„In die Nähe einer Bananenrepublik“

Wienerberger-Boss Wolfgang Reithofer erläutert seine Ideen zur Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, zur Problematik der wachsenden Einkommensunterschiede, und wie er die Zukunft der ÖBB sieht.

trend: In den letzten Monaten sind die ÖBB, deren Aufsichtsratschef Sie sind, in der Öffentlichkeit primär durch Streitereien aufgefallen. Haben Sie Ihre Leute nicht im Griff?
Reithofer: Zunächst einmal, der Aufsichtsrat ist nicht das Management und führt nicht das Unternehmen. Das macht der Vorstand. Punkt zwei, die Darstellung in der Öffentlichkeit ist natürlich sehr stark davon geprägt, dass die Medien mit Begeisterung Negativthemen bringen. Das gilt auch für die ÖBB. Drittens: Nur wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, kommt es in Wirklichkeit zu einer Weiterentwicklung, weil dann beide Seiten gezwungen sind, über Argumente, über den Sinn und Zweck nachzudenken.

Aber dient es auch der Weiterentwicklung, wenn Sie Ihrem Vorstandsvorsitzenden via Medien ausrichten, dass sein Wunsch nach einer starken, zentralen ÖBB-Holding mit GmbHs anstelle der jetzigen Aktiengesellschaften darunter falsch ist?
Meine Aussage hat sich ja weniger auf den Herrn Huber (ÖBB-Holdingvorstand Martin Huber, Anm.) bezogen, sondern mehr auf die Haberzettl-Aussagen (ÖBB-Gewerkschaftsboss Wilhelm Haberzettl, Anm.).

Aber in diesem Punkt sind sich die Herren Huber und Haberzettl ja offenbar einig.
Nein, Huber hat kein Wort gesagt über GmbHs. Es gab da eine Veranstaltung zum Thema Nahverkehr, und daraus ist dieser Zeitungsartikel entstanden. Der hat überhaupt nichts mit dem Thema zu tun gehabt, und Huber hat auch nichts dazu gesagt.
Könnten Sie sich vorstellen, einen Konzern wie Wienerberger zu führen, wenn unter der Konzernholding – wie bei den ÖBB – lauter Aktiengesellschaften angesiedelt wären?
Ich glaube, es geht hier nicht um die Rechtsform, sondern um die Managementkultur. Die muss bei den ÖBB entwickelt werden, und da ist, glaube ich, 2005 sehr viel Fortschritt gemacht worden, 2006 vielleicht weniger. Es geht um das Selbstverständnis des Managements innerhalb der operativen AGs, dass sie nicht allein auf der Welt sind, sondern in einem größeren Ganzen, an dem sie sich zu orientieren haben. Die Rechtsform ist da nicht so entscheidend.

Ein Vorteil des AG-Modells ist, dass dann beim Güter- und Personenverkehr leichter Partner hereingenommen oder Börsengänge durchgeführt werden können.
Das ist eine Entscheidung des Eigentümers. Management und auch Aufsichtsrat werden sich bemühen, die Unternehmen so zu entwickeln, dass sie vielleicht an die Börse gehen können.

Wann sind diese beiden Unternehmen Ihrer Meinung nach börsefit?
Als Erstes, glaube ich, ist es der Güterverkehr, weil dort die Voraussetzungen etwas leichter zu schaffen sind, und ich würde meinen, man braucht sicher drei Jahre von jetzt an.

Und beim Personenverkehr?
Wenn’s gut geht, drei bis vier Jahre.

Sie gelten als Verfechter einer Infrastrukturholding. Kritiker meinen, dass eine solche Holding wenig Synergien, dafür aber ein hohes Klumpenrisiko bringt.
Also das Risiko hat ohnehin der Staat. Ich gehe nicht unbedingt davon aus, dass es zum Beispiel zwischen einer Asfinag und einer ÖBB Synergien gibt. Das, was ich als interessant sehe – ich habe einerseits das Fachministerium, das für die fachlichen Vorgaben, die Rahmenbedingungen und die politischen Zielsetzungen sorgt, zum Zweiten habe ich mit einer Holdinggesellschaft, die vielleicht im Bereich des Finanzministeriums angesiedelt ist, eine stärkere Orientierung aufs Betriebswirtschaftliche. Und ich glaube, bei allen Infrastrukturgesellschaften des Bundes ist es interessant, den Spagat zwischen betriebswirtschaftlichem und öffentlichem Interesse zu versuchen. Denn ich werde ein Infrastrukturunternehmen, würde ich als österreichischer Staatsbürger meinen, nicht ausschließlich betriebswirtschaftlich führen. Sonst habe ich ein Stromnetz wie in Kalifornien, wo ich jedes Jahr Blackouts habe.

