Her mit dem Zaster!
Agile Angreifer aus dem Web setzen die etablierten Banken unter Zugzwang. Die Banken, von der Finanzkrise geschwächt, müssen gleichzeitig Kosten kappen und kundenfreundlicher werden. Ein schwieriger Spagat - mit ungewissem Ausgang.

In der Finanzbranche ist Frank Schwab so etwas wie eine Verbindung zwischen den Comicserien "Flintstones" und "Futurama". Er kennt die Steinzeit der Branche, vor dem Internet, als Banker noch Bankiers genannt wurden. Und er hat die Deutsche Bank federführend ins Onlinezeitalter geführt, damals, als jeder Login noch eine halbe Minute dauerte und bei jedem zweiten Mal abbrach. Zuletzt verantwortete er "Magellan", jenes anderthalb Milliarden Euro schwere Projekt, mit dem die Deutsche Bank ihre EDV vereinheitlichte. Jetzt sagt er: "Klassisches Banking braucht in Zukunft keiner mehr."
Eine markige Ansage, der man trotz Schwabs weichen hessischen Dialekts ("glassisches Banging") auch noch leichten Frust über den oft fehlenden Innovationsmut seines langjährigen Arbeitgebers anhört. Schwab hat deswegen vor ein paar Monaten bei der Münchner Fidor Bank angeheuert, einem Unternehmen, das sich im Vergleich zu herkömmlichen Banken ungefähr so verhält wie Facebook zur Flaschenpost.
Die Fidor Bank existiert ausschließlich im Netz, was noch nichts Besonderes ist. Eher schon, dass es hier keine Kundenbetreuer gibt. "Die bieten eh keine seriöse Beratung", ätzt Schwab, "sondern wollen nur verkaufen." Bei Fidor kann jeder Kunde gleichzeitig Berater sein. Grundlage dafür ist die Netzgemeinde: Jeder der inzwischen 250.000 Nutzer der Fidor-Plattform - 60.000 davon haben ein Girokonto - kann anderen Bank-und Anlageprodukte vorschlagen, Spartipps geben, sogar Geld borgen. Je besser die eigene Beratung dabei von anderen bewertet wird, desto höher der Bonus, der sich etwa in lukrativeren Sparzinsen niederschlagen kann.
Die zugrunde liegende Software, die nicht von Bankern, sondern von Spiele-und Social-Media-Freaks entwickelt wurde, setzt vollkommen auf den virtuellen Kanal: Künftig soll man damit Gold per SMS genauso verschicken können wie Geld per Twitter. Das Konzept ist erfolgreich: Vier Jahre nach dem Start schreibt Fidor schwarze Zahlen, die ersten Expansionsschritte sind gesetzt.
Angriff aus dem Netz. Fidor ist eines von inzwischen vielen Beispielen für eine Entwicklung, die den etablierten Banken künftig schwer zu schaffen machen wird. Die neuen Angreifer haben eines gemeinsam: Sie konzentrieren sich meist auf ein Element aus der Wertschöpfungskette von Universalbanken (siehe Grafik), modellieren es so um, dass es dem Kunden einen Mehrwert bringt, und bieten es dann weit günstiger an. So wird man per Google Mail bald Geld überweisen können.
Auch Facebook experimentiert mit dem Zahlungsverkehr. Vergleichsportale wie durchblicker.at sorgen indes für Transparenz im Produktdschungel und ersetzen die Offline-Finanzberatung. Auf Plattformen wie Wikifolio lässt sich an der Börse zocken, unterstützt nicht vom Bankmitarbeiter, sondern von der Schwarmintelligenz der Netzgemeinde. Und auf Onlinemarktplätzen finden Entrepreneure und Investoren zusammen wie bei Kickstarter, oder Privatleute geben sich untereinander Kredite wie bei Lending Club.
FinTechs, so heißen die neuen Finanzdienstleister, die voll auf die digitale Vernetzung setzen. Binnen fünf Jahren haben sich Investitionen in derartige Start-ups verdreifacht, auf inzwischen drei Milliarden Euro alleine im vergangenen Jahr. Lendico ist eines von ihnen. Das Berliner Unternehmen bietet seit März auch in Österreich seine Dienste an. Die Plattform bringt Privatleute zusammen, die einen brauchen Geld, die anderen wollen welches verdienen. Peer-to-peer-Lending heißt das im Fachsprech: Kredite zwischen Gleichgesinnten. Eine 36-Jährige wirbt hier um 1000 Euro für einen Urlaub, ein 27-Jähriger um 5000 Euro für eine neue Wohnungseinrichtung.
Mehr als 2000 solcher Kreditprojekte mit einem Volumen von über 15 Millionen Euro vermittelt die erst vor wenigen Monaten gestartete, schon jetzt aber in fünf Ländern tätige Plattform. "Gegenüber Banken haben wir zwei Vorteile", doziert Lendico-Gründer Dominik Steinkühler: "Bei uns lassen sich Kredite einfach von zu Hause aus ordern. Und wir verzichten auf teure Infrastruktur, weshalb wir günstigere Zinsen bieten können." Lendico kopiert ein Modell, mit dem Anbieter in den USA oder Nordeuropa bereits seit Jahren hohe Millionenbeträge verschieben. Ein Algorithmus klassifiziert die Kunden nach Ausfallsrisiko. Was nicht heißt, dass dieses besonders hoch sein muss, da Kreditnehmer dieselbe Bonitätsprüfung durchlaufen müssen wie bei herkömmlichen Banken. 90 Prozent der Anfragen lehnt Lendico ab.
