Tor zum Osten 2.0: Das Rathaus muss sich
anstrengen, wenn Wien Brücke bleiben soll
Nach Jahrzehnten im Schatten des Eisernen Vorhangs wurde Wien mit der politischen Wende zum begehrten Standort für internationale Unternehmen. Als Sprungbrett Richtung Osten spielte die Bundeshauptstadt rasch eine führende Rolle. Doch will man diese Position verteidigen, so muss man sich im Rathaus künftig mehr anstrengen.
Von Caroline Millonig
42 Kilometer Strand versprechen die Werbeplakate, gefolgt von dem bekannten Slogan Wien ist anders. Kein Zweifel, die Stadt weiß sich und ihre Vorzüge in diesem Fall die Donauinsel zu präsentieren. Österreichs Hauptstadt bietet unbestritten höchste Lebensqualität. Was Politiker gerne betonen und wovon die meisten Wiener und sei es nur aus Chauvinismus ohnehin überzeugt sind, das wird durch eine Studie von Mercer eindrucksvoll bestätigt. Das internationale Beratungsunternehmen befragt ins Ausland entsendete Mitarbeiter weltweiter Firmen nach der Lebensqualität an ihrem aktuellen Standort. Unter 221 Metropolen lag dabei Wien auf Platz eins und das zum zweiten Mal in Folge. Das hohe Maß an Sicherheit, die politische Stabilität und eine funktionierende Infrastruktur seien jene Kriterien, bei denen die City besonders punkten könne, erklärt Josef Papousek, Geschäftsführer von Mercer Austria.
2009 war Wien auch nach den Maßstäben der Betriebsansiedlungsagentur Austrian Business Agency (ABA) äußerst beliebt. Mit 89 Betriebsansiedlungen entfielen über 56 Prozent aller heimischen Neuzugänge auf die Bundeshauptstadt. Trotz der Krise war es das drittbeste Jahr unserer 27-jährigen Unternehmensgeschichte mit österreichweit 158 Betriebsansiedlungen, sagt Manager Wilfried Gunka. Dazu zählen Renommierprojekte wie die Produktionsholding von Lukoil, das CEE-Headquarter von Metro Cash & Carry oder das Fraunhofer Institut.
Doch trotz dieser unbestreitbaren Erfolge tauchen neuerdings Zweifel auf, ob Wien seine Stellung als bevorzugter Unternehmensstandort insbesondere als Brückenkopf in den Osten halten kann. Denn auch andere Städte allen voran Budapest und Prag bemühen sich vehement um Betriebsansiedlungen mit Ost-West-Fokus. Zwar lassen sich neuerdings auch Unternehmen aus den so genannten BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China in Wien nieder, doch sei es, so die Kritiker, höchst an der Zeit, die Rahmenbedingungen zu verbessern und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.
Stellvertretend für viele Betriebsansiedlungen bringt Rob Gout von pm dimensions, einer indischen Schulungsfirma im Bereich Nuklearenergie, die Attraktivität Wiens auf den Punkt: Im Vergleich zu London, Paris oder München, die wir uns als Alternativen angesehen haben, punktet Wien nicht nur mit tollem Kulturangebot, sondern auch als kosteneffizienter Wirtschaftsstandort mit ausgezeichneter Infrastruktur. Damit können wir die Stadt als Sprungbrett sowohl nach West- als auch nach Osteuropa nutzen. Wenig verwunderlich daher, dass sich in der Bundeshauptstadt gut 61 Prozent aller in Österreich präsenten Headquarters angesiedelt haben. Besonders erfreulich sind dabei weiterführende Investitionen wie etwa jene von Henkel CEE, das heuer 30 Millionen Euro in den Standort Wien investiert, oder jene von Siemens in Höhe von 15 Millionen für ein neues Rechenzentrum.
Maximale Kaufkraft.
