Verkehrsbüro: Ein Riese zum Reisen
Nach der spektakulären Übernahme seines größten Konkurrenten Ruefa wird das Österreichische Verkehrsbüro zum einzigen Big Player der Branche, und das mit ehrgeizigen Plänen: Börsengang, Osteuropa-Expansion, Aufbruch zum Gastro-Giganten.
Schon einmal 16 Millionen Euro verloren? Wie in so einem Fall die Gefühlslage aussieht, wissen die Manager der Bayerischen Landesbank ziemlich genau. Die Herren fielen durch einen verblüffenden Deal auf: Erst kauften sie vor fünf Jahren den zweitgrößten heimischen Reiseretailer Ruefa zum branchenweit bestaunten Fantasiepreis von satten 40 Millionen Euro. Doch das Glück währte nicht ewig, und vor ein paar Monaten trennten sich die Bayern wieder vom damaligen Objekt ihrer Begierde für kolportierte 24 Millionen Euro, was doch ein bisserl weniger ist als der Kaufpreis.
Wenn Manager träumen, wird es für Mitarbeiter und Aktionäre eben manchmal teuer. Der Plan der bayerischen Banker, das Gewerkschaftsinstitut Bawag zu schlucken und mit der Fluglinie Aerolloyd und Ruefa einen Touristikkonzern aufzubauen, scheiterte kläglich. Die Bawag war nicht zu kriegen, Aerolloyd ging Pleite, und Ruefa rutschte in die Verlustzone. Nix als Pech also mit den Ösis.
An der 1947 gegründeten Ruefa (das Kürzel steht für: Reise, Urlaub, Erholung für alle) mit ihren 90 Filialen im Inland und 16 in Ungarn, Tschechien und der Slowakei hatten zuletzt etliche Konkurrenten Interesse gezeigt. Vom leicht größenwahnsinnigen Miniveranstalter Pineapple-Tours bis zu Raiffeisen Reisen. Ja, wir haben uns auch sehr für Ruefa interessiert, aber es sollte nicht sein, seufzt Raiffeisen-Reisen-Chef Fred Wellenhofer, unser Werben war wohl nicht stark genug.
An Land zog den Fisch einer, der seine Karriere einst als Campingplatzwart begonnen hatte und es inzwischen zu einem der reichsten Österreicher gebracht hat: Verkehrsbüro-Chef Hans Dieter Toth. Acht Monate lange verhandelte er mit den Bayern. Weitere drei Monate bedurfte es, ehe die Bundeswettbewerbsbehörde ihren kartellrechtlichen Segen gab. Erst jetzt beginnt der eigentliche Umbau der beiden größten heimischen Reisebüroketten zu einem einzigen Branchenriesen.
Personelle Weichen wurden bereits gestellt. Der langjährige Ruefa-Geschäftsführer Christian Bammer wurde einvernehmlich abgesägt. Es gibt natürlich Synergien, die man nützen muss, sagt Verkehrsbüro-Chef Toth. Zwei Finanzvorstände braucht es nicht. Bammers Vertrag läuft noch bis Ende April. Seine Agenden hat der ehemalige Bank-Austria-Manager Harald Nograsek übernommen. Als es im Dezember 2003 zum nicht ganz freiwilligen Abgang des früheren Verkehrsbüro-Generals Rudolf Tucek kam, galt Nograsek als Vertrauensmann des Haupteigentümers, der Bank-Austria-nahen AVZ-Stiftung, der wohl auch für kräftige Gewinnausschüttungen sorgen sollte. Ein Bild, das der jetzige Steuermann des Verkehrsbüros, Hans Dieter Toth, so nicht gelten lässt. Ich wurde nicht mit Herrn Nograsek zwangsbeglückt. Wir werden heuer zudem weniger an die Eigentümer ausschütten als im Vorjahr. Zuletzt konnten sich die Eigentümer über zehn Millionen Euro Cash jährlich freuen.
Aus eins und eins wird eins. Wie die beiden größten Reisebüroketten Österreichs im Detail fusioniert werden, ist derzeit Thema der wöchentlichen Verkehrsbüro-Vorstandssitzungen in der Wiener Dresdner Straße. Entmachtet wurde der frühere Touristikvorstand Martin Fülöp, der aus dem Vorstand ausschied. Dafür übernahm ein Ruefa-Mann als Vorstand die Führung des gesamten Touristikbereichs des jetzt doppelt so großen Verkehrsbüros.
