Siemens verkauft NSN-Anteil für 1,7 Milliarden an Nokia
Siemens -Chef Peter Löscher ist eine weitere Problemsparte los. Nach langer Käufersuche veräußert Siemens seinen 50-Prozent-Anteil am Telekom-Ausrüster Nokia Siemens Networks überraschend an den Partner Nokia.

Siemens ist ein Konzern im Dauer-Umbau. Entsprechend verändert sich auch das Produkt-Portfolio ständig: Gestartet als Telegraphen-Bau-Anstalt hatte das Technologieunternehmen im Laufe seiner gut 165-jährigen Geschichte zeitweise auch Mobiltelefone, Automobilelektronik oder Speicherchips im Angebot. Immer wieder trennten und trennen sich die Münchner von Geschäftsfeldern, auch um Geld zu sparen. Den Halbleiterhersteller Infineon etwa gliederte Siemens um die Jahrtausendwende aus. Nächste Woche geht der Leuchtmittelbauer Osram an die Börse. Am Montag kündigte Siemens an, seinen Anteil am Netzwerk-Gemeinschaftsunternehmen NSN an den finnischen Partner Nokia zu verkaufen. Der Konzern will sich künftig stärker auf die Felder Energietechnik, Industrie, Infrastruktur und Gesundheitswesen konzentrieren.
Investoren reagierten dementsprechend erleichtert auf den am Montag verkündeten Deal: "Das Undenkbare ist endlich geschehen", schrieben die Analysten von Morgan Stanley in einem Kommentar. Obwohl die Münchner mit einem Preis von 1,7 Milliarden Euro weniger kassieren als von manchen erwartet, war die Siemens-Aktie mit einem Plus von 2,6 Prozent größter Gewinner im Leitindex DAX. Die Titel des krisengeschüttelten Handyherstellers Nokia sprangen in Helsinki sogar um 6,8 Prozent in die Höhe.
Fokussierung auf das Kerngeschäft
"Mit dem Verkauf unseres NSN-Anteils treiben wir die Fokussierung auf unser Kerngeschäft weiter konsequent voran", erklärte Siemens-Finanzchef Joe Kaeser. Der Konzern, der sich auf das Geschäft mit Energietechnik, Industrie und Infrastruktur sowie Gesundheitstechnik konzentrieren will, hat vor kurzem die Mehrheit an der Leuchtmittel-Tochter Osram an seine Aktionäre verschenkt. Mehrfach hat Siemens auch schon versucht, sich vom 2007 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen NSN zu trennen, das im vergangenen Jahr gut 13 Milliarden Euro Umsatz machte - doch Finanzinvestoren winkten wiederholt ab.
In den Augen von Experten bleibt NSN trotz seiner dritten Sanierungsrunde und des Abbaus tausender Stellen ein Problemfall. Die Einschnitte hatten NSN zwar für drei Quartale in Folge in die Gewinnzone gebracht, zuletzt zeigte das Unternehmen nach einem Umsatzknick allerdings wieder Schwäche und kam gerade auf eine schwarze Null. Die europäischen Netzwerkbauer NSN, Ericsson und Alcatel Lucent stehen in scharfen Wettbewerb mit chinesischen Anbietern wie Huawei und ZTE.
Einige Börsianer hatten den Unternehmenswert von NSN höher angesetzt als die nun von Siemens und Nokia festgelegten 3,4 Milliarden Euro. Morgan Stanley hatte das Unternehmen sogar auf bis zu 6,5 Milliarden Euro taxiert. "Trotzdem ist weitaus bedeutender, dass Siemens den Fall nun erledigt hat", stellten die Analysten der US-Bank fest. Die DZ-Bank-Analysten bewerteten die Summe von 1,7 Milliarden Euro für die Hälfte des Unternehmens als fairen Preis, sie hatten lediglich 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro veranschlagt.
Bei Siemens habe der Anteil mit 1,5 Milliarden Euro in den Büchern gestanden, hatte es zuletzt in der Branche geheißen. Ein Konzernsprecher wollte sich am Montag nicht dazu äußern. Auf die Frage nach dem Gewinnziel von Siemens verwies er lediglich auf die Anfang Mai gesenkte Prognose von 4,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2012/13, das im September abläuft.
Teil der Kaufsumme wird als Kredit gewährt
Siemens bekommt das Geld von Nokia nicht auf einen Schlag, sondern erlaubt dem verlustträchtigen Handyhersteller Ratenzahlung: Zum Abschluss der Transaktion voraussichtlich im dritten Quartal zahlt Nokia nur 1,2 Milliarden Euro in bar. Über die restlichen rund 500 Millionen Euro gewährt Siemens den Finnen ein besichertes einjähriges Darlehen.
Der einstige Handy-Pionier Nokia hat auf diesem Gebiet den Anschluss an die Rivalen Apple und Samsung verloren. Die Einnahmen brachen im Auftaktquartal weiter ein. Die Lage ist so dramatisch, das Branchenexperten die Komplettübername des kriselnden NSN-Netzwerkgeschäfts als Erleichterung ansehen: "Mit dieser Transaktion kauft sich Nokia eine Zukunft, unabhängig davon, was im Smartphone-Geschäft passiert", kommentierte Pierre Ferragu vom Analysehaus Bernstein.
Nokia setzt große Hoffungen darauf, dass Mobilfunkanbieter weltweit ihre Netze auf den neuen Standard LTE aufrüsten lassen - hier sei NSN gut positioniert. "Nokia ist mit diesen Entwicklungen sehr zufrieden und wird NSN unterstützen, zusätzlichen Wert innerhalb der Nokia-Gruppe zu schaffen", erklärte Nokia-Chef Stephen Elop. Was die Zukunft der Tochter angehe, halte sich Nokia jedoch alle Optionen offen, sagte Elop in einer Telefonkonferenz. Die in Finnland ansässige NSN-Führung mit Rajeev Suri an der Spitze bleibe an Bord. NSN will außerdem eine starke regionale Präsenz in Deutschland, einschließlich München, behalten", versprach Nokia. An dem laufenden Konzernumbau ändere sich nichts.
