Schüssels Zitterpartie: Der Bundeskanzler tanzt einen Hochseilakt ohne Netz
Der Bundeskanzler tanzt einen Hochseilakt ohne Netz: Er muss die heikle EU-Präsidentschaft 2006 vorbereiten und unbeschadet über die Bühne bringen. Er muss BZÖ-Chef Jörg Haider bei guter Laune halten. Und sich nebenbei auf die Suche nach neuen Koalitionspartnern begeben.
Wann ers nur aushält, der Schüssel! Fragen nach der Stabilität seiner Regierung will der Bundeskanzler bis auf Weiteres nicht mehr beantworten, doch dass er in einer misslichen Lage ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Einer der prominentesten heimischen Manager, Berndorf-Chef Norbert Zimmermann, beschreibt das Problem ganz konkret: Die Stabilität der Regierung hängt von der Stabilität des BZÖ ab. Und die Stabilität des BZÖ hängt in erster Linie von der Stabilität des Kärntner Landeshauptmanns ab. Wobei bekannt ist, dass der Herr Landeshauptmann bisweilen unerwartete Züge setzt. Somit liegt Österreichs Schicksal in den Händen des Kärntner Landeshauptmannes. Nachsatz: Das hat er sich immer gewünscht.
EU-Vorsitz als Damoklesschwert. Tatsächlich muss man es so sehen: Der oft totgesagte, angeblich von Schüssel endgültig bezwungene Bärentaler, der Saddam-Hussein-Besucher, der Chirac-Beschimpfer und Ober-Knittelfelder Jörg Haider regiert wieder mit, und zwar mehr denn je. Vorerst noch leise, doch die Lautstärke lässt sich zum rechten Zeitpunkt wieder auf stark drehen. Meinem Gefühl nach muss Jörg Haider Schüssel noch immer hassen, und was das heißt, kann man sich gut denken, sagt ein prominenter heimischer Unternehmer, das aber lieber off records.
Nun könnte Schüssel dem BZÖ-Treiben, den bevorstehenden Kämpfen zwischen Orange und Blau gelassen zusehen stünde da nicht ein Großereignis vor der Tür, das sich mit Regierungskrise und Instabilität absolut nicht verträgt: Ab 1. Jänner 2006 führt Österreich den EU-Vorsitz. Die EU-Präsidentschaft wird sämtliche Arbeitskapazitäten der Regierungsmannschaft binden und Nicht-Regierungsmitglied Jörg Haider wird, wieder einmal, im Schatten von Schüssel, Gorbach und der neuen starken Orange-Lady Karin Miklautsch stehen. Ob ers nur aushält, der Haider? Norbert Zimmermann jedenfalls wünscht dem BZÖ-Chef alles Gute: Jeder Bürger muss hoffen, dass der Kärntner Landeshauptmann stabil bleibt.
Hoffnung allein wird, so sind sich viele Beobachter einig, in diesem Fall aber nicht ganz reichen. Haider muss, so spekulieren auch Teile der ÖVP, in der Zeit der EU-Ratspräsidentschaft einen schrillen Ton anschlagen, muss für bombige Aufreger sorgen, wenn er medial nicht völlig untergehen will. Und das will Haider bekanntlich am allerwenigsten.
Sicher keine Pannen. Die ÖVP verabreicht zurzeit pflichtgemäß hohe Dosen von Valium. Jörg Haider, so beruhigt man sich intern, werde brav und leise sein, er habe ja schon vor Jahren im kleinen Kreis verlautbart, dass man mit einem Anti-EU-Kurs keine Meter machen kann. Verena Novotny, Pressesprecherin von Bundeskanzler Schüssel, formuliert hochoffiziell: Es gibt kein Indiz dafür, dass es die jetzige Regierungskonstellation während der EU-Präsidentschaft zu Problemen kommen lässt. Es ist aus unserer Sicht sichergestellt, dass es keine Pannen gibt.
Freilich: Die Opposition hat das brennende Thema längst besetzt. Wolfgang Schüssel, so fleht etwa der grüne Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber, solle doch das Risiko einer verpatzten Präsidentschaft dem Land nicht antun, BZÖ-Chef Haider werde sich nämlich während des EU-Ratsvorsitzes an Schüssel rächen und die Koalition platzen lassen: Das ist sein Plan. Angesichts der großen Instabilität der Regierung mache man sich laut Voggenhuber auf EU-Ebene große Sorgen; kein EU-Land traue Österreich zu, den anstehenden großen Problemen gewachsen zu sein.