Martin Bachlechner, bislang zweiter Vorstandsdirektor bei Ruefa, muss die künftigen Umstrukturierungen bei knapp 30 Töchtern durchziehen. Wir waren bei den Filialen in der Vergangenheit zu statisch und haben Kaufkraftzuflüsse und -abflüsse ignoriert, sagt Konzernchef Toth. Es wird daher zu einigen Filialschließungen, aber auch Neueröffnungen kommen. Ich habe die Ruefa jedenfalls sicher nicht gekauft, um sie zuzusperren.
Fest steht bislang, dass die Marken der beiden annähernd gleich großen Retailketten bestehen bleiben. Meine Kunden im Incoming sind ja seit Jahrzehnten die großen Touristikkonzerne, lächelt Toth. Ich habe gesehen, wie die Übernahmen durchziehen: Die Big Boys kaufen etwas und legen beinhart ihr System darüber. So wollen wir es nicht machen.
Auf Augenhöhe. Das Entstehen des neuen Branchenriesen mit 235 Filialen ist für den österreichischen Reisemarkt ein geradezu revolutionärer Akt. Bislang standen drei deutsche Produzenten, die Veranstalterkonzerne TUI (Marktanteil in Österreich: 45 Prozent), Thomas Cook (20 Prozent) und Rewe mit der Billigschiene BillaITS (zehn Prozent), einer Vielzahl kleiner Büros gegenüber. Die großen drei kontrollieren also 75 Prozent des Veranstaltermarktes, während auf der Handelsseite unter vielen Zwergen nur wenige größere Retailer zu finden sind: Die TUI-Reisecenter und die lose verbundenen, eigenständigen Reisebüros unter der Dachmarke Travelstar schaffen einen Marktanteil von rund zwölf Prozent, Kuoni acht Prozent, Raiffeisen Reisen drei Prozent. Das neue Verkehrsbüro Extralarge wird künftig hingegen bis zu 30 Prozent des heimischen Reisegeschäfts über den Counter bringen.
Die Reisebüros stehen jetzt nicht mehr ganz so wehrlos den Touristikkonzernen gegenüber, meint der frühere Verkehrsbüro-General Rudolf Tucek, der jetzt als Vorstand und 17-Prozent-Miteigner die Vienna International Hotelmanagement GmbH führt, die größte österreichische Hotelkette in Osteuropa. Konsequent eingesetzt entsteht bereits ab einem Marktanteil von 20 Prozent eine ziemliche Marktmacht, denn die Veranstalter können nur bei einer Auslastung von 90 Prozent profitabel operieren, meint Tucek, dessen jetziges Büro sich in Sichtweite genau ein Haus weiter von der Verkehrsbüro-Zentrale befindet. Das Problem ist nur, wenn Sie einen Lieferanten quälen wollen, brauchen Sie eine effiziente Vertriebssteuerung und einen Ersatzlieferanten. Den gibt es nicht immer.
Und was meinen die bösen, bösen Großkonzerne zum neuen Gegenüber in Augenhöhe? TUI-Holding-Boss Franz Leitner sieht die aufkeimende Handelsmacht ziemlich entspannt. Sollte es Friktionen geben, macht mir das überhaupt keine Angst. Mit einem Marktanteil von 45 Prozent genießt man eine komfortable Unabhängigkeit. Von unserem Veranstalterumsatz in Höhe von 500 Millionen Euro entfielen bislang je 50 Millionen auf Ruefa und Verkehrsbüro.
Glaubt man Leitner, wäre Ruefa um ein Haar zu TUI gekommen. Für mich war der Ruefa-Deal ja keine Überraschung. Ich hatte persönlich auch über unseren deutschen Mutterkonzern ein Angebot von den Bayern, Ruefa zu übernehmen, aber es hätte strategisch keinen Sinn gemacht. Außerdem schien mir der Kaufpreis angesichts der Ertragslage von Ruefa als viel zu hoch. Tatsächlich erwiesen sich die Ruefa-Erträge als relativ mager (2002/2003: minus 14.000 Euro, 2003/2004: 491.434 Euro).
