Seensucht
Der eigene Zugang zum Wasser muss mühsam erkämpft werden. Mit Geld sowieso aber noch viel mehr mit Zeit.
Dem Industriellen Gerhard Andlinger blieb eines sonnigen Sonntagmorgens vor Staunen der Mund offen. Vom Ufer seines feudalen Seegrundstücks am Attersee schallte lautes Kindergeschrei zu seinem Haus herauf. Im seichten Wasser schaukelte ein gelbes Schlauchboot, und während die junge Mutter gerade die Picknickdecke ausbreitete, hob der Vater die Kühlbox an Land. Bereits die fünfte feindliche Landnahme in diesem Jahr. Andlingers Refugium am Attersee liegt direkt neben einem Campingplatz, und einige der Dauercamper lassen es sich nicht nehmen, mit dem Schlauchboot immer wieder Abstecher auf sein Grundstück zu wagen und dort den Bauern beim Millionär zu spielen.
Rarität. Andlingers Ärger ist verständlich. Beim Ankauf von heiß begehrten Seeliegenschaften helfen weder klingende Namen noch die Möglichkeit, sich das Wunschobjekt ordentlich etwas kosten zu lassen. Um das passende Objekt zu finden, braucht man vor allem eine Eigenschaft: Geduld. Selbst Seevillenbesitzer wie der Skiläufer Hermann Maier oder eben der austroamerikanische Milliardär Andlinger, der seine Liegenschaft am Attersee um zehn Millionen Euro erwarb, mussten jahrelang ausharren, bis sich endlich das passende Objekt fand. Vermietet wird praktisch nichts, denn es rentiert sich für Eigentümer meist nicht. Allenfalls Badeparzellen werden verpachtet, wenn Bauern aus ihren an den See grenzenden Wiesen Kapital schlagen möchten. Gerald Etzlinger, zuständig für den Bereich Seegrundstücke in der Vöcklabrucker Immobilienkanzlei Topreal, rät seinen Klienten zu einer schnellen Kaufentscheidung: Die Nachfrage ist riesig, das Angebot hingegen sehr beschränkt. Hat man das passende Objekt gefunden, sollte man zuschlagen, sonst tuts gewiss ein anderer.
Kein Wunder, kommen doch Immobilien in den begehrtesten Gegenden an Österreichs Seen nur selten auf den Markt. Je nach Größe und Lage des Sees variiert das Angebot beträchtlich. Während am Wörther See jährlich zwischen zehn und fünfzehn Objekte zum Verkauf stehen, sind es an den Salzkammergut-Seen sehr viel weniger. Besonders gesucht sind Häuser mit 100 bis 300 Quadratmeter Wohnfläche mit Garten und Badesteg. Berndt Kretschmer, Prokurist beim Salzburger Immobilienbüro Stiller & Hohla: Die Kauffrequenz sinkt im Salzkammergut von Jahr zu Jahr. Heuer und im vergangenen Jahr hat es auf dem Markt keine Bewegung gegeben. Die Warteliste von potenziellen Käufern, die bereit sind, zwischen zwei und drei Millionen Euro für ein solches Objekt auszugeben, wird von Woche zu Woche länger.
Die Sorge darf getrost gering ausfallen. Meist werden hier nicht Zweit-, sondern schon Drittwohnsitze gesucht.
