Am langen Ende hat die EZB keine Chance

Die Differenz zwischen den Renditen von zwei- und zehnjährigen deutschen Bundesanleihen hat den höchsten Wert seit mehr als einem Jahr erreicht. Das signalisiert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) wohl nicht so leicht die Wirtschaft des Euroraums vor einem durch die USA ausgelösten Anstieg der Fremdkapitalkosten schützen kann.

Am langen Ende hat die EZB keine Chance

EZB-Präsident Mario Draghi hat in der vergangenen Woche zugesichert, die Leitzinsen für einen “längeren Zeitraum” niedrig zu halten, was die Renditen von Anleihen mit Laufzeiten von drei Jahren oder weniger begrenzte. Die längerfristigen Fremdkapitalkosten folgten indes den Treasuries-Renditen nach oben, nachdem die US-Notenbank ein mögliches Auslaufen des Bondkaufprogramms andeutete. Die Fremdkapitalkosten für Unternehmen im Euroraum erreichten im Juni den höchsten Wert seit acht Monaten.

“Die steilere Renditekurve im Euroraum bedeutet effektiv einen Anstieg der Finanzierungskosten sowohl für staatliche Emittenten als auch Unternehmen, ohne dass es eine entsprechende Veränderung bei der Inflation oder dem Wachstum gegeben hat”, sagte Lyn Graham-Taylor, Stratege für festverzinsliche Papiere bei Rabobank International in London. “Was Draghi gemacht hat, wird die Zinsen am kürzeren Ende beeinflussen. Sie haben derzeit kein wirksames Instrument zur Beeinflussung der langfristigen Renditen, die von der Fed getrieben werden.”

Die Differenz zwischen den Renditen von zwei- und zehnjährigen Bundesanleihen ist am 5. Juli auf 161 Basispunkte geklettert, auf Schlusskursbasis der höchste Wert seit April 2012, während sie bei spanischen Papieren zehn Basispunkte vom Jahreshoch entfernt ist. Die 30-jährigen Fremdkapitalkosten Italiens sind um fast 50 Basispunkte geklettert, seit US- Notenbankchef Ben S. Bernanke gegenüber dem Parlament am 22. Mai sagte, dass die Federal Reserve mit einer Reduzierung der Bondkäufe beginnen könnte, wenn die Wirtschaft weiter wächst.

Die Rendite von Euroraum-Unternehmensbonds kletterte laut dem Euro Corporate Index von Bank of America Merrill Lynch am 24. Juni auf 2,38 Prozent, den höchsten Wert seit dem 11. Oktober. Noch im Mai lag sie auf einem Euro-Ära-Tief von 1,72 Prozent.

EZB am langen Ende machtlos

“Wir sehen nun insgesamt einen Anstieg der Bondrenditen”, sagt Michael Leister, Stratege für Festverzinsliche bei der Commerzbank AG in London. “Es ist klar, dass die EZB in der Lage ist, das vordere Ende des Euromarktes zu schützen. Im weiteren Verlauf der Kurve wird es wegen des Einflusses von US-Treasuries auf den weltweiten Bondmarkt schwieriger.”

Während US-Daten signalisieren, dass die Konjunkturerholung an Fahrt gewinnt, tut sich Europa schwer, die längste Rezession seit Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung im Jahr 1999 hinter sich zu lassen. Den Schätzungen von Ökonomen aus einer Bloomberg-Umfrage zufolge stagnierte das Bruttoinlandsprodukt des Währungsraums im zweiten Quartal.

Für die drei Monate bis September erwarten die Volkswirte im Median einen Anstieg des BIP von 0,1 Prozent und in den folgenden zwei Quartalen eine Zunahme von 0,2 Prozent. Gleichzeitig dürfte die Arbeitslosenquote im späteren Jahresverlauf auf einen Rekordwert von 12,4 Prozent klettern.

Tradition gebrochen

Mit der Zusicherung, die Zinsen niedrig zu halten, gab die EZB eine Tradition auf, sich bezüglich der zukünftigen Geldpolitik nie “im Voraus festzulegen”. Zwar unterscheidet sich die EZB-Version einer “Forward Guidance” von der anderer Zentralbanken, welche die Entwicklung der Zinsen an bestimmte Konjunkturindikatoren oder einen bestimmten Zeitraum gebunden haben. Aber im europäischen Zentralbankbereich ist das nach Einschätzung von Analysten eine erhebliche Veränderung.

In der monatlichen Bloomberg-Umfrage unter 50 Volkswirten hatten mehr als drei Viertel der Befragten gesagt, dass die Definition von Draghi einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasse, während zehn der Meinung waren, die Dauer könne zwischen sechs Monaten und einem Jahr liegen. Die in Frankfurt ansässige EZB wird ihren Leitzins bis mindestens 2015 unverändert belassen, lautet die Medianprognose von 34 Ökonomen.

Bundesanleihen mit Laufzeiten von zehn Jahren oder länger brachten Investoren im Mai und Juni einen Verlust von 5,43 Prozent ein, verglichen mit einem Verlust von 0,62 Prozent für in maximal fünf Jahren fällige Papiere, wie Indizes von Bank of America Merrill Lynch zeigen.

Zweijährige italienische Papiere rentieren bei etwa 1,65 Prozent, verglichen mit 1,37 Prozent Anfang Mai. Die Rendite von zehnjährigen Bonds ist im gleichen Zeitraum um 50 Basispunkte auf 4,46 Prozent geklettert.

Die EZB wird möglicherweise einen neuen Ansatz erwägen müssen, um die langfristigen Fremdkapitalkosten einzudämmen, sagt Jack Kelly, Fondsmanager bei Standard Life Investments in Edinburgh. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im vergangenen Monat, dass die Währungshüter eine Politik der quantitativen Lockerung im Euroraum erwägen. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen spielte später den Bericht herunter und sagte, die Diskussion sei nicht politikrelevant.

“Es wird eine legitimere Debatte und Diskussion über QE geben als zuvor, weil die Begründung nun sein wird, die Fremdkapitalkosten im ganzen Euroraum zu drücken und nicht nur einzelne Staaten zu unterstützen”, sagt Kelly. “Die EZB wird es möglicherweise nicht anwenden müssen, die Einbeziehung von QE in ihre Wortwahl könnte ausreichen, die Renditen zu begrenzen.”

Bis dahin hüte er sich weiter vor längerfristigen Euroraum- Staatsanleihen, berichtet Kelly. “Der jüngste Beistand für die Renditen am vorderen Ende des Kernmarktes hat eine Chance geboten, zu kaufen, weil es kein Risiko einer baldigen Straffung durch die EZB gibt”, so Kelly. “Es gibt wenig, was die EZB mit ihren gegenwärtigen Instrumenten unternehmen kann, um die Auswirkungen der Fed-Politik auf die längerfristigen Marktzinsen abzuschwächen.”