Interview: Erfolg ohne Hirn
Gunther Dueck, Mathematiker, Philosoph und Träger des Wirtschaftsbuchpreises 2006 über den Mangel an Intelligenz unter Managern.
trend: Wie fühlt man sich, wenn man als Wissenschafter ein Management-Buch schreibt und dafür auf der Frankfurter Buchmesse prompt den Wirtschaftsbuchpreis erhält?
Dueck: Erleichtert, weil mein Arbeitgeber mich jetzt nicht dafür kritisieren kann. Es ist aber schon erstaunlich, weil mein Buch Lean Brain Management eigentlich eine Satire ist. Das merken allerdings nicht alle. Der Tenor einer Rezension war beispielsweise, dass es schlichtweg das schlechteste Buch ist, das bisher zum Thema Lean Management geschrieben wurde und daher absolut nicht empfehlenswert.
Dabei trägt Ihr Buch doch den streng wissenschaftlichen Untertitel Erfolg und Effizienzsteigerung durch Null-Hirn.
Ich habe die These des Lean Management, der Vereinfachung der Strukturen in einem Unternehmen, weitergedacht. Demnach sind ja Unternehmen umso effizienter, je weniger Ressourcen sie benötigen. Das ist aber meiner Meinung nach nicht unendlich skalierbar. Wenn man von einem Skelett immer mehr und mehr Knochen wegnimmt und die vorhandenen immer dünner macht, bricht es zusammen.
Wenn man sich umsieht, egal ob in der Wirtschaft oder in der Politik, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass man umso erfolgreicher ist, je weniger Intelligenz man einsetzt. So ist der Gedanke mit null Hirn zum Erfolg entstanden
Das mag in Einzelfällen stimmen, aber warum sollen intelligente Mitarbeiter für Unternehmen nicht wertvoll sein?
In Unternehmen wird die Intelligenz der Mitarbeiter nicht benötigt. Call-Center-Agenten sind die Inkarnation der abgespeckten Intelligenz. 95 Prozent ihrer Antworten sind vorgefertigt, dafür müssen sie nicht einmal nachdenken. In vielen anderen Unternehmen ist es aber kaum anders. Die Prozesse sind vordefiniert, die Arbeitsroutinen oft durch Software vorgegeben. Mitarbeiter, die etwas ändern könnten, sind gar nicht gefragt, weil jede Änderung auch Kosten und Mühen verursacht.
Es gäbe aber auch die Möglichkeit, etwas zu verbessern.
Das schon, aber wirklich ehrgeizige Projekte lassen sich nicht umsetzen. Ich bin zur Dueckschen Naturkonstante gelangt, nach der das Optimum aller Verbesserungen bei fünfzehn Prozent liegt. Wenn man in einem Unternehmen zwanzig bis dreißig Prozent Ersparnis in Aussicht stellt, dann gilt das als nicht umsetzbare Utopie, und zehn Prozent erscheinen dagegen wieder zu wenig ehrgeizig. Fünfzehn Prozent sind daher das Optimum aller Verbesserungen.
Das Gleiche gilt auch für das Risiko. Zehn Prozent gelten als zu konservativ, zwanzig Prozent als zu riskant. Fünfzehn Prozent Risiko werden dagegen in der Regel eingegangen.
Die idealen Mitarbeiter sollten also möglichst wenig verändern und bei der Arbeit auch noch das Hirn ausschalten?
Das passiert ohnehin. Wenn gut bezahlte Mitarbeiter Reisekostenabrechnungen ausfüllen, hat ihre Arbeit eigentlich nur ein Fünftel ihres Wertes. Sie werden aber immer nach ihrer Peak-Intelligenz bezahlt. Eigentlich müssten wir aber alle um ein Drittel weniger verdienen, weil wir ja so oft dummes Zeug machen.
Es finden sich sicher Unternehmer, die diesen Vorschlag sofort umsetzen wollen.
Ach, Unternehmer fällen ihre Entscheidungen doch zumeist nur, weil sie aus kausalen Zusammenhängen die falschen Schlüsse ziehen. Wenn es zum Beispiel eine Statistik gibt, nach der Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil erfolgreicher sind, glauben sie sofort, dass sie mehr Erfolg haben, wenn sie mehr Frauen einstellen.
Das ist ein ebenso falscher Umkehrschluss, wie den Satz Wenn die Mitarbeiter zufrieden sind, geht es dem Unternehmen gut, umzudrehen. Wenn es dem Unternehmen gut geht, muss es den Mitarbeitern noch lange nicht gut gehen. Gerade so werden aber Entscheidungen getroffen. Management ist oft eine Mischung aus Irrsinn und Schwachsinn.
Eines Ihrer früheren Bücher heißt Topothesie Der Mensch in artgerechter Haltung. Wie sollten denn Mitarbeiter artgerecht gehalten werden?
Meine Theorie ist, dass Manager und Mitarbeiter in direktem Konfliktverhältnis stehen, weil der philosophisch gesehen gesunde Mensch der ist, der im kapitalistischen Sinn den wenigsten Gewinn abwirft.
Wie ist das zu verstehen?
Nun, auf die Arbeitswelt umgelegt, bedeutet das: Wer glücklich bei der Arbeit ist, ist auch am produktivsten. Ist die Arbeit optimiert, geht sie auch leicht von der Hand. Man arbeitet in einem Flow.
Wenn Manager sehen, dass den Mitarbeitern die Arbeit leicht von der Hand geht und sie fröhlich pfeifend am Arbeitsplatz sitzen, denken sie aber sofort, dass sie zu wenig ausgelastet sind, und geben ihnen gleich noch mehr Arbeit. Damit sinkt aber die Produktivität. Damit sind die Manager die eigentlichen Feinde des Gewinns.
Und dieser Zwiespalt lässt sich nicht auflösen?
Nein, weil Manager zur Mehrheit der Menschen gehören, die extrem von ihrer linken Hirnhälfte gesteuert werden. Linkshirnige Menschen denken in Listen, Rezepten und Tabellen, das ist wissenschaftlich durch Tests von Carl Gustav Jung belegt.
Die übrigen kommen unter die Räder?
Zeit ihres Lebens. Die ganze Bildungspolitik ist ja extrem links. Die höhere Schule ist für die vierzig Prozent der Linkshirne gemacht. Die vierzig Prozent der Bauchmenschen landen auf der Hauptschule und werden als Hilfsarbeiter entsorgt, und die kreativen, rechtshirnigen Menschen müssen sich unterordnen.
Das bleibt auch später im Berufsleben so. Die Industrie ist ja geprägt von Qualität und Zahlen. Freude und Entzücken haben da keinen Platz. Die Diktatur des linkshirnigen Denkens wird durch den Einsatz von Softwareprogrammen wie SAP unterstützt.
Für die Unternehmen sind solche Produkte aber auch notwendig, um sich auf ihre eigenen Stärken konzentrieren zu können.
SAP ist ein deutsches Produkt, das in Schulnoten misst. Es geht davon aus, dass der Stand der Dinge bei Vier minus ist. Da werden Defizite nur aufgeschrieben, und dort, wo man eine Fünf hat, gibt es Nachhilfe. In ganz Europa und fast überall auf der Welt ist der Stand der Wirtschaft, so gesehen, auf Vier minus.
Das Gegenbeispiel ist die Kraft von Silicon Valley. Dort setzt man sich zusammen und überlegt, wie man etwas bewegen kann. Dazu gehört aber auch Intelligenz, und die gibt es in Deutschland und Europa kaum.
Interview: Peter Sempelmann