Liebhaberpreise. Das äußerst kleine Angebot an Villen mit direktem Seezugang, Seegrundstücken mit Badehäusern oder auch nur Badeparzellen ohne Baugenehmigung treibt den Preis für solche Raritäten in schwindelerregende Höhen. Zum Vergleich: Als Grünland gewidmete Seeparzellen erzielen Quadratmeterpreise, die sonst nur in der Salzburger Altstadt bezahlt werden. Die Worte Schnäppchen und See schließen einander aus, schmunzelt Makler Gerald Etzlinger. Ganz allgemein gilt sogar: Je kleiner ein Grundstück, desto teurer ist es. So kann etwa am Wörther See ein 100 Quadratmeter großer Badeplatz gut und gern mit 3000 Euro pro Quadratmeter zu Buche schlagen. Dort, wo der Fluss Sattnitz vom Wörther See abfließt und man nur noch die letzten Ausläufer des Sees genießen kann, gibt es aber auch Grundstücke um rund 600 Euro pro Quadratmeter. Wörther-See-Aficionados, die solch einsamen Randlagen wenig abgewinnen können, sollten aber in den beliebtesten Orten wie Velden, Pörtschach, Krumpendorf, Dellach und Maria Wörth mit Durchschnittswerten von 1000 bis 1500 Euro pro Quadratmeter rechnen. Günther Seidl vom gleichnamigen Immobilienbüro in Velden weiß, was seine Kunden wünschen: Klingende Namen, gute Wasserqualität und mondäne Atmosphäre haben eben ihren Preis. Die Kunden lassen sich die gute Adresse aber auch etwas kosten. 80 Prozent der Anfragen nach Seeimmobilien in Kärnten betreffen den Wörther See. Weitaus günstiger sind Liegenschaften bereits am Ossiacher, Faaker oder Millstätter See zu haben. Hier zahlt man für gleichwertige Liegenschaften beinahe die Hälfte der Wörther-See-Preise.
Doch nicht nur die Lage entscheidet über die Kosten einer Seeliegenschaft. Ausschlaggebend sind auch die Länge des Seeufers, die ganzjährige Bewohnbarkeit der Immobilie, die Anzahl der Sonnenstunden am Grundstück, bei Badeplätzen auch uneingeschränkte Zufahrt mit Parkmöglichkeit und das Vorhandensein eines Stegs, einer eigenen Boje und eventuell sogar eines Bootshauses.
Letzteres ist vor allem an den Salzkammergut-Seen ein gefragtes Objekt, weiß Franz Kronberger vom Bank Austria
Creditanstalt Immobilienservice im oberösterreichischen Gmunden: Bis zu 600.000 Euro ist eine Bootshütte am Traunsee wert, die eventuell noch über zwei Zimmer und eine kleine Terrasse verfügt. Am Traunsee sind große Seeliegenschaften Mangelware, nicht zuletzt, weil durch den Berg Traunstein ein Gutteil der Uferlänge nicht genützt werden kann. Die Preise pendeln sich jedoch bei 1000 bis 1200 Euro pro Quadratmeter ein, auch wenn es immer wieder Ausreißer nach oben gibt.
Spitzenpreise werden im Salzkammergut am Nord- und Ostufer des Attersees erzielt. In Weyregg und Seewalchen sind 1300 bis 1500 Euro pro Quadratmeter drin deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Ortsansässige Makler verzeichnen Preissteigerungen um bis zu fünfzehn Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Ähnlich exklusiv geht es am Wolfgangsee zu. Hier zählen vor allem St. Gilgen, Strobl und St. Wolfgang zu den begehrtesten Wohnorten, zählt man hier doch die meisten Sonnenstunden am See. Etwas günstiger, dafür aber weitaus abgeschiedener lässt sich der Traum vom Haus am See an den Gestaden des Hallstätter Sees genießen. Berndt Kretschmer: Ein Objekt wie Schloss Grub auf einer privaten Halbinsel würde am Attersee das Doppelte kosten. Trotzdem sind 4,5 Millionen Euro für ein wenngleich fürstliches Domizil ein stolzer Preis.
Im Vergleich zu den Kärntner und oberösterreichischen Seen nimmt sich der Neusiedler See im Burgenland beinahe wie eine Okkasion aus. Liegt das Seedomizil an einem der Kanäle zum See, ist man bereits ab 300 Euro pro Quadratmeter dabei. Ein Grundstück mit Zugang zum offenen See in Weiden, Neusiedl oder Rust kommt aber bereits auf das Doppelte, berichtet Roswitha Knebelreiter von RE/MAX P&I in Neusiedl vorausgesetzt, man wird überhaupt fündig, denn am Meer der Wiener sind Seeliegenschaften ebenso knapp wie im Rest Österreichs. Das zunehmende Interesse daran ist vor allem der guten Infrastruktur, etwa der Autobahnanbindung nach Wien, zu verdanken. Ablesbar ist diese Entwicklung auch an den Preissteigerungen der vergangenen Jahre.
