Fisch im Führerstand
Martin Huber, ranghöchster Weichensteller der Nation, pfeift auf den Fahrplan der Politiker, verschiebt überzählige ÖBBler aufs Abstellgleis oder schmeißt ihnen viel Geld beim Aussteigen nach. Ist er ein menschenverheizender Sanierer oder ein gewiefter Taktiker?
Nein, leicht hat es ein ÖBB-Chef wirklich nicht. Da steht Martin Huber völlig unschuldig am Bahnsteig des Westbahnhofs, um den Regieanweisungen des strengen trend-Fotografen zu folgen, schon wird er von einem verärgerten Fahrgast zur Rede gestellt: Er habe für die erste Klasse bezahlt, jetzt aber sei kein Platz in eben dieser ersten Klasse mehr zu finden. Er müsse bis Bregenz fahren, werde keinesfalls einen Platz in der zweiten Klasse akzeptieren, sondern nur in der ihm zustehenden Ersten.
Leider nein: Der Herr über sämtliche Züge des Landes kennt keine Gnade. Der Bahnboss macht keine Anstalten, einen zusätzlichen Erste-Klasse-Waggon herbeizutelefonieren oder einen der zahlreichen, im Nahbereich postierten Mitarbeiter damit zu betrauen, dem renitenten Kunden einen Sitzplatz freizuschaufeln. Der gute Mann muss mit dem freundlichen Angebot, am Schalter sein Ticket umzutauschen, vorlieb nehmen und gibt sich geschlagen.
Nein, leicht hat er es wirklich nicht, der Huber. Und könnte sich sehr glücklich preisen, wenn alle Interventionen, die er zu ertragen hat, von derart harmloser Natur wie die eben erlebte wären. Der ehemalige Porr-Manager hat nämlich in den ersten drei Monaten seit seinem Wechsel in den Führerstand der Bahn bereits um einiges härtere Bandagen erleben müssen. Beispielsweise einen Anpfiff des Infrastrukturministers höchstpersönlich. Hubert Gorbach, der sich schon mal zum Gaudium des Publikums mit einem Fahrdienstleiterkapperl schmückt, zeigte sich über Hubers strammen Frühpensionierungskurs öffentlich unglücklich und empfahl ihm, kreativere Lösungen zu suchen. Der solcherart Gescholtene beharrte allerdings auf seinem Weg; dass er als Dank prompt das Image des knallharten Menschenfressers umgehängt bekam, wurmt ihn nun einigermaßen. Ich bin ein Fisch und auch im Aszendent ein Fisch. Der Fisch ist vielleicht kühl, weil er im kalten Wasser schwimmt, hat aber doch eine Seele und ein Gefühl, beschreibt der in Wels geborene und in Mödling bei Wien aufgewachsene 44-Jährige seinen Seelenzustand. Und um zu zeigen, dass er um die Wirkung all der Frühpensionierungs- und Golden-Handshake-Aktionen sehr wohl Bescheid weiß, kündigt er große Events für die möglicherweise demotivierten Mitarbeiter an und betont mehrfach, ein Manager mit sozialem Gewissen zu sein (siehe Interview Seite 44).
Eine Wahnsinnsaufgabe. Zumindest, so könnte man interpretieren, ist er ein Wesen mit ausgeprägter sozialer Intelligenz. Er weiß, dass er funktionierende Mitstreiter, Manager, Schaffner und Lokführer braucht und in der großteils unkündbaren, selbstbewussten ÖBB-Belegschaft mit plumpen Strafaktionen allein nicht weit kommen kann.
Selbst einer, der ihm schon berufsmäßig misstrauen muss, ist vorderhand von Hubers Performance angetan. Willi Haberzettl, mächtiger Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft, attestiert seinem
Visavis Pakt- und Dialogfähigkeit. Wir haben schon einige Lösungen im Konsens gefunden, sagt er und: Ich habe keinen Grund zu sagen, mit Huber kann ich nicht.
Freilich muss Haberzettl auch Kritik anbringen: Es stört ihn, dass Huber zuerst darüber diskutiert, wie viel Personal wir abbauen sollen, und erst danach seine Unternehmensstrategie präsentiert hat. Überrascht hat den Gewerkschafter, der schon einige Bahnchefs überlebt hat, dass sein Boss sehr wenig Emotionen zeigt. Er bemüht sich, beherrscht zu sein, ich dachte eher, er ist ein Managertyp, der oft heiß geht.
Wenn schon kein Heißläufer, so ist Huber doch durchsetzungsfähig genug. Er hat eine unglaublich direkte Art, Dinge anzusprechen, auch wenn es um nicht ganz lupenreine Deals geht, sagt einer, der ihn noch als Porr-Verhandler kennen gelernt hat. Diese unglaublich direkte Art wird der Mister Bundesbahn in den nächsten Monaten durchaus gebrauchen können. Schließlich möchte er in der bislang weit gehend reformresistenten ÖBB-Zentral-Tintenburg in der Wiener Elisabethstraße mit eisernem Besen aufkehren. In einem anlaufenden Change-Management-Prozess, so kündigt er im trend-Gespräch an, soll kein Mitarbeiter auf seinem angestammten Arbeitsplatz sitzen bleiben; auch räumlich will er radikal umbauen, auslagern und umgruppieren.
