Die neue Italienische Reise
Zwei Jahrhunderte nach Goethe reisen wir ins Nachbarland, aber zeitgemäß virtuell. Was gab uns das Land im Süden, was gibt es uns heute? Führt es noch in Geschmack und Design? Bietet es noch die schönsten Produkte? Kann man von italienischen Websites lernen, wie man eleganter informiert?
Auch ich in Arkadien!
Johann Wolfgang von Goethe
Jeder Erwachsene hat irgendwann die Italienische Reise gelesen. Bei manchen Bildungsbürgern liegt dies Jahrzehnte zurück. Man erinnert sich an ein Buch mit vielen hundert Seiten. In ruhiger, schöner Prosa geschrieben, war es ein Liebeslied auf Italien. Goethe besang sein Arkadien, ein helles Traumland. Es war ihm erhaben, klug, geistreich und schön. Was den nordischen Geheimrat besonders erregte, war das federleichte, künstlerische, auch schlitzohrige Gemüt der Italiener, das selbst jenes der Österreicher übertraf.
Hier setzt auch unser Verhältnis zu Italien an. Wir sind den Italienern geografisch und verhaltenstechnisch näher als den Sachsen. Aber auch wir haben die Italienische Reise genossen. Die Erregung des Dichterfürsten war nachvollziehbar. Schon der erste Satz weckte Erwartungen: Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte.
Ein Wiedersehen mit dem Buch, das vor 220 Jahren geschrieben wurde, bestätigt: Es ist immer noch ein besserer Reiseführer als alle Ratgeber von Baedeker, Merian, Marco Polo und DuMont, auch wenn es diese nur überhöht, nicht ersetzt.
Wer sich auf das Abenteuer des Wiederlesens einlassen will, sollte die appetitliche Goethe-Gesamtausgabe des Deutschen Taschenbuch Verlags dtv kaufen, die der so genannten Hamburger Ausgabe des Verlags C. H. Beck folgt. Sie ist mit 101,80 Euro wohlfeil. Hübsch geordnet in einer stabilen Kassette, lachen uns 14 lindgrüne Bände mit zirka je 750 Seiten an. Einer davon, Band 11, ist exklusiv jener Kutschenreise von Karlsbad nach Rom gewidmet, auf der Goethe Reisegeschwindigkeiten von über 20 km/h erreichte. Bei diesem Irrsinns-Speed könne man kaum etwas sehen, klagte er. Noch nie hat einer, der nichts sah, so viel gesehen.
Viele Geschäftsverbindungen von Österreichern mit dem Nachbarland im Süden haben eine normale, harte Business-Grundlage. Das Holzgeschäft ist immer interessant gewesen. Die Importe von Kacheln, Möbeln und feiner italienischer Lebensmittel (die früher als unsere mit Spezialitäten und hochpreisiger Qualität entzückten) werden nüchtern gekontert mit dem Export von Werkzeugmaschinen, die das industriell starke Norditalien schätzt.
Zum harten Business gesellte sich weiches Business, ohne Gewinn und Verlust. Mehr als Ausrede für eine künstliche Verlängerung der Jugendsommer, die man an den billigen Meeresstränden zwischen Livorno und Jesolo oder weiter im Süden bei Rimini liebte. Immer noch reizvoll die Anfahrt durchs Kanaltal, die schnelle Durchbrechung der Alpen auf Autobahnen durch Tunnels, dann der andere Geruch Italiens auf der Alpensüdseite, das Wärmere, bald auch Feuchtere und Salzige. Schließlich der Geschmack des ersten italienischen Espressos und Grappas im Auto-Grill, wie die besseren Autobahnraststätten Italiens heißen.
Die Flucht aus dem Norden der Alpen in den Süden wird immer schön bleiben. Sie ist Grund genug, auch mäßig verzinste Geschäfte mit Italien zu unterhalten.
Ein gewisser Generationswechsel zeigt sich darin, dass immer mehr jüngere österreichische Unternehmer an der großen Autobahnweiche, die rechts nach Venedig und links nach Triest führt, die linke wählen oder überhaupt gleich den Abschneider von Udine durch das Friaul. Dort finden sich große Winzer wie Marco Felluga und große Edelbrenner wie Nonino. Und das Goldene Dreieck der Handwerkskombinate, die in arbeitsteiligem Teamwork Sessel und Kinderwiegen erzeugen. Die Tatsache, dass man im Dorf Cormons mehr Haubenlokale als Einwohner findet, wird billigend in Kauf genommen.
Der Linksschwenk hat auch damit zu tun, dass man bald nach Triest in die neuen EU-affinen, ex-jugoslawischen Wirtschaftsräume vordringt. Kunstsammler finden beispielsweise den Doyen des heimischen Kunsthandels, Ernst Hilger, in warmen Monaten auf der Insel Krk. Auch Slowenien wird modern und ein ernster Konkurrent Italiens.