Die Dynamik der Stadt lässt sich aber auch an anderen Kriterien festmachen: 2009 gab es hier knapp 27 Prozent aller Neugründungen in Österreich, und der Wohlstand, gemessen an der Kaufkraft, ist im Ländervergleich mit durchschnittlich 18.660 Euro pro Jahr am größten. Ein Grund dafür ist der hohe Beschäftigungsanteil im öffentlichen Dienst, der sich aus den zahlreichen Verwaltungsbehörden und Ministerien in der Hauptstadt ergibt, wie Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien (WKW), erklärt. Prestige-Events wie das Neujahrskonzert, die Festwochen oder der schrille Life Ball fördern das Image eines gelungenen kulturellen Mix aus Tradition und Fortschritt, der Standort Wien als Sitz von vier UNO-Organisationen erhöht das internationale politische Gewicht und beides zusammen stärkt Wiens Position als eine der weltweit wichtigsten Kongressstädte und bildet damit das Rückgrat des Tourismus in Wien, sagt ABA-Direktor Gunka. Aber auch die fiskalen Rahmenbedingungen haben Gewicht. Österreich hat mit allen wesentlichen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen, weiß Gunka, und die Gruppenbesteuerung erleichtert den Start für all jene, die von Wien aus in die CEE-Staaten expandieren. Der Anreiz: Verluste von Töchtern können mit dem in Österreich erzielten Gewinn gegenverrechnet werden. Auch die relativ hohe Körperschaftsteuer von 25 Prozent relativiert Gunka: Dank der höheren Abschreibungsmöglichkeiten sinkt die Steuerbasis und somit die effektive Belastung um rund zwei Prozentpunkte.
Generell habe Wien in den letzten 15 Jahren einen deutlichen Wandel hin zur dienstleistungsorientierten Stadt vollzogen, resümiert WKW-Präsidentin Jank. Nach wie vor käme aber den produzierenden Unternehmen als Arbeitgeber und Auftraggeber für viele Dienstleistungsbetriebe eine große Bedeutung zu. Daher müssen wir geeignete Strukturen schaffen, um Produktionsbetriebe zu halten was besonders mit der Forcierung von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (F&E) sowie einer neuen, sektorenübergreifenden Clusterpolitik noch besser gelingen muss. Wiens Stärken: der exportorientierte Bereich, die Informations- und Telekommunikationstechnologie, die Energie- und Umwelttechnik und der Sektor Life-Science, insbesondere Biotechnologie. Hier gelte es, Export- und Innovationsfreudigkeit zu fördern, sagt Jank.
Falsch gepolt.
Alon Shklarek, geschäftsführender Gesellschafter der in Wien ansässigen, internationalen Beratungs- und Beteiligungsfirma asp consulting, meint jedoch, dass dies alles nicht genug sei: Es geht heute vorrangig um Innovation und praxisorientierte Forschung, nicht nur um Grundlagenforschung. Dass sich der Impfstofferzeuger Intercell zum erfolgreichen Aushängeschild des Biotech- Clusters entwickelt hat, sei zwar wunderbar, aber es dürfe nicht das einzige Beispiel bleiben. Kernproblem sei das mangelnde ganzheitliche Verständnis. Shklarek: Intel oder Motorola beispielsweise haben Teile ihrer weltweiten Forschung wohl nicht wegen der geopolitischen Attraktivität in Israel angesiedelt, sondern weil sie hier unbürokratische Strukturen vorfinden, die ein Rundum-Sorglos- Paket von betriebswirtschaftlicher bis juristischer Beratung bieten sowie staatliche Förderungen und einen guten Kapitalmarkt. Georg Kapsch, Unternehmer und Präsident der Industriellenvereinigung (IV) Wien, schlägt in dieselbe Kerbe: Es gilt, die Brücke zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft weiter zu stärken und hier ansässigen Firmen auch wirklich die Chance zu geben, an Leuchtturmprojekten mitzuarbeiten. Solche Pilotprojekte fehlten hier und das reduziere die Chancen der Unternehmen, die in Wien ihren Standort haben. Und WKW-Präsidentin Jank ergänzt: Die Stadt ist gefordert, die Kooperation von betrieblicher F&E und Universitäten zu fördern. Etwa in der soeben entstehenden Seestadt Aspern1), einem Stadtentwicklungsprojekt, für das sie selbst gerade konkrete Gespräche mit der Boku Wien führe.
Krasser Mangel.
