Plagiate: Im falschen Paradies

Das Sopron Plaza ist der Tempel all jener, die Luxuslabels als Insignien des höchsten Seins vergöttern – ohne für den schönen Schein viele Scheine opfern zu wollen.

Ein silberner Mini Cooper mit Wiener Kennzeichen sucht verzweifelt einen Parkplatz. Die meisten sind besetzt, die unbesetzten zu eng.

In 10-Zentimeter-Gucci-Stilettos parkt es sich halt nicht so leicht. Endlich, ein Mini-Van setzt sich in Bewegung, das könnte gehen. Die Türen schwingen auf – und zwei Modepuppen schwingen sich aufs Pflaster. Die eine ganz in Burberry gehalten, mit Pelz-Cape, die schwarzen Gucci-Schühchen dazupassend. Die andere, eingekleidet von Chanel, schlichtes Kleid, kurz und knapp – das neue Twiggy-Modell. Dazu Overknee-Stiefel, natürlich von Chanel, und die dazugehörige CC-Tasche fest im Griff. Madame Burberry stöckelt aufgeregt der gläsernen Schiebetür entgegen, die Fee de Chanel plappert mit ihrer Schulter – und dem Handy, das sie damit hält. Ein letzter Zug an der Zigarette, das Handy wird zugeklappt. Sie sind da. Angelangt im Paradies.

Und der Empfang ist gleich im ersten Laden himmlisch. Der Geschäftsführer rauscht auf die beiden zu. Bussi hier, ein Gläschen Prosecco da. Dann zeigt er seine schönsten Schätze. „Mon Dieu, die Reporter-Bag von Chanel“, haucht die Fee. Ihr Entzücken ist verständlich, schließlich wird das gute Stück nicht einmal mehr produziert. Mit Kennerblick prüft sie das CC-Logo aus Pythonleder, wirft einen Blick ins Innere, sieht befriedigt das knallige Seidenfutter in Orange. Auch alles andere passt. Die unverwechselbare Chanel-typische Leder-Steppung, die Beschläge, alles Top-Qualitiät. Von dieser Tasche gab es nur eine ganz geringe Stückzahl, und eine davon hält sie jetzt in Händen.

Aber das nicht am Kohlmarkt, im gefeierten Chanel-Flagship-Store in der Wiener Innenstadt, sondern in Sopron, 65 Kilometer von Wien und acht Kilometer vom Grenzübergang Deutschkreutz entfernt.

Fälschungshochburg. Das Einkaufscenter Sopron Plaza ist ein Geheimtipp für jene, die Imitate auf allerhöchstem Niveau von Produkten der großen Luxusmarken suchen. Die Uhren, Brillen, Taschen und anderen Accessoires von Gucci, Prada, Louis Vuitton oder Rolex, die dort angeboten werden, sind nicht billige Imitate, die auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind. Es sind täuschend echt wirkende Nachahmungen von höchster handwerklicher Qualität – natürlich zu einem unvergleichbaren Preis.

Das Wesen aus Chanel greift jetzt lächelnd zu dem kleinen Preisschild: 140 Euro, wirklich entzückend; das Original kostet mehr als das Zehnfache.

Die beiden trinken ihr Glas aus und verabschieden sich vorerst. Man sieht sich in zwei Stunden wieder. Die Damen müssen jetzt zu Maniküre und Pediküre. Auch das wird hier zu erstaunlich günstigen Preisen angeboten.

