Die neue Landlust: Wer mit der Sehnsucht nach ländlicher Idylle Millionen umsetzt

Trachten-Kirtage und Oktoberfeste boomen, die Hersteller von Lederhosen und Dirndln kommen mit dem Produzieren kaum mehr nach, Heile-Landwelt-Magazine erzielen Rekordauflagen. Doch hinter den idyllischen Kulissen tobt ein erbitterter Kampf darum, wer am meisten Profit aus der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit schlagen kann.

Ein Mann, ein Fest, eine Chance: Seit 16 Monaten kreisen Johann Leitners Gedanken Tag für Tag um die „Wiener Wiesn“. Zu welcher Musik an welchen Tischen geschunkelt werden soll, hat er ebenso ausgetüftelt wie den exakten Verkaufspreis eines Krügerls. Die Feldforschung, die er dafür betrieben hat, bestand im Besuch von 15 vergleichbaren Großveranstaltungen in den vergangenen eineinhalb Jahren, bei denen der 42-jährige Unternehmensberater die Abläufe minutiös studierte. Jetzt, zwei Monate vor dem „O’zapft is!“, hat er keine Bedenken mehr, dass sein Kalkül aufgeht: „Das wird’s. 15.000 Karten habe ich schon verkauft“

Ab 23. September soll erstmals das rustikale Ambiente des legendären Münchner Oktoberfests auf die Kaiserwiese im Wiener Prater gezaubert werden. Vier Festzelte, mehr als 100 Musikgruppen von Andy Borg über den heimischen Shootingstar Andreas Gabalier bis zu den Jungen Zillertalern, erhoffte 200.000 Besucher – mit Kleinigkeiten gibt sich der gebürtige Oberösterreicher Leitner nicht ab. Selbst ein eigenes „Wiener Wiesn“-Dirndl des deutschen Herstellers Spieth & Wensky wurde kreiert. Für den Alleininhaber und Chef der Ende 2010 gegründeten „Wiesn Veranstaltungs und Kultur GmbH“ sollen die Kassen in den zehn Tagen so richtig klingeln.

So wie Leitner rechnen sich immer mehr Geschäftsleute Chancen mit der neuen Lust aufs Land aus: Auf die Sehnsucht nach Authentizität und Natürlichkeit, ja nach dörflicher Idylle, hatte erstmals das deutsche Magazin „Landlust“ gesetzt – und eilt seitdem von Rekordauflage zu Rekordauflage. Im Tourismus haben sich die Oktoberfest-Ableger zwischen München und Wien in den vergangenen Jahren wie Schwammerln vermehrt. Mehr noch als die Zeltverleiher profitieren davon die Hersteller von Dirndln und Lederhosen – vor allem, weil viele junge Leute Tracht wieder hip finden, genauso wie die dazugehörige Musik:

Bei den Konzerten des 26-jährigen Shootingstars der Volksmusikbranche, des Steirers Andreas Gabalier (aktuelles Album: „Da komm’ ich her“), fliegen BHs auf die Bühne wie bei einem Robbie-Williams-Konzert. Der Naturbursche in Lederhose inszeniert sich gern vor friedlich grasenden Kühen auf der Alm. Das ländliche Idyll steht bei den Gabalier-Fans ebenso hoch im Kurs wie die laute Partyzone im Bierzelt, die ein wenig nach Dorfgemeinschaft riecht. Und sogar auf medizinischer Ebene wird die Sehnsucht nach Rückzug in eine vermeintlich unberührte Natur nutzbar gemacht: Im österreichischen Magazin „Medizin populär“ empfehlen Ärzte das Landleben gegen Burn-out. Und findige Geschäftsleute errichten gleich die passenden Urlaubs-Almdörfer für diejenigen dazu, die sich noch nicht zum Kauf eines Bauernhauses durchringen konnten.