Die Entscheidung stieß auf das Wohlwollen der deutschen Arbeitnehmer. "Das NSN an Nokia geht, ist aus Sicht der IG Metall die beste Lösung", sagte ein Gewerkschaftssprecher in München. Die IG Metall sei erleichtert darüber, dass das Unternehmen nicht an Finanzinvestoren oder einen aggressiven Rivalen aus Asien gehe.
Neuer Windenegie-Chef
Zusätzlich beruft Siemens für die problemgeschüttelte Windenergie-Sparte einen neuen Chef: Markus Tacke, bisher im Konzern für das weltweite Geschäft der industriellen Stromerzeugung verantwortlich, löse zum 1. August Felix Ferlemann als CEO der Division Wind Power ab. Ferlemann verlasse Siemens im gegenseitigen Einvernehmen. Das Geschäft mit Windenergie bereitete dem Technologiekonzern im vergangenen Jahr viel Kummer: Siemens verpatzte den rechtzeitigen Anschluss von Windparks in der Nordsee und musste eine halbe Milliarde Euro Strafe zahlen.
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Ein Überblick über die Siemens-Geschäftsbereiche
Im Folgenden finden Sie ein Überblick über die wichtigsten Siemens-Geschäftsbereiche und jüngste Veränderungen:
Energietechnik
Im Sektor Energy bietet Siemens Produkte und Dienstleistungen zur Erzeugung, Übertragung und Verteilung elektrischer Energie oder zur Gewinnung und zum Transport von Öl und Gas. Zum Geschäftsfeld zählt auch die Windenergie, die im vergangenen Jahr viel Kummer bereitete. Siemens verpatzte den rechtzeitigen Anschluss von Windparks in der Nordsee und musste eine halbe Milliarde Euro Strafe zahlen. Zudem drückt verstärkt asiatische Konkurrenz auf den Markt für Transformatoren.
Siemens reagierte auf den wachsenden Preisdruck mit dem Abbau Tausender Arbeitsplätze. Die Stellenstreichungen gehören ebenso wie der Verkauf mehrerer Geschäftssparten zu einem konzernweiten Sparprogramm, mit dessen Hilfe Vorstandschef Peter Löscher die jährlichen Kosten bis 2014 um sechs Milliarden Euro drücken und eine Rendite von mehr als zwölf Prozent erreichen will. Der Verkauf des verlustreichen Solargeschäfts scheiterte indes; die Sparte wird bis Frühjahr kommenden Jahres geschlossen. Mit dem missratenen Ausflug ins Solargeschäft versenkte Siemens insgesamt rund eine Milliarde Euro.
Industrieausrüstung
Im Sektor Industry sind die Geschäfte mit Automatisierungs-, Schalt- und Antriebstechnik sowie Industriesoftware gebündelt. Die schwache Industriekonjunktur bereitet Siemens Sorgen, denn das Geschäft mit Fabrikausrüstung läuft sowohl in China als auch in den USA nicht so wie erhofft. In Europa herrscht Dauerkrise. Erholung ist für Siemens im weiteren Jahresverlauf kaum in Sicht. Das Geschäft mit Computerprogrammen für die Industrie hatten die Münchner in den vergangenen Jahren stark ausgebaut: Seit 2007 wurden elf Software- und IT-Spezialisten für insgesamt mehr als vier Milliarden Euro gekauft, zuletzt eine belgische Softwareschmiede.
Medizintechnik
Der Sektor Healthcare, der vor Jahren mit einer Reihe von Zukäufen gestärkt wurde, bietet Technologien zur Bildgebung, Diagnose und Therapie an. Bei Kernspin- und Computertomographie etwa ist Siemens der Platzhirsch. Konkurrent General Electric (GE) will den Münchnern Marktanteile abjagen - auch über Zukäufe.
Infrastrukturtechnik
Zum Sektor Infrastructure & Cities (I&C) hat Siemens Technologien für Ballungsräume zusammengefasst; dazu gehören etwa Gebäude- und Sicherheitstechnik, Stromverteilung, aber auch Signal- und Leittechnik im Schienenverkehr, Mautsysteme oder Verkehrssteuerung in Parkhäusern. Das Geschäft mit Sortieranlagen für Postzentren und Flughäfen wirft nach Löschers Geschmack zu wenig Rendite ab und soll verkauft werden. Auch die Wasseraufbereitungstechnik will der Vorstandschef loswerden. Immer wieder tauchen Spekulationen auf, Siemens könnte auch seine Verkehrs- und Sicherheitstechnik sowie sein Geschäft mit Mittel- und Niederspannungssystemen abstoßen, womöglich auch die Gebäudetechnik. Von Investoren wird der Sektor mitunter als "Resterampe" geschmäht. Zu dem Segment gehört außerdem die Bahntechnik, die Siemens immer wieder Negativschlagzeilen und Schelte von allen Seiten einbringt. Die Deutsche Bahn muss wegen wiederholter Lieferproblemen auf neue ICE-Züge warten, auch bei den Eurostar-Zügen für den Tunnel unter dem Ärmelkanal gibt es Probleme. Die Pannenserie kostet die Münchner im ersten Geschäftshalbjahr mindestens 230 Millionen Euro. Auf der anderen Seite erweiterte Siemens sein Geschäft mit Signal- und Leittechnik durch die milliardenschwere Übernahme der Bahntechniksparte der britischen Invensys.