Wenn es um Bildung und Ausbildung geht, sei es längst zwölf und nicht fünf vor zwölf, fürchtet Jank: Es gibt einen dramatischen Mangel an qualifizierten Lehrstellenbewerbern. Erschreckend sei dabei die Tatsache, dass Pflichtschulabgänger heute oft nicht einmal die Mindestvoraussetzungen wie Lesen, Schreiben und Rechnen erfüllten. Und das beträfe nicht nur Kinder von Migranten, sondern auch jene der so genannten bildungsfremden Schichten Österreichs. Wenn man jetzt nicht im Bereich der Ausbildung investiert, wird die Arbeitslosigkeit deutlich steigen und das kommt noch teurer, meint Jank, die an einer Kooperationsinitiative zwischen professionellem Coaching von Betroffenen und der Wirtschaft arbeitet. IV-Wien-Präsident Kapsch vermisst gar ein gesamtheitliches Schul- und Bildungskonzept: Mit der unseligen Zersplitterung zwischen Land und Bund und dem Missverhältnis zwischen Finanzierung und Macht läuft die Gesellschaft Gefahr, auseinanderzubrechen in eine kleine Elite Gebildeter und viele Ungebildete. Genau das schade aber dem Wirtschaftsstandort bereits heute, meint asp-Beratungsprofi Shklarek: Es mangelt an der Verfügbarkeit toller, talentierter Mitarbeiter. Der Access to Talents scheitert an der Vernetzung der entsprechenden Zuständigkeiten.
Bürokratie-Zirkus.
An fehlender behördlicher Präsenz liegt das nicht, sehr wohl aber an der Koordination. Ansiedlungswillige scheitern oft schon bei der Suche im Internet. So manche einschlägige Homepage ist sinnigerweise nur auf Deutsch verfügbar, was nicht gerade für internationale Professionalität spricht. Generell mangelt es an Übersichtlichkeit und Verlinkungen. Es gibt eine Menge toller Institutionen, aber ohne transparenten, koordinierten und einheitlichen Auftritt hilft das wenig, ätzt Shklarek. Weitere Probleme sind Niederlassungsbewilligung und Visapflicht. Die Umsetzung der Bestimmungen ist mühsam, weil zeitintensiv, und es sind zu viele Behörden involviert, was die geschäftsentscheidende Flexibilität hemmt, kritisiert ABA-Direktor Gunka. Dass Österreich ein Zuwanderungsland ist, werde auch gerne verdrängt. Wir müssen die Leute auch zuwandern lassen, am besten über Kriterien wie Sprache, technisches Knowhow, Erfahrungen, fordert IV-Wien-Chef Kapsch.
Dennoch muss man der Wiener Wirtschaft konzedieren, dass sie die jüngste Ausweitung der Region gut genutzt hat. Dank der Ostöffnung ist der Großraum Wien allein mit Bratislava geographisch um rund ein Viertel gewachsen das macht in etwa eine halbe Million Menschen. Plötzlich gab es da, so Erhard Busek, Vorstandsvorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, in 60 Kilometer Entfernung eine neue Großstadt. Man bedenke: Graz und Linz sind mehr als doppelt so weit entfernt. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind intensiv: Heute leben vom Export Richtung Pressburg allein 25.000 bis 30.000 Arbeitskräfte in Österreich, der Großteil davon in Wien und im Grenzgebiet zwischen Hainburg, Wolfsthal und Parndorf. 5000 meist Wiener Firmen machen regelmäßig Geschäfte mit der Slowakei, 1600 haben Niederlassungen in und rund um Pressburg. In der Gegenrichtung kommen 9000 slowakische Tagespendler zum Studieren und zum Arbeiten nach Wien.
Kein Wunder, dass die Region in der Brüsseler EU-Zentrale heute als Paradebeispiel grenzüberschreitender Dynamik gilt. Dass die beiden am nähesten beieinanderliegenden Hauptstädte der Welt auf allen Ebenen kooperieren, ist übrigens ein klarer Erfolg der Privatwirtschaft. Heimische Politiker haben sich bislang sogar eher dagegen gewehrt. Wien ist dennoch wieder ein Stück weltoffener geworden trotz und nicht wegen der Politik.