Land, Lust, Leute

Die Zahlen belegen den Trend eindrucksvoll: Allein die im Tiroler Schlitters angesiedelte, stark expansive Kette „Zillertaler Trachtenwelt“ gibt an, im vergangenen Jahr 28.000 Lederhosen und 37.000 Dirndln verkauft zu haben. Umsatz: 17 Millionen Euro – eine Verdreifachung innerhalb von drei Jahren. Auch die alteingesessenen Hersteller wie Tostmann oder Gössl berichten von durchwegs zweistelligen Wachstumsraten. Stolze 3500 Besucher zählte 2010 der Almdudler-Trachtenpärchenball im Wiener Rathaus, der heuer in seine fünfte Auflage geht – sein Erfinder Thomas Klein rühmt sich gar, den aktuellen Trachtenboom ausgelöst zu haben.

Eine oststeirische Tourismusgruppe, die sich ebenfalls den Namen „Landlust“ verpasst hat und auf die Vermietung alter Bauernhäuser spezialisiert ist, brachte es seit ihrer Gründung vor fünf Jahren auf über 10.000 Nächtigungen. Heumilch-Produkte als ursprüngliche Form der Milcherzeugung konnten ihren Absatz im vergangenen Jahr um satte 44 Prozent steigern. Und nicht zu vergessen: die „Landlust“ als diejenige Zeitschrift, die das Phänomen im Herbst 2005 erstmals benannt hat. Mit rund 828.000 verkauften Exemplaren im zweiten Quartal 2011 – ein sattes Plus von 17,5 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal – gehört sie zu den erfolgreichsten Magazingründungen in Deutschland. Und wird auch in Österreich gerne gelesen: Hierzulande verkaufen sich von jeder „Landlust“-Ausgabe rund 45.000 Exemplare.

Kollektive Verlustangst

Alles in allem eine verblüffende Entwicklung: Denn in den Bevölkerungsstatistiken ist kein Run aufs Land feststellbar. Im Gegenteil: Die Abwanderung in die Städte, wo es bessere Aussichten auf Qualifizierung und Jobs gibt, hält nach wie vor an. Immer mehr (Klein-)Bauern geben ihre Landwirtschaften auf. Der Innsbrucker Kulturwissenschafter Christoph Kirchengast erklärt das Phänomen denn auch mit einer „kollektiven Verlustangst“: Durch Zersiedelung etwa „verschwimmen die Grenzen zwischen Stadt und Land immer mehr. Auch die Lebensstile werden zusehends urbanisiert. Vor diesem Hintergrund wird die ländliche Idylle zum Sehnsuchtsort.“

Ähnliche Erklärungen bemühen Unternehmer und Manager: Den Sensationserfolg von Mundart-Bands wie dem Vorarlberger Holstuonarmusigbigbandclub oder dem Mühlviertler Rapper Trackshittaz sieht Sony-Österreich-Chef Philip Ginthör schlicht im „großen Bedarf nach Identitätsstiftung im Zeitalter der Globalisierung“ begründet. Und Anna Tostmann, die vor Kurzem die Leitung der familiären Trachtenmanufaktur am Attersee übernommen hat, registriert, „dass der Boom so richtig mit der Wirtschaftskrise begonnen hat“.

Kurzum: Die Suche nach Wertbeständigem und kulturellen Haltegriffen lässt mehr und mehr Österreicher für die gute alte Zeit, die es nicht mehr gibt und wahrscheinlich nie gegeben hat, schwärmen. Dabei ist nur eines sicher: Die Romantisierung der Provinz verspricht gutes Geschäft.