Produktpiraterie ist eine der am schnellsten wachsenden Branchen der Welt. Louis Vuitton zählt zu den beliebtesten Marken mit der höchsten Fälschungsfrequenz. Es gibt weltweit keine Outlets, keinen Ausverkauf – und es wird grundsätzlich nichts reduziert. Louis Vuitton gibt es nur bei Louis Vuitton – glaubt Louis Vuitton. Das Nachahmen von Marken, gleichermaßen illegal und lukrativ, macht heute weltweit bereits 360 Milliarden Euro Umsatz. Somit finden fünf bis sieben Prozent des Welthandels mit gefälschten Waren statt. Mehrere Verordnungen der EU sowie das Produktpiraterie-Gesetz von 2004 regeln das Verbot des Nachahmens und die Sanktionen bei Verstößen. In Österreich beschlagnahmte die Zollverwaltung allein vom 1. bis 3. Quartal 2006 Waren im Wert von fast zehn Millionen Euro. Allen voran Uhren und Schmuck sowie Bekleidungszubehör (Taschen, Gürtel, Schuhe, Sonnenbrillen). Die Waren aus dem benachbarten Ungarn sind da nicht dabei.

Schöner Schein. Erster Stock im Plaza. Ein Ehemann sitzt gelangweilt im Café. Seine Gemahlin ist vor genau zwei Stunden im Beauty-Tempel verschwunden. Einmal im Monat fahren sie nach Sopron, meist am Sonntag. Endlich. Seine runderneuerte Frau fliegt auf ihn zu. „Schatzi und jetzt müss ma noch da rein“, zirpt sie in breitem Wienerisch. Wortlos folgt er ihr in einen Laden. Zwei Minuten später hat sie eine traumhafte Hermès-Tasche entdeckt, weiches Leder, große Taschenöffnung. Die

Jane-Birkin-Kelly-Bag, seit 1984 ein Erfolg und heute ein moderner Klassiker. Das Markenzeichen „Le Duc“, eine vierrädrige Kutsche mit Zweiergespann, ist genau dort, wo es hingehört. Das Stück ist weltweit kaum mehr erhältlich. Wenn, dann nur für die A-List der Prominenz, die sich gerne auf exklusiven Wartelisten registrieren lässt, um den Preis eines Durchschnitts-Pkws dafür zu zahlen. In Sopron ist die detailgetreue Tasche für zirka 200 Euro zu haben. Dazu passt eine funkelnde Rolex-Chronometer, nett an der Kassa drapiert. Das Original ist mit einem Perlmutt-Ziffernblatt aus 18-Karat-Weißgold und dem Pearlmaster-Band mit 188 Diamanten ausgestattet, stolzer Preis: etwa 73.000 Euro. Jene an der Kassa optisch völlig identisch, nur eben komplett aus Silber, die Diamanten durch Zirkonia ersetzt, der Preis ein Schnäppchen, lächerliche 100 Euro.

Ein junger Mann betritt den Laden, sichtlich nervös. Er hat seine Freundin im Schlepptau. Er weiß, zum Antrag muss es der Tiffany-Klassiker sein, der Verlobungsring mit Diamant im Lucida-Schliff. Seine Freude über die Boutique-Eröffnung in Wien währte nicht lang. Der Schmuck dort ist einfach nicht bezahlbar. Nicht so im Sopron Plaza. Dort gibt’s „Fastfood bei Tiffany“. Zwar fehlt den Silberringen der Diamant, aber die Tiffany-Gravur allein spricht für sich, der Preis von 65 Euro sowieso.

Was den jungen Mann freut, treibt die großen Luxusmarken immer mehr zu Aktionen gegen das Fälscherhandwerk. Es geht um den Schutz geistigen Eigentums, die Verletzung ihrer Patentrechte. Der Verlust, der Louis Vuitton, Gucci, Prada und Co dabei entsteht, ist schwer zu berechnen. Es handelt sich in erster Linie um immateriellen Schaden in Form von „Imageverlust“. Das Premiumsegment lebt davon, dass sich nur die wirklich gut betuchte Klientel seine Produkte leisten kann. Designer konzentrieren sich vermehrt darauf, besondere Kollektionen in begrenzter Stückzahl zu entwerfen, um die ultimative Exklusivität zu wahren. Und dann stakst plötzlich die nette kleine Sekretärin mit einer täuschend echten Prada-Tasche am Handgelenk über den Kohlmarkt. Mon Dieu, horrible! Das kann Frau Generaldirektorin nicht dulden; schließlich bezahlt sie horrende Summen, um sich von Otto Normalverbraucher abzugrenzen.