Regierungsarbeit gefährdet. Auch Claus Raidl, Böhler-Uddeholm-Chef und Berater des Bundeskanzlers, ist über den Zustand der Regierung not amused: Mit der jetzigen Instabilität gefährdet man die nächsten eineinhalb Jahre Regierungsarbeit. Wie diese Instabilität zu beenden sei? Hoffentlich nicht mit Neuwahlen, wünscht Raidl, dafür aber mit einem klaren Ultimatum: Man sollte dem BZÖ eine Frist setzen. Die Gruppierung hat sich bis zum Sommer zu stabilisieren. Wenn weiter die Gerichte bemüht, die Schlammschacht BZÖ gegen FPÖ perpetuiert werde, wenn weiterhin orange Bundesräte Wehrmachtdeserteure als Kameradenmörder bezeichneten, dann aber sollte Schüssel handeln: Wenn die Stabilität nicht glaubhaft vermittelt wird, muss man das Spiel beenden. Man muss sagen, liebe Freunde, entweder ihr beruhigts euch, oder es geht nicht weiter. Raidl ist für eine klare Sprach- und Spielregelung: Man muss dem BZÖ sagen: Bei einer einzigen Niederlage im Parlament, beim Scheitern eines einzigen Gesetzesvorhabens gibt es sofort Neuwahlen. Man muss verhindern, dass man so wie früher in Italien bei jeder Parlamentsabstimmung zittern muss. Eineinhalb Jahre Zitterpartie bis zum Herbst 2006 können wir uns nicht leisten.
Bündnis nicht tragfähig. Noch betont ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer Tag für Tag die große Stabilität der neuen Koalition. Generalsekretär Reinhard Lopatka sendet seit Ausbruch der BZÖ-Krise täglich ein Bulletin unter dem Titel Wir arbeiten für Österreich! an die Medien. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein schwang sich sogar zur Behauptung hoch, die Koalition arbeite besser als je zuvor. Doch viele ÖVPler sind auch ziemlich angfressn, müsse man doch seit vielen Wochen nichts anderes tun, als den Koalitionspartner vor den vermeintlichen Angriffen der Journalisten in Schutz nehmen. Ein prominenter ÖVP-Abgeordneter hält das Bündnis ÖVP/ BZÖ bereits klipp und klar für nicht tragfähig. Die einleuchtende Erklärung des Mandatars: Wenn sich das BZÖ stabilisiert, wird es für uns auf Sicht gefährlich. Also muss man vorher wählen. Wenn es aber weiter Turbulenzen gibt, färbt das auf Dauer ab, und die ÖVP kommt mit dem BZÖ in einen negativen Sog. Dann muss erst recht gewählt werden. Und zwar im Herbst, noch vor der Ratspräsidentschaft.
Neuwahlen im Herbst? Kühl betrachtet, hat im Moment weder Schüssel noch die BZÖ-Riege Interesse an Neuwahlen der Ärger in der Bevölkerung über den orangefarbenen Klamauk ist noch zu groß, das BZÖ hat noch kein Geld für einen Wahlkampf zusammengebettelt. Laut profil-Umfrage würde die Haider-Truppe den Einzug ins Parlament mit fünf Prozent knapp schaffen oder aber knapp verfehlen. Die ÖVP könnte zum jetzigen Zeitpunkt nur 36 Prozent der Stimmen einkassieren, die SPÖ dagegen 43 Prozent. Allzu große Sorgen um seine Wiederwahl muss sich Schüssel dennoch nicht machen: In der Kanzlerfrage liegt er mit 32 Prozent Zustimmung deutlich vor seinem Kontrahenten Alfred Gusenbauer.
Schüssel möchte mit routinierten Ministern die EU-Präsidentschaft abspulen. Und: Er will dem BZÖ das Überleben sichern, um nach den nächsten Wahlen diese Koalitionsvariante nicht zu verlieren. Allerdings weiß er auch, dass der neu gestylte BZÖ-Chef Haider im gleichen Wählerteich wie die ÖVP fischen will, nämlich im Mittelstandsrevier.
Ob mit oder ohne Wahlen: Innenpolitisch steht eine äußerst labile Zeit bevor. Die Gründung eines FPÖ-Parlamentsklubs ist im Bereich des Möglichen. Und wenn die parlamentarische Mehrheit ernsthaft wackelt, sind Neuwahlen im Herbst unvermeidlich.
Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und auch prominente Manager sind trotz wackelnder Mehrheiten derzeit gegen Neuwahlen. WKÖ-Chef Christoph Leitl will sich, so lange die Entscheidungen in Regierung und Parlament gewährleistet sind, nicht an Spekulationen beteiligen. Die Verhältnisse zwischen BZÖ und FPÖ findet er zwar skurril und kabarettreif, sieht die Regierungsarbeit dadurch aber nicht beeinträchtigt. IV-Präsident Veit Sorger scheut Wahlen aus pragmatischen Gründen, der Bundeskanzler verstehe sein Geschäft wie sonst keiner, man solle sich nicht auf einen Wahlkampf und unendliche Verhandlungen einlassen.
Claus Raidl möchte ebenfalls nicht wählen, weil noch einige Vorhaben zu Ende gebracht werden sollen; Norbert Zimmermann deshalb nicht, weil die Alternativen fehlen.
Suche nach neuen Koalitionen. Genau diese Alternativen muss Schüssel aber suchen und finden, ist doch das Überleben des BZÖ über den nächsten Wahltermin hinaus alles andere als gesichert. Die Spekulationen über neue Koalitionspartner haben also längst Hochkonjunktur.