Die größte innere Verbindung österreichischer Unternehmer zu Italien hat mit Design, also mit ästhetischer, ergonomischer, funktionaler Schönheit zu tun. Lange Zeit hatte Norditalien darin ein Monopol, so wie Kalifornien in den USA.
Automobildesigner wie Pininfarina, Bertone, Carrozzeria Touring und Giugiaro galten lange Zeit als so unschlagbar wie Corradino dAscanio mit seiner Schöpfung Vespa. Ettore Sottsass und Figini/Luzati/Pollini schufen die schönsten Schreibmaschinen für Olivetti. Giorgio Armani schneiderte die ersten eleganten Sakkos, die locker zu tragen waren.
Diese italienischen Vorzüge werden graduell unwichtiger. Österreich hat nun selbst immer mehr erstklassige Designer und Designerschulen. Die vitalen Koreaner (Hyundai, Samsung etc.) laden immer öfter auch Österreicher ein, ihre Künste zu zeigen. Beispielsweise Alexander Korab, der sich wie sein Bruder, der Fotograf Nikolaus Korab, aus dem Magnetfeld des berühmten Malervaters Karl Korab emanzipierte.
Die feinsten Espressomaschinen kommen immer noch aus Italien, die beste Filterkaffeemaschine freilich bereits aus Österreich. Ferdinand Alexander Porsche, Chef der Company PORSCHE-DESIGN und Ur-Zeichner des Porsche 911, schuf sie für Siemens. Ich kaufte sie um erheblichen Image-Aufpreis, wie übrigens auch das 911-Cabrio. Es gab billigere Filtermaschinen und Boliden. Aber nicht auf lange Sicht. Beide verzinsen sich durch tägliche Freude an Form & Funktion.
Italien wird in vielen Bereichen spannend bleiben, muss aber alle Muskeln anspannen, der geschäftliche und private Darling zu bleiben. Die Zeichen stehen auf Sturm und Warnung. Die Gefügigkeit des Volkes, sich rechtslastigen Diktaten der Machtmaschine Berlusconi zu beugen, zeugte erste Sympathieverluste bei Fremden und Frust im Inneren. Die Anti-Raucher-Hysterie etwa kostet die Gastronomie einige Milliarden Euro. Die Stimmung gleicht der Prohibitionszeit Amerikas. Noch schlimmer die neuen, brutal teuren Kontrollen der Autobahngeschwindigkeit. Die früher zügigen Fahrten nach Apulien, Kalabrien und Sizilien sind Vergangenheit. Niemand scheint sich aufzulehnen. Die Italienischen Heldensagen bleiben das dünnste Buch der Welt.
Dass Italien noch glänzen kann, zeigt Alfa Romeo. Der Nachfolger des 156 war das Glanzstück des Genfer Automobilsalons.
Auch der kleine 147 und der starke GT sind Hämmer. Dieser Teilbereich des Krisenkonzerns Fiat ist ein Ort höchster Attraktivität und solider Funktion. Auch Bike-Produzent Ducati punktet mit Witz, Schönheit, sportlichem Biss und in Gestalt des Sport-Tourers ST4S erstmals mit premium safety: ABS!
Mein Versuch, den Eleganz-Vorsprung Italiens in einem Zukunftsbereich, dem WWW (Websites), bestätigt zu finden, schlug allerdings fehl.
Keine der interessanten Firmen wie Fiat, Alfa, Lancia, Ducati, Moto Guzzi, Agip, Pirelli, Sasso, Segafredo, Alitalia, Olivetti, Nonino etc. ist im Internet den deutschen oder österreichischen Konkurrenten überlegen. Meist gibt es Staub in den Ecken, träge Aktualisierungen, oft auch einen Mangel an Klarheit in der Struktur und keinen einzigen überragenden optischen Einfall, den man nicht anderswo schon gesehen hätte.
Die stringenten inneren Auflagen einer Website sind den Italienern offenbar nicht angenehm. Österreicher, Deutsche, manche Japaner und US-Amerikaner gehen damit oft besser um.
Fazit: Die italienische Reise ist nicht mehr, was sie für Goethe war. Wobei das Urteil weitaus dunkler ausgefallen wäre, hätte ich die virtuelle Reise nicht am Südende von Norditalien, das als Wirtschaftswunderland gilt, abgebrochen, etwa bei Bologna.
Wären wir weiter gereist und hätten wie Goethe unser Glück im Süden gesucht, in Rom und Umgebung, in Kalabrien oder gar Sizilien, müssten wir um das sinnliche Land, das ein geliebter Nachbar ist, größte Sorge tragen. Selbst das Goethe-Haus in Rom trägt zum Kummer bei. Es wurde unsensibel und steril überrenoviert. Nichts blieb von der damaligen Zeit, in der die Italienische Reise geschrieben wurde. Es sieht heute aus, als hätte der große Poet in Schrittweite von WC, Bidet und Dampfkammer gedichtet. Tatsächlich aber lebte er noch im unhygienischen Zeitalter und pinkelte in den Hof.
Arkadien ist Vergangenheit.