Für TUI-Chef Leitner leitet der Ruefa/Verkehrsbüro-Merger eine Beschleunigung des Konzentrationsprozesses der Reisebürobranche ein. Der Rest der Branche wird unter Druck kommen, wenn er sich nicht selbst neu organisiert.
Für Druck sorgt auch TUI selbst, die in den letzten Jahren eher unauffällig ein großes eigenes Vertriebsnetz aufgebaut hat: 100 TUI-Reisecenter, die mit dem Konzern eng verbunden sind oder ihm gehören (45 Filialen), und weitere 130 lose Kooperationen im Rahmen der TUI-Travelstar-Gruppierung. Zudem wird TUI heuer erstmals online Pauschalreisen verkaufen. Leitner: Wir starten noch vor dem Sommer mit dem Direktverkauf übers Internet. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern herrscht da in Österreich noch Steinzeitdenken.
Die lange populäre Vorstellung von Small is beautiful scheint jedenfalls ausgedient zu haben. Größe spielt unbestritten eine wichtige Rolle, meint etwa Raiffeisen-Reisen-Vorstand Fred Wellenhofer. Es gibt Segmente, wo ohne bestimmte Mindestmengen nichts mehr geht. Das Warmwasser zum Beispiel ist fest in den Händen der Thomas Cooks & Co. Wellenhofer, der heuer bereits einen 51-Prozent-Anteil des Incoming-Agenten Pegasus erwarb, will Raiffeisen Reisen als Nischenveranstalter für hochwertige Studienreisen positionieren und ansonsten wachsen: Könnte sein, dass wir heuer weitere Mitbewerber aufkaufen.
Wenig profitables Reisegeschäft. In der öffentlichen Wahrnehmung ist das 1917 als Fahrkartenschalter für die staatlichen Bahnen gegründete Verkehrsbüro wohl auch nach dem Ruefa-Deal vor allem ein großes Reisebüro. Dabei sieht die Wirklichkeit des Konzerns mit 30 Töchtern anders aus. Nur mehr zehn Prozent der Verkehrsbüro-Gewinne stammen aus den Retailgeschäften mit Reisen und Flugtickets, obschon dort die Hälfte des Umsatzes gemacht wird. Das Geschäft mit Urlaubsträumen ist in Wahrheit wenig profitabel.
Längst hat sich daher der Konzern zum größten Hotelier Österreichs gemausert, der bereits 25 Häuser unter der Dachmarke Austria Trend Hotels betreibt und damit allein 2004 erstaunliche 9,4 Millionen Euro Gewinn nach Steuern machte. Das Hotelimperium wächst und wächst: Drei Tiroler Hotelgroßprojekte liegen derzeit fast unterschriftsreif auf dem Vorstandstisch, weitere Ferienherbergen in Slowenien, Kroatien und Polen stehen vor der Übernahme. Insgesamt plant Toth in diesem Jahr ein Investitionsvolumen von stattlichen 35 Millionen Euro.
Ein erklecklicher Teil davon entfällt auf das dritte, heimliche Standbein des Konzerns: die Gastronomie. Der Konzern betreibt nicht nur 18 Restaurants, vom Wiener Rathauskeller bis zum Café Schwarzenberg, sondern produziert täglich rund 100.000 Mahlzeiten für allerlei Kantinen. Weit gehend unbemerkt von der Öffentlichkeit entsteht hier Österreichs größte Gastronomie-Gruppe. Ende Jänner kaufte Toth den 50-Mann-Lebensmittelproduzenten Happy Snack, der unter der Marke Chefmenü für Billa und Merkur produziert. Peanuts im Vergleich zu einem anderen Großprojekt. Für 32,5 Millionen Euro mehr als die Ruefa-Übernahme verschlang lässt Verkehrsbüro-Boss Toth Österreichs größte Frischküche in Wien-Liesing bauen. Im zweiten Halbjahr 2006 wird das Megakücheninvestment in Betrieb gehen mit 250 Mitarbeitern, die täglich 100.000 Essen produzieren werden.