Eine solche Infrastrukturholding würde aber Ihren Job und den von Martin Huber überflüssig machen?
Also, ich fang einmal mit dem Aufsichtsrat und mit meiner Person an. Bei dem ganzen Thema ist meine Person völlig unerheblich. Es geht ja wirklich um die beste Lösung und …

Aber eine Holding unter der Holding wird es wohl nicht geben?
Ich würde in dieser Phase ungern dazu Aussagen machen.

Sie gelten als Verfechter von Corporate Social Responsibility. Auf der anderen Seite können Sie auch ganz schön hart sein – etwa wenn es um Werksschließungen, Personalabbau oder das Niederwalzen der Konkurrenz in neuen Märkten geht. Gab es jemals Situationen, wo Sie in Konflikt gerieten mit dem, was Sie taten oder tun mussten?
Menschen haben es am liebsten, wenn sich nichts verändert, zumindest was sie selbst betrifft. Aber in Wirklichkeit lösen sie die meisten Veränderungen aus. Mein Lieblingsbeispiel sind immer die Supermärkte. Neun von zehn Kunden greifen nach dem billigsten Produkt. Wozu führt das? Dass die Unternehmen gezwungen sind, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten und möglichst günstige Preise anzubieten. Heißt: Verlagerung der Arbeitsplätze, auch Rationalisierung, heißt eben, kostengünstig zu sein. So. Die Menschen, denen es am liebsten ist, wenn sich nichts ändert, provozieren in Wirklichkeit diese Veränderungen mit ihrem eigenen Verhalten.

Aber wie ist das für Sie persönlich?
Wir haben bei Wienerberger jetzt nicht das Thema, dass wir hunderte, tausende Leute abbauen müssten. Wenn es um zehn oder zwanzig Arbeitsplätze geht, ist das meistens leichter zu handhaben. Aber ich muss auch denken, was ist notwendig für das gesamte Unternehmen, denn ich kann nicht wegen der zehn oder zwanzig Leute für 13.000 Mitarbeiter schlechtere Rahmenbedingungen schaffen. Damit müssen die Menschen leben. Aber es hängt auch sehr viel davon ab, wie Sie mit den Menschen umgehen. Wie ich damals, das ist jetzt 25 Jahre her, ein Drittel der Leute abgebaut habe, habe ich mit allen selbst gesprochen, und wir konnten uns nachher die Hand geben, in die Augen schauen und miteinander noch reden.

Wo sehen Sie Wienerberger in fünf Jahren?
Wir werden die Strategie, die wir jetzt haben, konsequent fortsetzen. Unsere Märkte sind Europa und die USA. Ich könnte mir vorstellen, dass wir auch außerhalb dieser beiden Kontinente tätig sind, Asien zum Beispiel.

China? Indien?
Denkbar, ja. Und dass wir dort zumindest einmal testen, ob wir wirtschaftlich erfolgreich agieren können. Was die Produkte betrifft, werden wir von Dach und Wand kaum abgehen, aber es kommen vielleicht andere Produkte auf uns zu – nicht nur Dachziegel oder Ziegel, Putzmörtel gehört dazu.

Dämmstoffe?
Theoretisch alles, was zum Wand- oder Dachausbau gehört, also zum Rohbau des Hauses. Darauf sind wir spezialisiert, und das werden wir auch weiterhin tun.
Wird künftig der Dachziegelbereich von Lafarge zu Wienerberger gehören?
No comment, tut mir leid.

Werden Sie persönlich in fünf Jahren noch an der Spitze des Unternehmens stehen?
Mein jetziger Vertrag endet in viereinhalb Jahren. In fünf Jahren? Nein, das ist völlig offen. Das ist kein Thema, da hat niemand drüber nachgedacht, wirklich. Allerdings sehe ich es als eine meiner wichtigsten Aufgaben an, dass es ein ausreichendes Potenzial an möglichen Nachfolgern gibt.

Sie verdienen 1,35 Millionen Euro. Wie groß darf Ihrer Meinung nach die Schere zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Einkommen im Unternehmen sein, sodass es noch akzeptabel ist?
Das ist die schwierigste Frage heute. Ein Michael Schumacher verdient wie viel im Jahr? 100 Millionen Euro? Und fährt einen Formel-1-Wagen. Hier im Unternehmen haben wir 13.000 Leute. Wie wollen Sie da Relationen herstellen zwischen den – nehmen wir an – 100 Millionen, den 1,35 Millionen und den 40.000 oder 50.000 Euro, die ein Arbeiter verdient? Das ist ein extrem schwieriges Thema, eigentlich ein Marktthema.

Sie können den Markt für Manager als Messlatte nehmen. Sie können aber auch diese Einkommensschere betrachten, die immer weiter auseinandergeht.
Ja, das ist ein Problem. Ich bin voll auf Ihrer Seite. Ich habe aber auch kein Patentrezept, wie man damit umgehen soll. Ein Teil der Antiglobalisierungskampagne ist sicher auch auf diesen Aspekt zurückzuführen – vor allem wenn in Amerika bei Konzernen wie Walt Disney die Managereinkommen inklusive Stock Options auf 200 Millionen US-Dollar steigen, liegt das außerhalb jeder begreifbaren Dimension. Aber letztlich sind Manager auch nur Menschen, die Interesse daran haben, mehr zu bekommen. Letztlich sind alle Menschen daran interessiert, mehr zu kriegen.

