Luxus-Test: Vive le Champagne!
„Darf’s ein Glas Champagner sein?“ – „Nein danke, ich nehme lieber einen Wein.“
Man muss den Österreichern nachsehen, dass sie das Nationalgetränk der Franzosen nicht für Wein halten. Immerhin ist es noch keine 20 Jahre her, dass sich begnadete Sturztrinker nach dem Weinskandal plötzlich zu Genießern und Kennern wandelten. Mittlerweile haben die Österreicher nach Rioja, Wachau und Toskana bereits Australien und das Mittelburgenland entdeckt. Die Weine aus der Champagne allerdings noch nicht.
„Uns fehlt einfach die Gourmet-Tradition Frankreichs“, klagt Hermann Botolen, Geschäftsführer des Restaurants Meinl am Graben. „Sogar in der Schweiz wird viermal so viel abgesetzt wie in Österreich.“
Bisher wurde Champagner in Österreich vor allem als rituelles Prestigegetränk verstanden, das zu ganz bestimmten Anlässen gereicht wird. „Viele glauben, dass was Besseres drin sein muss, sobald Champagner draufsteht“, diagnostiziert Jungönologin Marion Ebner. Daher werden gerne Standardprodukte von großen Häusern mit klingenden Namen gekauft, die nach Botolens Erfahrung nicht selten mindere Chargen – oft aus der Lohnvergärung bei Genossenschaften – nach Österreich schickten.
Das bislang geringe Interesse der heimischen Weinfreunde hat auch einen aktuellen Grund: In den letzten Jahren begeistern sich die Österreicher vor allem
für lautstarke, pubertäre Kraftlackel mit marmeladenhafter Fruchtkonzentration und beinhartem Eichenholzgerippe – Rote und Weiße, die wie Granaten im Mund explodieren. Wirklich gute Champagner (und das sind – wie in jeder anderen Weinregion – gerade einmal zehn Prozent der Gesamtproduktion von 300 Millionen Flaschen) spielen da in einer anderen Liga: Sie gleichen raffinierten Juwelen, deren Facetten sich erst Schluck für Schluck eröffnen – Vins de méditation eben, nicht anders als Bordeaux oder Burgunder.
Einzigartiges Terroir. Edle Champagner sind einzigartige Weine – und nicht bloß wegen des feinen, kristallenen Mousseux (in jeder Flasche schlummern rund 250 Millionen Bläschen): Die Reben stehen in einem der nördlichsten Weinbaugebiete Europas, in der Region rund um Reims.
Sowohl das Klima als auch die Böden – nur 50 Zentimeter Humus über mächtigen Kreideschichten – zwingen die Weinstöcke, sich anzustrengen, was die Chancen auf besonders charaktervolle Weine stark verbessert.
Neben der roten Pinot-Noir-Traube mit ihrem fleischigen Charakter und schwebenden Beeren-, Zwetschken- und Pilzaromen wurde vor allem weißer Chardonnay ausgepflanzt, der hier besondere Feinheit und Delikatesse entwickelt und neben seiner Frische auch viele spannende Komponenten (zum Beispiel Hollerblüten, Äpfel, Vanille und Haselnüsse) beisteuert.
Die klassischen Champagner sind in der Regel Cuvées aus drei Rebsorten (zu den beiden genannten kommt die rustikale Pinot Meunier). Das gilt sowohl für Standardprodukte (um 15 bis 25 Euro), die aus mehreren Jahrgängen gemischt werden, als auch für teure, meist edlere Jahrgangschampagner und die exklusiven Prestige-Cuvées (Preise zwischen 70 und 170 Euro), in die das Beste vom Besten einfließt. Daneben wird in jüngster Zeit immer mehr so genannter Blanc de Blancs hergestellt – reinsortiger Champagner aus der weißen (= französisch „blanc“) Chardonnay-Traube.
Das Gemeinsame all dieser Varietäten ist ein ungemein aufwändiger Entstehungsprozess.
Sündteure Trauben. 90 Prozent der Weingartenfläche der Champagne, insgesamt 34.000 Hektar (Österreich gesamt: 49.000 Hektar), sind im Besitz von Kleinbauern, der Rest gehört den großen traditionellen Champagnerhäusern, die den Großteil der Trauben zukaufen müssen. Da händisch geerntet und verlesen werden muss, sind die Kilopreise – zwischen vier und fünf Euro – geschmalzen.
Nach dreistufiger Pressung (bessere Häuser verkaufen das Produkt der dritten Pressung an Brennereien) wird der Most in der Regel in Stahltanks bei niedrigen Temperaturen schonend vergoren. Diese Grundweine werden nun verschnitten, in Flaschen gefüllt und mit Hefe und Zucker versetzt – die langsame Nachgärung zaubert die feinen Perlen in den Wein. Nach einer Reifeperiode von 15 Monaten bis acht Jahren (je länger, desto eleganter und komplexer die Aromen) werden die anfangs liegenden Flaschen regelmäßig gerüttelt und schrittweise aufgerichtet, damit das Depot in den Flaschenhals rutscht.
Nun wird der Flaschenhals in eine tiefgekühlte Salzlösung getaucht, das Depot friert am Korken fest und wird beim „Degorgement“ herausgeschleudert (der Druck entspricht dem eines Lkw-Reifens). Bevor die Flasche wieder rasch verschlossen wird, erhält der Champagner noch die so genannte Dosage, womit nach Wunsch Restsüße im Wein erzeugt werden kann. Heutzutage sind freilich trockene Produkte (brut) oder sogar knochentrockene (extra brut) gefragt.1)
Mittlerweile werden auch andere Schaumweine nach der „méthode champenoise“ (also mit Flaschengärung) hergestellt – darunter auch einige Spitzensekte aus Österreich. Dass Champagner nach Meinung der Auskenner trotzdem überlegen sind, hat freilich nicht nur mit Kreideböden und speziellem Mikroklima zu tun, sondern vor allem mit der langwierigen, kostspieligen Flaschenreife – und folgt außerdem einer zwingenden Logik: Österreichische oder deutsche Winzer werden selbst für den besten Sekt niemals ihren besten Wein opfern, wie das die Champagnerproduzenten sehr wohl tun.
Champagner vom Winzer. Mittlerweile kommen übrigens immer mehr Weinbauern in der Champagne auf die Idee, die Trauben ihrer besten Lagen selbst zu verarbeiten. Christian Weininger, im Hauptberuf Architekt, verkauft seit fünf Jahren solche Winzer-Champagner in seiner Vinothek Jeroboam in der Wiener Schleifmühlgasse – insgesamt über 100 Varietäten. Seine Kundschaft: „Eine Minderheit, die sich durchkostet, die Vielfalt der Champagner entdeckt und einen persönlichen Geschmack entwickelt, wobei die Blanc de Blancs besonders viele Anhänger finden.“
Letzteres bestätigt auch Botolen vom Meinl am Graben – das Interesse an Champagnern nehme in letzter Zeit generell zu: „Das ist möglicherweise wie bei den Destillaten – da haben die Österreicher früher ja auch jeden Fusel getrunken, aber in den letzten Jahren entdeckt, was es für großartige Qualitäten gibt.“
1) Brut nature enthält bis zu drei Gramm Restzucker, Extra brut bis zu sechs und Brut maximal 15 Gramm, wobei der Restzucker in keiner Phase vorschmecken darf. Vor hundert Jahren galten andere Maßstäbe: Der in England beliebte trockene Champagner enthielt 50 Gramm Restzucker, der nach Russland gelieferte sogar 300 Gramm.