Fetzenflug

Die 36-jährige Frau Tostmann sitzt, während sie über die Ursachen der neuen Landlust sinniert, im dezent-sandfarbenen Dirndl auf der Terrasse in Seewalchen, als ihre Mutter Gesine („Gexi“) Tostmann vorbeikommt. Die Tostmanns, die hier seit 1949 fertigen, haben einige Jahre zweistelligen Wachstums hinter sich. Nun trauen sie sich sogar, ein Trachtenmuseum am Attersee zu errichten. Die 70 Näherinnen am Firmensitz, ebenfalls fast durchwegs im Dirndl, haben im Hochsommer Hochsaison. Doch bei aller Freude über den Geschäftsgang wurmt die beiden Trachten-Pionierinnen, die zur Gänze in Österreich fertigen und allein in Wien sieben Änderungsschneiderinnen beschäftigen, dann doch einiges am aktuellen Hype. „Optisch tut er mir weh“, sagt Gexi Tostmann – und bezieht sich auf den Gottseibeiuns der jahrzehntelang eher beschaulich-behäbigen Branche. Sie nennen ihn in einer Mischung aus Abneigung und Bewunderung schlicht „den Zillertaler“.

Gemeint ist Thomas Dims, Alleineigentümer und Chef des Diskonters „Zillertaler Trachtenwelt“. Er lässt derzeit scheinbar keinen Tag vergehen, ohne ein Inserat für seine 29,90-Euro-Trachtenbadehosen auf Seite eins der „Krone“ zu schalten. Mit der Moderatorin von „Bauer sucht Frau“, Katrin Lampe, hat er ein geeignetes Testimonial für die schrill-bunten Dirndln der „Trachtenwelt“ gefunden. Und auch wenn ihn die Konkurrenz den „Kik der Trachtenbranche“ schimpft, der seine Lederhosen in Indien fertigen lässt – seine Kassen sind gefüllt wie ein pralles Dekolleté.

In der zuletzt aufgelegten Bilanz hat sich ein Gewinn von 849.000 Euro zusammengeläppert. Den Konkurrenten wie Markus Egger, einem im Mühlviertel ansässigen Trachtenhändler mit fünf Standorten, hat „der Zillertaler“ zwar kein Geschäft weggenommen. Egger freut sich über „fantastische Zahlen“: eine Verfünffachung des Umsatzes in den vergangenen fünf Jahren auf 8,5 Millionen Euro. Und doch sieht Egger die Billiganbieter als Bedrohung: „Wer einmal eine Lederhose um 59 Euro gesehen hat, dem kommt unsere billigste um 200 Euro teuer vor.“ Eine Lederne zu 100 Prozent made in Austria würde seiner Einschätzung nach von 800 Euro aufwärts kosten.

Aber nicht nur neue Diskonter, auch etablierte Anbieter setzen auf Tracht: Modeketten wie C&A bieten derzeit reihenweise 99-Euro-Dirndl-Modelle an; beim deutschen Versandhändler Neckermann kostet die Strickweste mit 29,90 Euro nicht mehr als der Teddy in Lederhose. Da ist es nur logisch, dass auch der für seine vielfältigen Firmenbeteiligungen berüchtigte Raiffeisenlandesbank-Oberösterreich-General Ludwig Scharinger in das Traditionsbusiness eingestiegen ist – und gleich beide Enden des Markts abdeckt.

Zuerst wurde vor zwei Jahren das marode Heimatwerk Oberösterreich, das auf historisch akkurate, konservative Trachten spezialisiert ist, vom Land übernommen. Dann wurde eher nebenher ein Trachtensupermarkt im niederösterreichischen Langenzersdorf eröffnet: Dort werden aktuell ein Dirndl und eine Lederhose um je 99 Euro beworben. Beide Aktivitäten werden von der RLB-Tochter GDL gesteuert, wobei man Wert darauf legt, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Anna Tostmann, ansonsten die Sanftmut in Person, findet das Nebeneinander von teurem Alt und billigem Neu unter einem Dach aber schlicht „scheinheilig“.

