Russisches Roulette: Patriarch und Oligarch

Frank Stronachs Magna-Konzern steht vor der größten Umstrukturierung seiner Geschichte. Der Einstieg des Russen Oleg Deripaska macht die Fahrt des weltweit drittgrößten Autozulieferers aber noch nicht sicherer.

Stronach soll ein Risikofaktor sein?“, fragt Magna-International-Co-CEO Siegfried Wolf und lacht eine Spur zu laut. „Wenn man einen Betrieb so führen würde, wie das die Analysten jeden Tag neu vorschreiben, wären nur die Interessen der Shareholder vertreten und die Langfristigkeit keinesfalls gegeben. Es ist wichtig, dass ein Unternehmer auch unternehmen darf, und das macht er sehr, sehr gut.“ Stronach denke sehr visionär und sage auch, was er denke. Das passe eben dem einen oder anderen manchmal nicht so gut.

Frank Stronach, der im September 75 Jahre alte Unternehmer, der einst mit einer Hand voll Dollar nach Kanada ausgewandert ist, lebt seit Jahrzehnten dafür, das von ihm gegründete Magna International zu einem Konzern mit internationaler Bedeutung zu machen. Dabei hat der impulsive Austrokanadier einen einzigartigen Führungsstil an den Tag gelegt. Er ist der uneingeschränkte Chef des mittlerweile milliardenschweren Unternehmens. Bei Aktionärsversammlungen hält er, um zu demonstrieren, dass er als Unternehmer kein Risiko scheut, gerne völlig improvisierte Reden aus dem Stegreif. Er zieht laufend überraschende Geschäftsideen aus dem Hut, und Aktionären, die nicht einverstanden sind, lässt er ausrichten, sie könnten ihre Anteile ja verkaufen.

Ebenso überraschend hat er den Aktionären auf der Hauptversammlung vom 10. Mai den russischen Milliardär Oleg Deripaska, dessen Vermögen auf 16 Milliarden Dollar geschätzt wird, als neuen Kompagnon und Miteigentümer präsentiert. Deripaska ist ein ganz anderer Typ als Stronach. Er gilt als der kühle, berechnende Denker, der nichts dem Zufall überlässt. Ehe er sich an Magna beteiligte, ließ er daher auch eine ausführliche Risikoanalyse des Unternehmens und des Managements erstellen.

Der Frank-Faktor. Deripaska muss dabei erfahren haben, dass die operative Führung Magnas inzwischen zwar in den Händen von Siegfried Wolf und Donald Walker liegt, aber immer noch geschieht, was der Gründer wünscht. Als Aufsichtsratsvorsitzender und Stimmrechts-Mehrheitseigentümer – nach der Beteiligung von Deripaskas Russian Machines hält Stronach noch 43 Prozent der Anteile – genießt er praktisch Narrenfreiheit.

Auch, dass Stronach laut einer Magna-internen Regelung drei Prozent des Profits zustehen, was ihm in den vergangenen fünf Jahren ein Einkommen von 168 Millionen Dollar beschert hat – mehr, als die Chefs der drei größten US-Autofirmen zusammen verdient haben. Und dass der Chef heute zuweilen mehr seinen großen Hobbys, dem Pferderennsport und den Pferdewetten, nachgeht, als sich um das Autogeschäft zu kümmern.

Das ist auch dessen gutes Recht. Für Verunsicherung sorgt allerdings, dass die verlustreiche Magna Entertainment Corporation, die mit knapp 400 Millionen Dollar in der Kreide steht, anscheinend immer wieder Zuwendungen von Magna bekommt. So hat die ausgegliederte Magna International Developments vergangenes Jahr 84,7 Millionen Dollar für zwei Golfanlagen in Oberwaltersdorf und in Aurora, Ontario, an die Magna Entertainment Corporation bezahlt. Wolf dementiert dennoch heftig, dass ein Zusammenhang mit dem Mutterkonzern besteht, und meint: „Das ist komplett aus der Luft gegriffen. Das sind zwei grundverschiedene Unternehmen. Wir führen unser Unternehmen nach den strengsten Regeln der Börse überhaupt. Das ist so weit weg, das will ich nicht einmal kommentieren.“

Am Scheideweg. Die Methoden des „sehr ungewöhnlichen Mannes mit sehr ungewöhnlichen Methoden“, wie Rudolf Streicher, Mehrheitseigentümer der Steyr Motors GmbH, Stronach beschreibt, sind jedoch nicht das alleinige Fragezeichen für die Zukunft von Magna International. Obwohl sich niemand vorstellen kann, dass sich Stronach gänzlich zurückzieht, werden die Weichen in Richtung Unternehmensnachfolge gestellt. Belinda Stronach, 41-jährige Tochter des Chefs, hat im April angekündigt, ihre Politikerkarriere in Kanada zu beenden und zu Magna zurückzukehren, wo sie die Position der Vizepräsidentin des Aufsichtsrats innehat.