Nicht nur, dass das Verkehrsbüro heimlich zehntausende Österreicher bekocht, steckt es auch hinter anderen Produkten, wo man es kaum vermuten würde. Beispiel Hofer-Reisen. Hinter dem im Vorjahr gestarteten und extrem erfolgreichen Reisevertrieb des Lebensmitteldiskonters Hofer steckt niemand anderer als Hans Dieter Toth. Hofer verschickt jede Woche seine Angebotsfolder an 3,5 Millionen Haushalte. Ich habe mir gedacht, warum nützen wir diese enorme Anzahl an Kundenkontakten nicht, erinnert sich Toth und ist selbst vom Erfolg manchmal verblüfft: Wir haben zum Beispiel unter der Marke Hofer eine Studienreise nach Tibet ausgeschrieben, was ja nicht unbedingt eine gängige Destination ist. Innerhalb von fünf Tagen haben mehr als 300 Leute, vom Bankdirektor bis zum Studenten, die Reise nach Lhasa gebucht. Und sieben von zehn dieser Kunden hatten noch nie ein Reisebüro in Anspruch genommen. Erstaunlich: Über die Hofer-Vertriebsschiene wurden 2004 Reisen im Wert von 30 Millionen Euro verhökert. Heuer soll die Passagierzahl von 74.000 auf 130.000 klettern.
Ohne Frauen kein Spaß. Wer ist der Mann, der den 3400 Mitarbeiter zählenden Reise-Hotel-Gastronomie-Konzern zu neuen Ufern treibt und schon jetzt postuliert: 2006 werden wir eine Milliarde Euro Umsatz machen?
Toth, der im April 60 wird, hat einen ungewöhnlichen Aufstieg hinter sich.
Der sudetendeutsche Spross einer geflüchteten Lederfabrikanten-Dynastie war Priesterseminarist in Hollabrunn, ohne je Priester werden zu wollen. Er studierte technische Mathematik und jobbte dabei als Nachtportier im Döblinger Studentenheim, als Reiseleiter für Amerikaner und als umgänglicher Campingplatzwart im Süden Wiens, auf einem Campertreff im Übrigen, der jetzt dem Verkehrsbüro gehört.
Mit 25 hatte der junge Toth als Berufsanfänger bei Siemens schließlich ein prägendes Schlüsselerlebnis. Ich saß in einem Saal mit 16 Diplomingenieuren. Keiner hat gelacht und weit und breit keine einzige Frau. Die Vorstellung, das ein Leben lang zu machen, war einfach deprimierend, erinnert sich Toth. Der junge Mann hängte kurz entschlossen die ehrbare Akademikerkarriere an den Nagel und ging nach Kitzbühel.
Dort machte er sich mit wenig Geld selbstständig (Akademiker waren damals noch kreditwürdig) und avancierte zum wohl einzigen Skiverleiher Österreichs mit einem akademischen Grad in technischer Physik. Ich mochte Kitzbühel und habe gesehen, dass die Verleiher dort saftige Preise für miserable Skier verlangten. Da habe ich ein gutes Geschäft gesehen, obwohl mir die eingesessenen Kitzbüheler alle möglichen Prügel in den Weg warfen.
Um die flüchtige Skier-Klientel besser an seinen kleinen Verleih zu binden, vermittelt er ihnen alsbald auch Zimmer. So schlitterte Toth quasi über weiße Pisten ins Tourismusbusiness. 1980 gründete er sein eigenes Incoming-Reisebüro namens Eurotours, das inzwischen mit 100 Mitarbeitern fünf Millionen Jahresgewinn abwirft (Umsatz 124 Millionen Euro).
1999 überließ Toth schließlich Eurotours dem Österreichischen Verkehrsbüro und erhielt dafür im Gegenzug ein hübsches Aktienpaket. Nach dem Abgang Rudolf Tuceks Ende 2003 übernahm der Wahltiroler, der die Hälfte der Woche zu Ehefrau Christine nach Kitzbühel pendelt, schließlich die Führung des Reisekonzerns, von dem ihm 7,44 Prozent gehören.
Ein spannendes Ziel für das Verkehrsbüro hat der Mann mit Fortune auch schon ausgemacht. In zwei, drei Jahren soll der Verkehrsbüro-Konzern erstens aus Österreich raus nach Osten expandieren und zweitens an die Börse gehen. Das könnte den drei glücklichen Eigentümern des erfolgreichen Konzerns, dessen Wert wohl zwischen fünf und sieben Milliarden Euro liegt, noch einen warmen Geldregen bescheren.