Alm-Urlaub

Die neuen Anbieter haben auch dazu beigetragen, dass jüngere und urbanere Käuferschichten für das Thema gewonnen werden konnten. Neben Partykleid und Designeranzug hängen im Kleiderschrank nun wie selbstverständlich Janker und Trachtenbluse. Die Zirbenholzstube wird auch dort ernsthaft diskutiert, wo bisher nur Schleiflackmöbel en vogue waren. Und der Alm-Urlaub ist bei vielen eine echte Alternative zum City-Trip geworden. Denn ebenso wie „Wiener Wiesn“-Organisator Leitner und Almdudler-Mann Klein das Land in die Stadt bringen, versuchen die Touristiker mit immer ausgefeilteren Konzepten, die Städter aufs Land zu bringen.

Mit einem ganzen Almdorf wie aus dem 19. Jahrhundert, jedoch erst vor 15 Jahren erbaut, kann etwa der in einem kleinen Gebirgsdorf im Oberen Drautal aufgewachsene Rupert Simoner aufwarten. Der 40-Jährige ist hauptberuflich Direktor des „Kempinski Grand Hotel des Bains“ im Schweizer Nobelort Sankt Moritz und hat vor zwei Jahren das „Almdorf Seinerzeit“ auf der Fellacheralm bei Bad Kleinkirchheim übernommen. Seitdem wurden rund sechs Millionen Euro investiert. „Almhütten aus dem 19. Jahrhundert mit den Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts – da muss auch das iPad funktionieren“, erklärt Simoner die Idee. Geht das Konzept auf – derzeit liegt die Auslastung bei 62 Prozent, der Durchschnittserlös bei 450 Euro je Hütte und Nacht –, sollen weitere Dörfer nach diesem Muster im alpinen Raum entstehen.

Wer sich nicht eines von Simoners 21 Chalets um 620 Euro je Nacht in Spitzenzeiten leisten kann oder will, der kann in den mindestens 100 Jahre alten Bauernhäusern der „Landlust“-Gruppe im steirischen Thermenland Unterschlupf suchen. Für die selbstständigen Vermieter sind „alte, renovierte Möbel, die für die Region typisch sind“, sowie „Bettwäsche, Vorhänge und Teppiche in echtem, traditionellem Stil“ Pflicht.

10.000 Nächtigungen hat der Angebots-Verbund in den letzten Jahren generiert. Und Andreas Friedrich, Sprecher der Gruppe, hat sich zu seinem Wirtshaus in Geiseldorf eben ein Bauernhaus aus dem 15. Jahrhundert dazugekauft, das er entsprechend adaptiert. „Seit zwei Jahren veranstalten wir auch jährlich einen Landlust-Kirtag“, berichtet er – und beeilt sich hinzuzufügen, dass dieser „wie aus den Geschichtsbüchern“ zelebriert werde: mit Kirtagsaufmarsch und Lebkuchenherzen.

Viele, die das inszenierte Idyll einmal kennen gelernt haben, wollen dauerhaft so wohnen. Auf Immobilien dieser besonderen Art hat sich etwa die in Salzburg tätige Maklerin Marlies Muhr spezialisiert. Vom Bauernhof um 430.000 Euro im Lungau bis zum 8-Millionen-Objekt in Kitzbühel-Nähe hat sie für Stadtflüchtige jeder Kategorie etwas im Angebot. Nur Russen interessierten sich nicht für diesen Typ Immobilie, sagt Muhr: „Die wollen Luxus.“ Sie glaubt zu wissen, dass sie mit ihrem Angebot nicht nur den Wunsch nach Rückzug, sondern das neu erwachte Bedürfnis nach Autarkie in Zeiten von Ölpreis-, Gas- und Atomenergiekrisen anspricht: „Immer mehr Leute sind von der Idee beseelt, autark zu sein. Die lassen sich dann einen eigenen Brunnen schlagen oder schrauben eine Solaranlage aufs Dach.“

Stuben-Störsender

Die neuen Kaufinteressenten für teure Bauern- und Landhäuser arbeiten oftmals als Manager und Unternehmer. Ihre rastlosen Tage im Büro wollen sie mit absoluter Ruhe im Privaten ausgleichen, ein Bedürfnis, das sich auch bei der Einrichtung fortsetzt, weiß Tischler Wolfgang Weitgasser aus Flachau. Vor rund 30 Jahren fragte er erstmals bei den Bauern in der Umgebung nach, ob er nach Umbauten ihre alten Stuben haben könne. Die renovierte er dann liebevoll und bot sie als Relikte der guten alten Zeit zum Verkauf an.

