitere Verzögerungen.
Vale hat Schlüsselrolle Konzern kann Verkauf blockieren
Vale verfüge über ein exklusives Lieferrecht für das Werk in Brasilien, schrieb Warburg-Research-Analyst Björn Voss in einem Marktkommentar. Darüber hinaus seien die brasilianische Regierung und die BNDES als potenzielle Kreditgeber für Interessenten im Spiel. Neben den vielen Parteien seien wohl auch die technischen Probleme mit dem Hochofen Ursache für die jüngsten Verzögerungen. "Die potenziellen Käufer dürften nicht bereit gewesen sein, einen Abschluss zu unterzeichnen, bevor der Betrieb wieder einwandfrei läuft." Der Hochofen müsse stabil laufen und eine Leistung vorweisen, bevor sich potenzielle Käufer auf einen Abschluss einließen. "Zeitlich liegen wir damit bei Ende August."
Auch ein Berater von ThyssenKrupp verwies gegenüber Reuters auf die komplizierte Gemengelage in Brasilien. Vale habe die Hand drauf und könne einen Abschluss blockieren. Ein Verkauf an CSN bereite Vale Bauchschmerzen, da es sich um einen direkten Konkurrenten handele. Gegen den Widerstand von Vale werde CSN nicht zugreifen. Es sei daher möglich, dass ein Deal scheitert. Vale selbst hatte vor einem Jahr erklärt, seinen Anteil zwar aufstocken zu können, eine Übernahme aber nicht anzustreben. In Bankenkreisen gilt als möglich, dass sowohl Vale als auch CSN und ThyssenKrupp künftig je rund 33 Prozent an dem Werk halten. ThyssenKrupp-Finanzchef Guido Kerkhoff ist nach eigenen Angaben für verschiedene Modelle offen - am liebsten hätte er aber gerne Cash, sagt er. Der ehemalige Manager der Deutschen Telekom führt für ThyssenKrupp die Verhandlungen.
Ein Scheitern des Verkaufs würde auch Folgen für die Überlegungen Hiesingers im Hinblick auf eine Kapitalerhöhung haben. Der ThyssenKrupp-Chef hatte diese im Mai für die nächsten sechs bis neun Monate nicht ausgeschlossen. Allerdings müsse vor einer Entscheidung Steel Americas verkauft werden. "Niemand investiert, bevor nicht alles geklärt ist", sagte auch eine Person aus dem Kreis der Anleger des Konzerns Reuters. Es gebe weder eine Entscheidung noch konkrete Pläne für eine Kapitalerhöhung, betont ThyssenKrupp. Hinter den Kulissen werde diese aber vorbereitet, sagte ein Insider. ThyssenKrupp ist unter Druck. Auf dem Unternehmen lasten Schulden von fünf Milliarden Euro. Genauso hoch war im Geschäftsjahr 2011/12 der Nettoverlust. Hauptgrund: Die Stahlwerke in Übersee.