Bürokratie. Hat man nach oft jahrelanger Suche doch noch das Traumobjekt gefunden, sollte man Seeliegenschaften gründlich prüfen, bevor man sich allzu sehr auf lauschige Sommerabende am eigenen Ufer oder auf der Seeplattform freut. Denn gerade diese können mitunter recht teuer kommen. Zwar sind Steg, Boje und Bootshaus im Kaufpreis bereits berücksichtigt und gehen klarerweise in das Eigentum des Käufers über, doch der Seeabschnitt, in dem diese errichtet wurden, leider nicht. Die meisten österreichischen Seen stehen im Besitz der Österreichischen Bundesforste, die für die genutzten Flächen Pachtzins kassieren und diesen bis 2012 jährlich um acht Prozent anheben. Am Attersee sind es derzeit noch 8,52 Euro pro Quadratmeter, am Wörther See bereits zehn Euro.
Vor dem Kauf eines Seegrundstücks sollte auch überprüft werden, ob die tatsächliche Uferlinie auch mit jener im Grundbuch übereinstimmt, rät der auf Liegenschaftsrecht spezialisierte Gmundner Anwalt Michael Schneditz-Bolfras: In den sechziger und siebziger Jahren versuchten viele Eigentümer, ihre Grundstücke zu vergrößern, indem sie am Ufer Kies anschütteten. Luftbildaufnahmen, die alle zehn Jahre angefertigt werden, zeigen deutlich, inwieweit das Grundstück erweitert wurde. Die vermeintliche Cleverness zahlt sich nicht aus, denn statt dem Eigentümer gehören diese Flächen ebenfalls zum Besitz der Bundesforste und müssen gepachtet werden, sonst dürfen sie auch von anderen mitgenutzt werden.
Ebenfalls prüfen sollte man die Bebauungsbestimmungen, denn es kann vorkommen, dass auf teuer erworbenen Seegrundstücken nicht gebaut werden darf oder bereits bestehende Gebäude nicht erweitert werden können. Pech hat man auch, wenn sich herausstellt, dass das künftige Traumhaus nicht größer sein darf als die Kabane, die abgerissen wurde, um Platz für die Seevilla zu schaffen. Schätzt man sich glücklich, ein Grundstück gefunden zu haben, auf dem tatsächlich alles passt, muss um jegliche Veränderungen bei der Naturschutzbehörde angesucht werden, berichtet Christian Herzog vom gleichnamigen Immobilienbüro in Graz. Selbst subtile Umgestaltungen wie das Umschneiden eines Buschs oder die Erneuerung eines Zauns bedürfen des Amtswegs. Besonders streng sind die Vorschriften in Kärnten und im Salzkammergut. Noch komplizierter wird es, wenn es um Einbauten am Wasser geht. Vorhandenes muss bewahrt werden, Veränderungen am Bestehenden, etwa die Verlängerung eines Stegs, sind aber nur in den allerseltensten Fällen erlaubt, ebenso wie die Errichtung von Bootshäusern. Stegbewilligungen werden meist auf 15 Jahre erteilt, vergisst man aber darauf, sie rechtzeitig zu verlängern, muss man von Neuem um einen Steg ansuchen. Mitunter kann es auch vorkommen, dass der alte Steg ersatzlos abgerissen werden muss, was einem Wertverlust des Seegrundstücks gleichkommt. Ist dieses Unheil abgewendet, bedeutet das aber nicht das Ende mühseliger Begutachtungsverfahren. Darf der Steg neu errichtet werden, wollen etwa am Traunsee die Fischereiverbände entschädigt werden, da Fische vor allem in Ufernähe laichen und sich durch den Bau von Seeeinbauten gestört fühlen könnten. Je mehr Fischreichtum an einem Platz vermutet wird, desto höher die Entschädigung.
Den durchschnittlichen Anwärter auf eine Seeliegenschaft, der bereit ist, ein bis vier Millionen Euro für die Traumimmobilie springen zu lassen, werden diese zusätzlichen Kosten nicht mehr kratzen. Wenn man aber so wie Gerhard Andlinger für sein Seegrundstück am Attersee gleich zehn Millionen Euro versenkt und dann auch noch ständig ein paar Camper zu Gast hat, kann das schon Ungemach bereiten. Um sich der lästigen Besucher ein für alle Mal zu entledigen, schlug Andlinger einfach zu. Er kaufte den Campingplatz und machte ihn dicht.
Von Ulrike Moser