Angenommen, Schüssel gewinnt die Wahlen, so bietet sich neben der (auch rechnerisch unsicheren) BZÖ-Variante die SPÖ als mögliche Braut an. Für die Neuauflage der großen Koalition machen sich viele Wirtschaftsvertreter stark, auch Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund sind traditionell dafür. WKÖ-Chef Leitls Präferenz für etwas Großes mit breiter Basis ist bekannt; er ist der entschiedenste Verfechter der ÖVP-SPÖ-Koalition. Diese Meinung habe ich damals gehabt, diese Meinung werde ich 2006 wieder haben, erklärt der WKÖ-Chef.
Gegen Schwarz-Rot spricht allerdings, dass Schüssel mit Gusenbauer nicht gut kann. Und der Wendekanzler sowieso lieber kleine Koalitionen führt schon deshalb, um der deutlich Stärkere im Bündnis zu sein. Unterstützung erhält er von IV-Präsident Sorger. In einem Format-Interview rät dieser: Die Sozialdemokratie sollte die Zeit bis 2006 nützen, um Personal mit Wirtschaftskompetenz aufzubauen. Ich sehe das jetzt bei den Sozialdemokraten nicht. Wer soll die Wirtschaftsressorts besetzen?
Auch Industrie-Manager Claus Raidl lehnt die Zusammenarbeit mit der SPÖ rundweg ab (Da würde man in den alten Trott verfallen, das bedeutet Stillstand) und bringt seine Meinung auf den Punkt: Große Probleme löst man besser mit einer kleinen Koalition. Klein bedeutet für ihn aber nicht zwingend eine ÖVP-BZÖ-Koalition. Er hält auch Schwarz-Grün für denkmöglich. Mit den Grünen kann es nur besser als jetzt gehen. Die Konflikte sind bei ihnen beherrschbar, erläutert er seine neu entflammte Liebe. Es gibt in der ersten Ebene niemand, der zuerst für die Regierung ist und dann permanent quer schießt, es ist weniger Haider-Strategie zu erwarten, lobt Raidl die Öko-Partei. Sie sind weniger dogmatisch als die anderen. Sie wären vielleicht sogar ein Segen, weil sie keine Klientel bedienen müssen.
Für die schwarz-grüne Variante spricht, dass Schüssel mit dem Wirtschaftsprofessor Van der Bellen ein gutes Verhältnis pflegt. Dagegen sind noch immer weite Teile der Industrie; auch IV-Chef Veit Sorger ist kein Freund von Grün. Nach dem gut inszenierten Wechsel des Wiener Abgeordneten Günther Kenesei zur ÖVP zweifeln viele wieder an der Stabilität der Grünen, sie werden als zu weit links, als zu fundamentalistisch angesehen.
Die Grünen selbst lassen sich von solchen Bedenken nicht erschüttern. Stolz wird auf das Modell Oberösterreich verwiesen, wo ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer mit dem Grünen Rudi Anschober ein bislang gut funktionierendes Regierungsübereinkommen geschlossen hat (siehe Interview rechts). Van der Bellen, Glawischnig, Pilz und Co trainieren sogar bereits eifrig für die fetten Jahre des Regierens. Kein anderes Thema beschäftigt die kleine Partei derzeit heftiger; Arbeitsgruppen tagen in Permanenz, um die Fehler der Regierungsverhandlungen von 2002 in der nächsten Runde zu vermeiden. Personalreserven werden ausgelotet, ein Netzwerkexperte hilft dabei, die grünen Mandatare mit einflussreichen Wirtschaftslobbys in Kontakt zu bringen. Verhandlungsstrategien werden festgelegt, inhaltliche Positionen neu bezogen und, wenn möglich, interne Opponenten auf Linie gebracht.
Keine Haschtrafikanten mehr. Wie sieht die ÖVP selbst die grüne Option? 2002 gab es ja, trotz Regierungsverhandlungen, schwerste Bedenken gegen eine Koalition mit Haschtrafikanten und Öko-Fundis. Nun wird kaum mehr an der Regierungsfähigkeit gezweifelt. ÖVP-Abgeordneter und WKÖ-General Reinhold Mitterlehner etwa streut rote Rosen: Die Grünen haben in verschiedenen Bereichen Sachkompetenz und große Bereitschaft, sich konstruktiv einzubringen. Natürlich gebe es Reibungsflächen zwischen ökologischem Wunsch und ökonomischer Notwendigkeit, aber: Auch die ÖVP und die Wirtschaft sind an Nachhaltigkeit interessiert. Wir wollen keinen Raubbau.
Eine ökologische Steuerreform bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors Arbeit werde international immer mehr zum Thema, hier könne man mit den Grünen einen fruchtbaren Diskurs führen. Spannungsfelder gebe es zweifelsfrei, so Mitterlehner, aber zwei Parteien einer Koalition müssen ja nicht gleich sein. Abstimmungsprobleme könnten auftauchen, da die Grünen im Hauptverband der Sozialversicherungen und in diversen anderen sozialpartnerschaftlichen Organisationen nicht integriert seien, jedoch: Die Grundstimmung ist da. Es werden Gespräche auf hohem Niveau geführt. Insgesamt hat die grüne Gruppierung sicher Regierungsfähigkeit.