Die aus privater Leidenschaft geborene Geschäftsidee entwickelte sich über die Jahre zum wichtigen Geschäftszweig seiner Tischlerei. Heute verkauft er bis zu fünf Stuben pro Jahr und erzielt damit bei Preisen von 30.000 Euro aufwärts einen guten Teil seines Umsatzes. Wer bei Weitgasser kauft, bekommt die alten Werte, die er in den Möbeln verkörpert sieht, gratis mitgeliefert. „Eine Stube ist für mich ein Ort der Ruhe und der Muße“, sagt der 50-Jährige. „Weder ein Fernseher noch ein Radio und schon gar kein Handy sollten die Atmosphäre stören.“

Manche Kunden gehen – animiert von Weitgassers „Bauern-Feng-Shui“ – sogar noch einen Schritt weiter. Ein Bayer ließ sich von dem Flachauer Tischler einen Störsender in seine alte Stube einbauen, damit kein Handy-Klingeln seine Gedanken stören kann. Mit einem Extrawunsch dieser Art war Johannes Stockinger zwar bisher noch nicht konfrontiert. Aber dass dies eines Tages auch an ihn herangetragen werden könnte, hält er durchaus für möglich. Schließlich bedient auch er das Bedürfnis nach Rückzug – allerdings in das stillste aller Örtchen. Stockinger hat sich auf den Bau von Plumpsklos spezialisiert und benutzt dafür wie auch sein Flachauer Kollege ausschließlich alte Hölzer, teilweise vor mehr als 100 Jahren gefällt.

Essen wie auf dem Bauernhof

So wie einst die Bauern will sich eine steigende Anzahl von Menschen auch heute ernähren. Und so finden sich auf dem Altholztisch in mancher Stube selbst gemachte Butter und frisch gebackenes Brot. Wenn dafür die Zeit nicht reicht, zumindest Lebensmittel, die nach traditionellen Verfahren hergestellt werden. „Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Ursprünglichkeit auch in der Ernährung“, sagt Andreas Geisler, Koordinator der Arge Heumilch.

2004 gestartet, gelang es der Dachorganisation der Verarbeiter und Vermarkter, auch durch das gezielte Aufgreifen dieses Trends in dem Slogan „Heumilch. Die reinste Milch“, einen Verkaufsschlager zu landen. Gelistet in allen großen Handelsketten, legte der Sortimentsabsatz – dabei handelt es sich neben Milch vor allem um Käse – im Vorjahr um 44 Prozent zu. „Heumilch wird nicht ohne Grund als reinste Milch bezeichnet. Denn so naturnah wird sonst keine Milch hergestellt“, wirbt Geisler. Und tatsächlich: Die Fütterung der Heumilch-Kühe ist an den Jahresverlauf angepasst: Im Sommer fressen sie statt der üblichen Silage Kräuter und Gräser, im Winter bekommen sie diese dann im getrockneten Zustand im Stall vorgesetzt.