Jürgen Winter tummelt sich auf der anderen Seite des Kreditmarktplatzes. Der Küchenchef eines Wiener Haubenlokals legt seit einem Jahr Geld auf Kreditplattformen an. Mit ziemlich gutem Ertrag: Auf der estnischen Plattform Bondora liegen Winters Erträge bislang bei rund 20 Prozent.
Risikolos ist das natürlich nicht, aber Zahlungsausfälle bereiten Winter keine Kopfzerbrechen: "Pro Kreditprojekt habe ich 25 Euro investiert, da schmerzen einzelne Ausfälle kaum." Vermögensstreuung war überhaupt einer der Hauptgründe für Winters Engagement. Aktien habe er auch, und auch damit gebe es höheren Ertrag bei höherem Risiko. "Sparanlagen lohnen sich ja nicht mehr", weiß er, außerdem: "Seit der Krise traue ich Banken weniger als früher."
Kosten kappen und Kunden ködern. Für Traditionsbanken sind das keine guten Aussichten. Viel Vertrauen verspielt, hohe Kosten durch strengere Regulierung und ein dichtes Filialnetz, geringere Einnahmen wegen unattraktiver Zinsen und der Angst der Kunden vor riskanteren Anlageformen. Und nun auch noch intensive Konkurrenz durch digitale Angreifer. Dirk Vater, Bankenexperte des Consulters Bain, hat das mal durchgerechnet: "Am Ende des Jahrzehnts könnten die Erträge der Institute bis zu 30 Prozent unter den heutigen liegen."
Dabei verdienen sie schon jetzt wesentlich weniger: Nach Zahlen von AT Kearney erwirtschafteten sie im Jahr 2007 europaweit pro Kunde 219 Euro, im Vorjahr nur noch 127 Euro - in Österreich gar nur 84 Euro. Die Banken zwingt das zu einem schwierigen Spagat: Sie müssen die Kosten drastisch senken und gleichzeitig in attraktive Angebote investieren.
Rund die Hälfte an den Gesamtkosten entfallen auf das Personal, weswegen seit 2007 in Europa rund 250.000 Stellen gestrichen wurden. Einher geht das mit Filialschließungen, alleine im Vorjahr schlossen 4500 Bankfilialen ihre Pforten.
Bei der Bank Austria sollen bis nächstes Jahr 67 von 270 Niederlassungen dichtgemacht werden, der Personalstand soll -ohne Kündigungen -um zehn Prozent sinken. Gleichzeitig versucht die UniCredit-Tochter, kundenfreundlicher zu werden. Die Öffnungszeiten wurden ausgeweitet, per Videokonferenz können sich Kunden bis 22 Uhr beraten lassen. Während des Videochats mit dem Berater können auch die nötigen Dokumente ausgetauscht werden, ein Abschluss ist wie beim klassischen Onlinebanking per SMS-TAN möglich. In die Filiale müssten Kunden also eigentlich nur noch in Sonderfällen, etwa bei Bürgschaften.
"Wir werden trotzdem immer Filialen betreiben", sagt der für das Kundengeschäft zuständige Vorstand Helmut Bernkopf. Es geht ja auch nicht anders: "Von unseren 1,7 Millionen Kunden nutzen erst 700.000 den Onlinekanal, die Internetgeneration kommt ja erst."
Die Bawag hat ihr Filialnetz sogar ausgebaut, allerdings budgetschonend, weil sie sich die Kosten mit der Post teilt. "Es kann ja nicht sein, dass wir Filialen schließen und voll auf Digital setzen, wenn die Kunden noch gar nicht so weit sind", sagt Peter Karst selbstbewusst. Stattdessen setzt der Marketing-und Produktchef voll auf Kostenreduktion durch rigorose Standardisierung: Aus vormals 70 Einzelprodukten wurden zehn Bündel. Bis zum Okay für einen Konsumkredit dauerte es früher Tage, heute nur noch Minuten.
Rationalisierung live.
Helmut Bernkopf (l.)
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Kundenvorstand der Bank Austria, in seiner derzeit modernsten Filiale. Neu ist dort etwa der Empfangsmanager, der die Kunden zum passenden Berater leitet. Lange wird er seinen Job wohl nicht behalten, dann übernimmt der Automat, vor dem der Boss hier steht.
Durch solche Maßnahmen liegt das Kosten-Einnahmen-Verhältnis bei 55 Prozent -ein gutes Viertel niedriger als im österreichischen Branchenschnitt. Trotzdem, so Karst: "Als Branche müssen wir uns mit den innovativen Produkten der neuen Finanzdienstleister viel intensiver auseinandersetzen."
Der Münchner Finanzprofessor Christoph Kaserer empfiehlt den Banken dafür eine Strategie, die in der Pharmabranche bereits üblich ist: "Sie sollten Start-ups kaufen, bevor sie zu Konkurrenten heranwachsen." Nur so hätten die Institute eine Chance im Wettbewerb -denn der stehe gerade erst am Beginn: "Eins ist klar - eine Welt ohne Bankfilialen werden wir noch erleben."