Siemens: Ein Weltmarktführer sieht anders aus

Der Nachfolger von Peter Löscher im Amt als Siemens-Konzernchefs, aller Voraussicht nach der ehrgeizige Finanzchef Joe Kaeser, steht vor schwierigen Aufgaben.

Siemens: Ein Weltmarktführer sieht anders aus

Vor allem muss Kaeser, ein Siemens-Veteran mit mehr als 30 Dienstjahren auf dem Buckel, den ramponierten Ruf der Münchner als Qualitätshersteller wiederherstellen. Die lange Serie von technischen Patzern unter Löscher hat das Image schwer leiden lassen. Als Kaufmann versteht Kaeser viel von Zahlen und Finanzkniffen. Doch um den Ingenieurkonzern wieder auf Vordermann zu bringen, erfordert es mehr. Experten rechnen damit, dass Kaeser die Sektorchefs seines Hauses stärker in die Pflicht nehmen wird. Für die Ingenieure und Physiker an der Spitze der vier Hauptsegmente Industrie, Energie, Medizintechnik und Infrastruktur & Städte dürfte es ungemütlicher werden. Nicht umsonst hat Kaeser den Titel "I can't get no satisfaction" von den Rolling Stones als Klingelton auf seinem Handy.

Zudem steht Kaeser vor einem Wachstumsproblem. Der Konzern schrumpft, und von der Konjunktur ist bei diesem Problem keine Hilfe zu erwarten. Weiterhin stehen nach der Abspaltung von Osram auch Geschäftsbereiche wie die Wassertechnik oder die Sortieranlagen zum Verkauf. Auf absehbare Zeit dürfte Siemens auch durch den laufenden Stellenabbau weiter schrumpfen. Doch eine Nischenexistenz ist für den Konzern mit 320.000 Mitarbeiter keine Perspektive. Dafür ist der Wettbewerbsdruck von den angestammten Rivalen GE, ABB oder Philips zu groß. Und in Asien erstehen immer wieder neue, noch gefährlichere Gegner.

Zwei Beispiele zeigen eindrücklich, wie Siemens vor lauter Selbstbeschäftigung mit Renditen und Sparprogrammen die Konkurrenz unterschätzt hat. Lange Zeit war für die Münchner das Geschäft mit großen Transformatoren eine sichere Bank. Doch plötzlich bröckelten die Absatzzahlen, vor allem in Asien. Koreanische Konkurrenten wie Hyundai Heavy rollten mit Kampfpreisen der Markt auf. Siemens konnte nicht mehr mithalten und baute tausende Stellen ab.

Im Innovationsbereich stahlen die Schweizer den Ingenieuren in Erlangen und München die Schau. Im zukunftsträchtigen Geschäft mit Hochspannungsgleichstromleitungen (HGÜ) fehlte der gesamten Industrie lange Zeit der Stein der Weisen: ein funktionierenden Sicherungsschalter für die enormen Spannungen. Siemens räumte ein, der Erfinder dieses Bauteils werde sich "eine goldene Nase" verdienen. Wenige Monate später präsentierte ABB triumphierend genau diese Sicherung. Siemens hat dem bis heute nichts entgegenzusetzen.

Den Aufsichtsrat im Genick

Für Kaeser stellt sich auch die Frage nach der Unterstützung durch den Aufsichtsrat. Auf den Treffen am Wochenende hatte er Kreisen zufolge eine ordentliche Mehrheit hinter sich. Doch ob er langfristig auf die Hilfe des umstrittenen Aufsichtsratschefs Gerhard Cromme setzen kann, ist ungewiss. Durch die Absetzung seines Schützlings Löscher hat sich Cromme eine Atempause verschafft. Doch ob sich der 70-Jährige langfristig an der Spitze des Kontrollgremiums halten kann, ist angesichts der vergangenen Querelen bei Siemens und zuvor bei ThyssenKrupp fraglich.

So mancher Aufsichtsratskollege ist des einstigen Stahlmanagers überdrüssig. Viele Aktionäre lasten die Probleme bei Siemens auch seiner Personalpolitik an. Auf der vergangenen Hauptversammlung legten Fondsmanager und Kleinanleger Cromme nahe, er möge seine Nachfolge regeln. Viele wünschen sich einen Erben aus der Familie Siemens. Früher oder später wird sich Kaeser mit einem neuen Aufsichtsratschef arrangieren müssen.