Für sein Marktgespür bekannt ist Werner Lampert. Für die Handelskette Billa erfand er einst die Bio-Marke „ja! Natürlich“, für den Diskonter Hofer vor fünf Jahren „Zurück zum Ursprung“. Die Linie konzentrierte sich anfangs auf regionale Produkte, etwa aus Murau im oberen Murtal und Sonntagberg im Mostviertel, die zum Teil aber konventionell erzeugt wurden. Erst im Sommer 2009, nach teils heftiger Kritik von Verbraucherschützern und Fachleuten, erfolgte die Umstellung des kompletten Sortiments – und damit auch des Slogans. Dieser trägt jetzt den Nachsatz: „So weit muss Bio gehen“. Den 18,7-prozentigen Umsatzsprung biologischer Lebensmittel im vergangenen Jahr nach einer wenig dynamischen Phase führen Experten genau auf diese Weiterentwicklung zurück.

Manche Promis gehen noch weiter. So machte der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg jüngst mit der Ankündigung von sich reden, nur noch Fleisch von Tieren zu essen, die er selbst getötet hat. Dass er darauf ein so positives Echo erntete, muss den Schokoladenunternehmer Josef Zotter sehr gefreut haben. Denn er, der selbst dieses Lebensmodell nachahmen will, möchte auch andere dazu anregen, über den Umgang mit Nutztieren nachzudenken.

Sie alle lädt er seit Kurzem herzlich zu sich ins steirische Riegersburg ein. Hier hat er auf dem hügeligen Gelände hinter seiner Schokoladenmanufaktur einen Tiergarten mit Schweinen, Rindern, Hirschen, Gänsen und Hühnern geschaffen. Ihre Gehege sind so weitläufig, dass Zotter schon einen Eimer mit Futter holen muss, um die Schweine ans Gatter zu locken. Wild grunzend kommt die Horde aus dem Wald angetrabt, umzingelt den groß gewachsenen Mann und giert nach seiner Gabe. Besonders hübsch anzusehen sind die Turopolje-Schweine mit ihren schwarzen Flecken auf weißem Fell, ihren hängenden Ohren und dem schwach gekringelten Schwanz. Doch auch sie werden, wenn sie ausgewachsen sind, zum Schlachter geführt. „Das ist Teil des Konzepts, dass alle Tiere, die wir hier halten, auch gegessen werden“, erklärt der Unternehmer. Und so findet sich auf der Tageskarte des Tiergarten-Restaurants ein Salat vom Zottelrind neben einem Ragout vom Riesenhasen.

Während die Tiere, die Zotter seinen Besuchern serviert, in ihrem Leben tatsächlich Landluft geschnuppert haben, können andere Unternehmen dies nicht für sich in Anspruch nehmen. Ihre Produkte, die das Thema Landlust aufgreifen, haben oft nichts mit Natur, Gesundheit, Öko zu tun. Erdacht wurden sie von findigen Marketingstrategen mit dem richtigen Gespür für die aktuelle Bedürfnislage der Menschen. So will etwa der Bielefelder Backriese Dr. Oetker – vorerst nur in Deutschland – mit seinem neuen Backmischungssortiment „Landgenuss“ die sich nach dörflicher Idylle sehnende Käuferschaft ansprechen. Andere Hersteller werben mit „Hofladen“-Marmelade oder Landbier.

Selbstversorger-Romantik

Dass die Produkte mit Landleben-Flair ankommen, ist nicht verwunderlich. Denn nun können sich auch diejenigen Städter ein bisschen kulinarische Ursprünglichkeit in die Küche holen, die selbst nie die Zeit finden, ihren schnelllebigen Rhythmus zu durchbrechen. Um alle anderen, die sich tatsächlich als Selbstversorger ausprobieren wollen, kümmern sich mittlerweile die Verlage, indem sie entsprechende Ratgeber auf den Markt werfen. Und so wird diesen Sommer gebacken wie zu Omas Zeiten und gegärtnert, bis der Rücken schmerzt.