Plagiate-Business. „60 Prozent der in Europa sichergestellten Warenfälschungen kommen aus China“, weiß EU-Kommissar Laszlo Kovacs. Fabriken in China, in denen Markenartikel hergestellt werden, werden just einige hundert Meter weiter ein zweites Mal aufgebaut. Mit genau den gleichen Maschinen werden exakt dieselben Waren hergestellt. Nur werden diese Imitate ohne Lizenz erzeugt. Während die großen Luxusmarken Entwicklungskosten – und natürlich auch den Marketingaufwand – in ihren Preisen verbuchen müssen, stellen Billigstarbeitskräfte für Markenfälscher ein Produkt nach den schon vorhandenen Plänen her. Und dann unterscheiden sich diese Produkte, abgesehen vom Material, fast nicht vom Original.

Ferruccio Ferragamo, Chef des gleichnamigen italienischen Luxuslabels, kämpft natürlich genauso mit dem Problem der Produktpiraterie. Er gibt viel Geld für Anwälte aus oder den Schutz seiner Modelle mit Datencodes. Dennoch sieht er bei dem Thema, das die Vertreter von Rolex bis Omega zu wilden Verfolgungsfeldzügen gegen die Fälscher treibt, auch die andere Seite der Medaille: „Ich erinnere mich an meine Mutter, die sich immer aufregte, wenn sie in Geschäften Kopien von meinem Vater Salvatore sah. Er blieb dagegen gelassen. Wanda, sagte er, du musst dir erst dann Sorgen machen, wenn sie mich nicht mehr kopieren.“ Kopiert wird eben nur, was Absatz findet.

Die Nägel auf Hochglanz poliert, das Haar perfekt geföhnt, finden sich Madame Burberry und die Fee de Chanel wieder in ihrem Lieblingsladen ein. Die Burberry liebäugelt bereits mit einer ganz besonderen Louis-Vuitton-Tasche. Designer Marc Jacobs gelang mit der limitierten Edition der Onatah-GM-Yellow-Fleurs-Aragosta-Bag ein besonderer Clou. Die Rauledertasche mit den Monogramm-Blumen ist ein absolutes „must have“. Der Original-Ladenpreis liegt bei etwa 900 Euro, im Plaza bei knapp 100 Euro.

Das Imitat ist brillant, es hat nur einen „Makel“ – im Volksmund als Seriennummer in Designertaschen bekannt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um schlichte Seriennummern, sondern um Datencodes. Das Kürzel besteht aus zwei Buchstaben und vier Ziffern, mit den Angaben über Ort, Monat und Jahr der Artikelherstellung. Jede neue Kollektion sieht einen anderen Platz für diesen Datencode vor, ob auf kleinen Lederschildern, direkt im Futter eingeprägt, in der Henkelaufhängung oder in der Verschlussschnalle. Hier passieren beim Imitieren die meisten Fehler. Aber was soll’s, den kleinen Haken nimmt sie gern in Kauf. Nur die Chanel-Fee kann sich nicht entscheiden. Prada-Tasche Logo Jacquard aus der neuen Herbst/Winter-Kollektion 2006/07 oder doch Chanels Reporter? Sie bleibt sich treu und bei Chanel.

Beschwingt staksen die beiden wieder zu dem Mini – vollkommen frei von Angst oder Sorge vor Kontrollen. Denn die beiden wissen genau, wie weit ihr Kaufrausch gehen darf: Im persönlichen Reisegepäck können gefälschte Waren nicht beschlagnahmt werden, wenn sie den Wert von 175 Euro nicht übersteigen.

von Jasmin Schakfeh

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