Eine Wahnsinnsaufgabe habe er übernommen, sagt die Frau, die er zuletzt ins Führungsteam holte. Hermine Goldmann, die bislang die Geschicke der Postbus-Flotte lenkte und nun für den Personennahverkehr verantwortlich zeichnet, bewundert ihren neuen Boss aus tiefstem Herzen. Er hat sie persönlich an Bord gehievt, das lässt die Chemie gleich einmal eine gute sein. Das Unternehmen ist in einer sehr schwierigen Lage, sagt Goldmann; sie aber hat sich dennoch entschlossen, ihren Mentor mit allen Kräften bei diesem Kraftakt zu unterstützen. Besonders schwer für Huber wird es werden, die neu aufgestellten operativen Gesellschaften und deren Vorstände unter sein Kommando zu zwingen; auch sieht er die latente Gefahr, dass da mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet wird, denn das gibt es überall, wo Menschen sind.
Sein Vertrag gilt bis 2009; bis dahin will er unter allen Umständen der große Lokführer bleiben. Auf seiner To-do-List steht allerdings ein Arbeitsprogramm, das nicht nur für diese Zeitspanne reicht, sondern noch für weitere hundert Jahre dazu.
An allen Fronten gibt es dringenden Handlungsbedarf. Neidvoll schaut er etwa auf eine Firma namens Baumax: Die weiß nämlich alles über ihre Kunden. Auch er möchte nun, nach dem Vorbild des rotgelben Heimwerkers, seine Bahnfahrer besser kennen lernen, wenn schon nicht persönlich, so doch über eine umfangreiche Datenbank. Mit einem funktionierenden Customer Relationship Management will er jeden ordinären Zugpendler zum gläsernen Bahnpassagier machen; Huber will für sämtliche Kundenschichten, beispielsweise auch für Golfer, maßgeschneiderte Angebote präsentieren. Da trifft es sich gut, dass er selbst ein Faible für diesen noblen Sport hat.
Warten auf die Strategie. Einer, der seinen Vorstand naturgemäß über alle Maßen lobt, ist der Bahn-Aufsichtsratschef und trend-Mann des Jahres 2004, Wolfgang Reithofer. Wohltuend sei es, sagt der Wienerberger-Boss, dass er so agiert, wie man es von einem Manager in der Privatwirtschaft gewohnt ist. Seine beruhigende Einschätzung nach drei Monaten Beobachtungszeitraum: Er führt die Bahn als Unternehmen. In einem Punkt ist Reithofer allerdings ein Warner: Es sei völlig sinnlos, jetzt, möglicherweise auch auf Druck der Öffentlichkeit, alle Themen gleichzeitig anzuschneiden. Mir ist lieber, wir lösen ein Problem, das aber gut. Welches, steht für Reithofer außer Zweifel: Meine Zielsetzung ist jetzt einmal, dass die neue Struktur funktioniert. Dass operative AGs mit eigener Identität entstehen können und die ÖBB in der Außenwahrnehmung doch als Gesamtkonzern erscheinen.
Nicht nur die Politik, auch der Aufsichtsrat hat dringende Wünsche an den neuen Weichensteller höchsten Dienstgrads: Die bislang verdammt zentralistische ÖBB hätten noch gewaltige Potenziale, kundenfreundlicher zu werden, sagt Reithofer und rät dem Vorstand, Maß an der paradiesischen Schweiz zu nehmen: Dort ist der Fahrplan so simpel, so einfach zu lesen, alles so gut aufeinander abgestimmt, extrem pünktlich.
Ob er das alles aushält, der Huber? Jedenfalls scheint er einer zu sein, der trotz Wahnsinnsjob und Job-Wahnsinn Familie und Beruf noch einigermaßen unter einen Hut bringt. Seine Frau Barbara, so erzählt er, begleite ihn bei sehr vielen Abendterminen, so sehe ich sie häufiger, als das bei anderen Managern der Fall ist. Er bemüht sich, neben Job und Golfspiel, möglichst viel Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Dreimal pro Woche geht er noch laufen, in den Prater, so wie das tausende andere auch machen; Probleme mit dem Herz im vergangenen Sommer hat er überstanden, das ist repariert.
Erfolg macht ihm Spaß, die Lust daran treibt ihn, nun allerdings nicht mehr zu Höherem, denn viel höher als an die Spitze des größten österreichischen Arbeitgebers geht es kaum mehr. Höhenluft ist dünn, und eine der Aufgaben des ÖVP-Mitglieds wird sein, sich auch in der linken Reichshälfte gut zu vernetzen, um nicht, so wie seine Vorgänger, nach kurzem Gastspiel am Führerstand kalt abserviert zu werden.
Nie mit Fahrdienstleiterkappe. Ausbaufähig sind im Übrigen auch noch seine Links zur wichtigen Kundenschicht der Eisenbahnfreunde. Bei der trend-Testfrage, ob er den Unterschied zwischen einer Dreiundneunziger und einer Zweiundfünfziger1) darlegen könne, muss der Bahnboss nämlich passen. Das sieht man ihm schon aus großer Distanz an: Er ist das Gegenteil eines Bahn-Romantikers; er hat nie mit einer Modelleisenbahn gespielt, ebenso wenig wie seine Kinder je mit Märklin oder Kleinbahn zu tun hatten. Die fehlende emotionelle Bindung zu Loks und Gleisen empfindet er aber nicht als Manko; für Showeinlagen ist er sowieso nicht zu haben. Ich würde mir niemals anmaßen, sagt er, für ein Foto ein Fahrdienstleiterkapperl aufzusetzen. Ich bin kein gestandener Eisenbahner und würde das als Affront gegenüber all jenen sehen, die diesen Job gelernt haben.