Trotz Krisen, Krieg und Katastrophen:
Vor uns liegen 20 Jahre Boom

Warum uns Nobelpreisträger und Wirtschaftsforscher goldene Zeiten vorhersagen.

Von Franz C. Bauer, Vanessa Voss und Peter Sempelmann

Klein, ganz klein wirkten die Männer vor dem riesigen Bauwerk-oder vielmehr vor dem, was davon übrig geblieben war: ein verbogenes Stahlskelett, Betonfragmente, Rauch. Fukushima 1, einst eines der weltweit leistungsfähigsten Kernkraftwerke, ist nur noch eine strahlende Ruine, Mahnmal der Hybris. Die Aktienkurse, Seismogramme der Zukunftshoffnung, stürzten ab. Jeder, ausnahmslos jeder fühlte sich irgendwie von der Apokalypse in Japan betroffen. Die Angst, das Desaster könnte die nächste Wirtschaftskrise auslösen, geht um.

Fast auf den Tag ein Vierteljahr vor dem Beben, im fernen Davos, strahlte noch der Optimismus. Wirtschaftslenker hatten in dem noblen Schweizer Skiort als Teilnehmer des World Economic Forum 2010 versucht, Wege zu finden, um der Welt künftig Finanz- und Wirtschaftskrisen zu ersparen. Sie zeichneten ein rosiges Bild. Gerard Lyons, Chefökonom der Standard Chartered Bank, prognostizierte ein Wachstum des weltweiten Bruttosozialprodukts von derzeit 62 Billionen auf 143 Billionen US-Dollar im Jahr 2030. Jim O'Neill, Chefökonom von Goldman Sachs, sagte einen Aufschwung weit in die nächste Generation vorher. Und Edward C. Prescott, Professor für Wirtschaftswissenschaften, Berater des US-Zentralbankensystem Fed und 2044 Nobelpreisträger für seinen Beitrag zur Theorie der Wirtschaftszyklen, wagte gar den Satz: "2100 sind wir alle reich".

Was spricht für diese These?
"Zunächst einmal die historischen Erfahrungen", antwortet Nobelpreisträger Prescott. "Der Lebensstandard hat sich in den zurückliegenden 200 Jahren verbessert. Wenn man es rechnerisch auf einen Nenner bringen will, dann stellt man fest, dass der Wohlstand im Schnitt das Zwanzigfache des Werts von 1800 angewachsen ist. Der Zuwachs an Wissen hat sich nicht verlangsamt, sondern wie vieles andere beschleunigt. Der Homo sapiens ist kreativ." Eine Kreativität, die freilich auch Gefahren mit sich bringt. Hat Fukushima jetzt den erhofften, von führenden Ökonomen und dem Nobelpreisträger angekündigten Superzyklus im atomaren Feuer verbrannt?

Die Antwort auf diese Frage, gestellt an John Hawksworth, Head of Macroeconomics der weltweit führenden Wirtschaftstreuhandgesellschaft PriceWaterhouse-Copper, kam als kürzeste e-Mail, des die trend-Redaktion je erreicht hat: No, it didn't", meinte der frühere Weltbank-Berater lapidar. In seiner Studie "The World in 2050" prognostizierte er einen lang anhaltenden Zeitraum hohen, von Schwellenländern getriebenen Wachstums. Hawksworth präzisiert seine Kombination aus englischen Humor und schottischer Sparsamkeit: " Wir sprechen über eine lange Periode der Wachstumsaussichten, die sich über Jahre erstreckt. Bei aller menschlicher Tragödie, die das Beben verursachte, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass es langfristig irgendeinen dauerhaften Effekt haben wird."

Aber können Ökonomen überhaupt über so lange Perioden sprechen? Der erste, der dies tat, hieß Nikolai Dimitrijewitsch Kondratieff. Der russsische Ökonom, 1938 von Schergen der Stalin-Diktatur ermordet, formulierte die Theorie der langen Wirtschaftsperioden, der nach ihm benannten Kondratieff-Zyklen. Standard-Chartered-Ökonom Lyons, Verfasser der Studie "The Super Cacyle Report", beschreibt, was so einen Superzyklus ausmacht: "Er ist definiert durch eine Periode historisch hohen Wachstums, das eine Generation oder länger anhält und das getragen wird von zunehmendem Handel, einem hohen Investitionsgrad, der Urbanisierung und dem technologischem Fortschritt. Charakteristisch ist das Entstehen neuer, großer Volkswirtschaften." Bisher ortet Lyons zwei solcher großer Wellen.