Auch die Arbeitnehmer. Trotzdem sind die Managergehälter in Österreich im Vorjahr um 15 Prozent gestiegen, die der Arbeitnehmer nur um zwei bis drei Prozent.
Um zu meinem Bezug zurückzukommen: Ich habe zwei Teile. Der eine Teil ist der Fixbezug, der etwas weniger als die Hälfte ausmacht, und der verändert sich ausschließlich im Rahmen der kollektivvertraglichen Erhöhungen. Der zweite Teil ist ergebnisorientiert und kann auch sinken. Da sitzt man im Boot der Aktionäre. Und zum Thema Gerechtigkeit – auch das kommunistische Prinzip ist im Grunde nicht unvernünftig. Als Idee ist es wunderbar, aber es funktioniert leider nicht. Es wird immer wieder ein Schwanken zwischen Extrempositionen geben. Man wird versuchen, die Balance zu finden, ohne den Idealfall jemals zu erreichen – einmal zu weit links, einmal zu weit rechts.

Welche wirtschaftspolitischen Anliegen haben Sie an die künftige Regierung?
Ich sage Ihnen zuerst, was ich nicht für sinnvoll erachte – nämlich so schwachsinnige Aktionen wie den Banken-Untersuchungsausschuss. Man muss sich vorstellen, dass die SPÖ sogar bereit ist, die Bawag negativ anzupatzen, nur damit sie diesen Untersuchungsausschuss machen kann. Das sind für mich Dinge, die den Wirtschaftsstandort unnötigerweise in die Nähe einer Bananenrepublik ziehen, und das macht mich etwas nervös.

Halten Sie es für schlecht, jene Kontrollinstrumente unter die Lupe zu nehmen, die bei den Skandalen rund um Bawag und Hypo Alpe Adria versagt haben?
Die drei Banken, um die es hier geht, sind Bawag, Hypo Alpe Adria und Raiffeisen. Raiffeisen International ist extrem erfolgreich unterwegs. Trotzdem gibt es auch in diesem Zusammenhang Untersuchungen.

Nochmals: Halten Sie es für falsch, Kontrollorgane wie die Finanzmarktaufsicht zu überprüfen?
Ja, weil ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss für mich ein Showdown ist. Dort geht’s nicht darum, die Wahr-heit herauszufinden, sondern den politischen Gegner anzupatzen.
Und Ihre wirtschaftspolitischen Anliegen?
Erstens eine Bundesstaatsreform, also eine Aktualisierung der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Das würde ich als wichtigstes Thema ansehen, weil es Potenziale für eine Senkung der Verwaltungskosten schafft und dem Staat Spielraum für andere Aufgaben gibt. Einen hohen Stellenwert haben auch Bildung, Forschung und Infrastruktur. Und das Dritte sind die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort. Hier geht es um das Thema Steuern, aber auch um die Rahmenbedingungen für den Finanzplatz, um die Vernetzung mit Zentral- und Osteuropa.

In Bezug auf Steuern sagt die SPÖ, dass hier für die Unternehmer ohnehin bereits viel mehr getan wurde als für die übrigen Staatsbürger.
Ich meine hier auch nicht Steuersenkungen für Unternehmen. Ich kann mir vorstellen, dass man den oberen Teil des Mittelstands entlastet. Hier würde ich aber nicht unbedingt den Spitzensteuersatz angreifen. Meines Erachtens müsste man die auf Arbeitseinkommen bezogenen Steuern oder Abgaben umschichten, auch wenn ich mir mit dieser Aussage keine Freunde mache.

Also eine Art Wertschöpfungsabgabe?
Es geht darum, die Teile, die nicht Arbeitseinkommen sind, mit Abgaben zu belegen, also umzuschichten. Und damit geht es letztlich in Richtung Wertschöpfungsabgabe. Wobei ich hiefür sicherlich kein Detailkonzept habe. Aber wenn alle nach Arbeitsplätzen verlangen, richtigerweise, kann ich nicht gleichzeitig diejenigen bestrafen, die Arbeitsplätze schaffen. Natürlich sind die Abgaben allein nicht der Grund dafür, warum keine neuen Arbeitsplätze entstehen, aber trotzdem muss ich das attraktiver machen.

Sie haben kürzlich in einem „profil“-Interview gesagt, dass Sie die Arbeitslosigkeit für die größte Herausforderung halten, die wir derzeit haben.
Ja, und zwar nicht nur in Österreich, sondern in allen entwickelten Ländern, oder überhaupt in allen Ländern. Ich halte es für sozial notwendig, dass die Menschen eine Beschäftigung haben.

Interview: Ingrid Dengg

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