Einige der Anleitungen zum Selbermachen kommen von Martin Dort, dem ehemaligen Mitinhaber der renommierten Münchner Prestel-Publishing-Gruppe. Nach dem Verkauf seiner Anteile 2008 an Random House hatte er plötzlich massenhaft Zeit, und so begann er, sich durch Stapel von Verlagskatalogen und Magazinen zu lesen. Dabei stieß er immer wieder auf ein Thema – das idyllische Landleben in all seinen Facetten. „Mir war ziemlich schnell klar, dass das der Top-Trend im Markt ist“, sagt Dort. Im Oktober 2009 gründete er in München einen Verlag, der seinen Namen und den seines Heimatorts Hagenhausen trägt.

Seine erste Reihe nannte er klarerweise „Die Liebe zum Landleben“ – und landete damit auch gleich einen Verkaufsschlager. Dazu verhalf ihm die Österreicherin Roswitha Huber, eine zupackende Frau mit roten Wangen und sonnengebräunter Haut, die auf der Kalchkendl-Alm inmitten des Nationalparks Hohe Tauern Kinder und Erwachsene seit mehr als einem Jahrzehnt in die Kunst des Brotbackens einführt. Ihre Rezept- und Geschichtensammlung „Gutes Brot“ verkaufte sich bisher rund 20.000-mal.

Und auch Dorts andere Titel kommen gut an: Schwarze Zahlen schreibend, will er heuer die Umsatzmillion knacken. Im österreichischen Verlagswesen hat das Besingen der guten alten Zeit ebenfalls schon Früchte getragen: Der Wiener Christian Brandstätter Verlag hat zuletzt unglaubliche 20.000 Exemplare des Buchs „Verschwundene Berufe“ abgesetzt, in dem das historische Treiben von Pechern oder Rosstäuschern beschrieben wird.

Dass solche Erfolge möglich sind, liegt auch an Ute Frieling- Huchzermeyer. Die studierte Landwirtin griff mit dem im Herbst 2005 im Landwirtschaftsverlag gestarteten Magazin „Landlust“ erstmals das diffuse Gefühl vieler Menschen nach Authentizität und Natürlichkeit auf – und landete damit gleich einen Coup in dem von Untergangsstimmung gezeichneten deutschen Zeitschriftenmarkt. Während viele etablierte Lifestyle-Titel verlieren, greifen immer mehr Menschen zu der Publikation aus Münster. Hier können sie in den Bildern vom ehrlichen und erdverbundenen Leben schwelgen. Ausgeblendet wird alles, was den Wohlfühlfaktor stören könnte, die zunehmend industriellen Produktionsstrukturen auf dem Land, die um sich greifende Landflucht und die Lebensmittelskandale wie zuletzt die gefährlichen EHEC-Bakterien.

Der Erfolg zog zahlreiche Nachahmer an – auch in Österreich. Während sich der Verlag des Red-Bull-Gründers Dietrich Mateschitz mit „Servus in Stadt und Land“ (aktueller Cover: „Das Gute liegt so nah – Urlaub daheim“) stark am deutschen Vorbild orientiert, fächerte der Österreichische Agrarverlag sein Portfolio weiter auf und brachte ein Heft für all jene auf den Markt, die Urlaub und Ausflüge in Österreich machen wollen.

So ist die neue Landlust ein vielschichtiger Wirtschaftsfaktor geworden: einmal laut, einmal leise, mit schon genutzten und vielen noch brachliegenden Chancen. Deshalb zieht auch Johann Leitner, der Organisator der „Wiener Wiesn“, im Countdown zu seinem ersten Oktoberfest alle Register der Medienorgel: Mit der Gratiszeitung „Heute“ ist er eine Kooperation eingegangen, 60 TV-Trailer sollen im ORF Ende August die Stimmung schon einmal kräftig anheizen. Und als sich Leitner für den trend-Fototermin auf die Kaiserwiese im Prater fallen lässt, macht er sich noch einmal Mut, dass er diesmal einen Volltreffer landen wird. Leitner, kurz und knapp: „Das wird’s.“

- Bernhard Ecker und Vanessa Voss

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