Der Beginn des ersten Superzyklus fiel in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, er dauerte von 1870 bis 1913. In dieser Periode wuchs die Weltwirtschaft um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr. Großer Gewinner waren die USA, zuvor auf Platz vier der Weltwirtschaft, danach die führende Wirtschaftsmacht.

Kriegsgewinn
Der zweite Superzyklus begann nach dem Zweiten Weltkrieg und endete Anfang der siebziger Jahre. Auslöser war der Wiederaufbau nach dem Krieg. Die Gewinner hießen Japan und die asiatischen "Tigerstaaten". Japans Anteil an der Weltwirtschaft konnte sich mehr als verdreifachen - von drei auf zehn prozent.

"Der dritte Superzyklus begann unserer Meinung nach bereits 2000", glaubt Lyons. Damals lag die Weltwirtschaftsleistung bei 32 Billionen US-Dollar. Zwar kam es durch die Rezession 2008 zu einem rückschlag, doch inzwischen wurde der Einbruch schon wieder aufgeholt. "Nach unserer Analyse hat die Weltwirtschaft gedreht und die Niveaus von vor der Rezession erreicht. Das Wachstum der Konsumausgaben in China ist schon wieder hoch. Wenn wir annehmen, dass die nominellen Konsumausgaben in China um elf Prozent und in den USA um vier Prozent wachsen, dann werden die chinesischen Konsumenten die Amerikaner 2017/2018 überholt haben“, so Lyons. Heuer könnte die weltweite Wirtschaftsleistung den Schätzungen der Standard Chartered zufolge knapp 65 Billionen Dollar erreichen. Doch die Grenzen des Wachstums sind damit noch keineswegs erreicht. „Bis 2030 wird die Weltwirtschaft weiter kräftig wachsen und ein Volumen von 308 Billionen Dollar erreichen.“ Unter Berücksichtigung der Inflation blieben immer noch 129 Billionen US-Dollar, also eine Verdoppelung der aktuellen Wirtschaftsleistung. Doch dieses Wachstum ist nicht gleich verteilt. Das Durchschnittswachstum in China wird in den beiden Dekaden vor 2030 von derzeit rund zehn auf 6,9 Prozent zurückgehen. Indien wird China mit 9,3 Prozent Jahreswachstum überholen. In den USA und Europa (EU-27) wird sich das Jahresplus bei 2,5 Prozent einpendeln.

Luxus-Sorgen
Auf den ersten Blick mag das betrüblich erscheinen – wir Europäer werden also zu den relativen Verlierern zählen. Wichtig ist hier allerdings das Wort „relativ“. Chinesen ermöglicht das flotte Wachstum eine Verbesserung der durchschnittlichen Einkommen von derzeit rund 4200 USDollar auf rund 21.400 Dollar im Jahr 2030. „China, derzeit ein großes, aber armes Land, wird zu einer Mittelstandswirtschaft“, so L yons. Die Einkommen in Indien werden von rund 1160 Dollar auf 7400 Dollar steigen. Und die Bewohner der „westlichen Welt“ werden von den bereits erreichten hohen Niveaus aus noch ein bisschen reicher. Immerhin – auf vergleichbarer Basis liegt das österreichische Pro-Kopf-Einkommen jetzt bereits bei knapp 38.000 Dollar, und es wird weiter wachsen.

Wie wird dieser dritte Superzyklus die Gleichgewichte in der Welt verändern? Hier spielt die Demografie eine große Rolle. Im ersten Superzyklus lag der Beitrag der Schwellenländer zum globalen Wachstum bei 20 Prozent, nach dem zweiten waren es bereits 28 Prozent. 2030 werden es voraussichtlich 68 Prozent sein. Augenscheinlich ist dabei der Zusammenhang zwischen der Urbanisierung und dem Wohlstand: In den reichen Ländern leben rund 70 Prozent der Menschen in Städten, in den „Mittelstandsnationen“ sind es 50 Prozent, in den armen Ländern hingegen weniger als 40 Prozent. Weltweit leben derzeit rund 50 Prozent der Menschheit in Städten, 2030 werden es 60 Prozent sein.