Mit oder ohne Frank Stronach steht der nach Delphi und Bosch weltweit drittgrößte Autozulieferer vor der größten Herausforderung seiner Geschichte. Das Geschäft in Nordamerika und Europa geht zurück, und Magna bemüht sich seit dem Jahr 2000 eher wenig erfolgreich, in Asien ins Geschäft zu kommen. 2006 konnte der Konzern mit seinen zwölf in Asien verteilten Standorten, an denen 3000 Mitarbeiter beschäftigt sind, nur einen vergleichsweise mageren Umsatz von 130 Millionen Dollar erwirtschaften. Die Werke in Nordamerika und Europa sind damit zehnmal so produktiv wie die in Asien. Und bei den boomenden asiatischen Autoherstellern ist Magna nicht gut im Rennen. Sie setzen bei der Expansion auf eigene Zulieferbetriebe.

Düsterer Ausblick. Magna ist zum Großteil abhängig von den großen drei der US-Automobilindustrie, die ihrerseits massive Probleme haben. General Motors und DaimlerChrysler sind dabei die wichtigsten Umsatzbringer. Die Geschäfte mit den beiden Konzernen machen jeweils ein Viertel des Magna-Jahresumsatzes aus. Weitere 15 Prozent hängen an Ford, 18 Prozent an BMW. Da BMW Mitte Mai angekündigt hat, das Modell X3 in Zukunft im eigenen Werk in Spartanburg, USA, zu fertigen, wird Magna noch abhängiger von seinen übrigen Hauptgeschäftspartnern.

Analysten sehen die Zukunft des Automobilzulieferers daher trotz bester Bonität und Liquidität getrübt. „Der Grund dafür sind die allgemein recht beachtlichen Probleme der Autozulieferindustrie insgesamt sowie die schlechte Position der drei Hauptkunden“, erklärt Greg Pau von Standard & Poor’s, „und Magna darf bei der Expansion in die neuen Märkte nicht zu aggressiv vorgehen.“

Expandieren will Magna vor allem nach Russland, das in der Autoindustrie als Boom-Land gilt. Für General Motors ist Russland heute bereits der fünftgrößte Automarkt in Europa. Allerdings sind die Verkaufszahlen noch nicht überwältigend. Im 145-Millionen-Einwohner-Land wurden 2006 nur etwas mehr als zwei Millionen Autos verkauft, wovon etwa die Hälfte ausländische Modelle waren.

Magnas erste Schritte in das Boom-Land scheinen auch nicht unbedingt nach Wunsch zu verlaufen. Ende Mai bestätigte der russische Vizepremier Sergej Iwanov, dass Avtovaz, der größte russische Pkw-Hersteller, gemeinsam mit Magna einen Kompaktwagen für den russischen Markt entwickeln wird, der weniger als 10.000 Euro kosten soll. Dem Pkw-Bauer fehlt aber offenbar das Geld, um das Projekt durchziehen zu können. Nach Bekanntwerden des Joint Ventures hat Avtovaz erst einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Dollar beantragt, danach Schuldpapiere für knapp 200 Millionen Dollar verkauft und schließlich eine höhere Kreditobergrenze von 20 Milliarden Rubel (770 Millionen Dollar) beantragt. Und vermutlich wird Avtovaz für das Projekt weitere Kredite benötigen.

Die Milliarden des Oleg Deripaska, der am 10. Mai auf der Aktionärs-Hauptversammlung als neuer Großaktionär präsentiert wurde, sollen es richten. Unklar ist jedoch noch, welche Rolle der Aluminium-, Stahl- und Automobilmagnat in Zukunft bei Magna International einnehmen wird und ob die von ihm entsandten Aufsichtsräte, die 43 Prozent der Stimmrechte halten werden, immer mit Stronach stimmen werden. Und die Kleinaktionäre müssen ebenfalls erst ihre Zustimmung zu dem neuen Miteigentümer geben. Sie wollen sich das Votum mit einer Sonderdividende abkaufen lassen. Eine Forderung, auf die Wolf nicht einmal eingehen will.

Frank Stronach, der in den vergangenen Monaten von einem Termin bei Chrysler, Deripaska und Putin zum andern gejettet ist, genießt währenddessen die Ruhe nach dem Sturm auf seiner Ranch in Kanada und belächelt Kritiker wie immer. „Es gibt immer wieder Kritiker. Aber so ist das eben, wenn man in einer freien Gesellschaft lebt“, pflegt er zu sagen, „wer aber nicht in die Zukunft investiert, macht einen Fehler.“

Von Peter Sempelmann

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