Dort wächst jene kaufkräftige Mittelschicht heran, die diesen Superzyklus trägt: „Wenn sich Volkswirtschaften entwickeln, dann ist es der Aufstieg der Mittelschicht, der dem Wachstum Nachhaltigkeit verleiht“, unterstreicht Lyons die Bedeutung der Demografie. Die OECD definiert als „Mittelschicht“ Menschen, die, je nachdem in welchem Land sie leben, zwischen zehn und 100 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Weltweit zählen derzeit laut OECD rund 1,8 Milliarden Menschen zu dieser Gruppe, 2030 werden es 4,9 Milliarden sein, von denen zwei Drittel in Asien leben werden. Mitte 2011 wird die Weltbevölkerung voraus sichtlich die Sieben-Milliarden-Marke überspringen, 2050 werden knapp über neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Zwar wächst die absolute Zahl der „Mittelständler“ auch in Entwicklungsländern außerhalb Asiens, deren Anteil an der jeweiligen Wohnbevölkerung wird aber kleiner – diese Länder werden in Relation ärmer. In Europa und den USA wird es hingegen kaum zu nennenswerten Änderungen kommen. Der bereits erreichte Wohlstand wächst weiter. Ein Vergleich des Pro-Kopf-Einkommens zeigt das Potenzial der Schwellenländer: Das Pro-Kopf-Einkommen liegt in China mit rund 4200 Dollar bei gerade neun Prozent der US-Einkommen. Die Chinesen befinden sich auf einem Einkommensniveau, das die Amerikaner 1878 erreicht hatten. Inder verdienen durchschnittlich nur ein Viertel von Chinesen. Lyons: „Der Nachholbedarf der Schwellenländer ist enorm und bildet eine stärkere Basis für den Aufschwung als je zuvor.“

Chancenreich
Daraus ergeben sich auch für entwickelte Volkswirtschaften wie jene Österreichs Chancen – wir werden nicht trotz, sondern wegen des höheren Wachstumstempos in den Schwellenländern reicher. Deren Nachholbedarf kompensiert die Marktsättigungstendenzen in den Industrienationen. Davon profitieren zahlreiche Sektoren. „Der globale Öl- und Gasverbrauch wird auch in den kommenden Jahren ansteigen. Der Aufwand zur Erschließung neuer Ölvorkommen nimmt zu. Über Zyklen betrachtet, erwarten wir ein langfristiges Wachstum in der Größenordnung von zehn Prozent“, blickt Gerald Grohmann, Vorstandsvorsitzender der Schoeller Bleckmann Oilfield Equipment, optimistisch in die Zukunft. Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der Voestalpine, sieht allerdings auch Gefahren: „Wer glaubt, Europa könne als Dienstleistungsgesellschaft überleben, liegt falsch. Wo das hinführt, sieht man am Beispiel Großbritanniens. Ich warne vor einer Entindustrialisierung. Die Rahmenbedingungen für die Industrie werden in Europa immer schwieriger.“ Dennoch: „Ich rechne mit einem längerfristigen Wachstum zwischen drei und vier Prozent.“

Die Voraussetzungen dafür, dass die Zukunft tatsächlich so rosig wird, formuliert Karl Aiginger, Chef des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, der für die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren ein Wachstum zwischen drei und vier Prozent und für Europa eines zwischen 1,8 und 2,5 Prozent für möglich hält: „Der öffentliche Sektor muss effizienter gestaltet werden, die Menschen müssen länger arbeiten, und die Migration muss besser integriert werden.“ Alles durchaus heikle Forderungen an die Politik. Deren Rolle unterstreicht auch Nobelpreisträger Prescott: „Die Politik muss die Wettbewerbsfähigkeit fördern, das ist ihre wesentlichste Rolle. Es geht darum, die ökonomischen Institutionen effizienter zu machen.“ Für eines der momentan heikelsten Probleme, jenes der Staatsverschuldung, hat der Ökonom aber eine Lösung: „Hier spielt die Demografie eine große Rolle. Weil wir weltweit immer älter werden, müssen wir immer mehr vorsorgen. Und wie geschieht das? Unter anderem durch den Kauf von Anleihen.“

Zu den Optimisten zählt auch Warren Buffett, Selfmademilliardär und Guru der Investmentszene. Im jüngsten Brief an die Anleger seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway kündigte er ein fulminantes Comeback der USA und weitere Übernahmen mit den Worten „Der Elefantentöter ist schon geladen“ an. Die erste davon – den Kauf des Chemiekonzerns Lubrizol um neun Milliarden Dollar – hat er bereits realisiert. Doch die Börse ist nur einer der Schauplätze, an denen sich die kommende Aufschwungperiode widerspiegelt. Auch die im Folgenden beschriebenen Bereiche Arbeitsmarkt und Energieressourcen geben Anlass zu Zuversicht und Optimismus.

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