Der Mann des Jahres 2010: Voestalpine-Chef Wolfgang Eder im großen Porträt

Er hat die Voestalpine fast geräuschlos durch die existenzbedrohende Wirtschaftskrise geführt. Er hat den Stahlkonzern dem Zugriff der Politik entzogen und ihn zum profitabelsten in Europa gemacht. Er ist trotz seiner Erfolge als Industrie-General bescheiden und ein deklarierter Anti-Netzwerker. Voestalpine-Chef Wolfgang Eder ist der Mann des Jahres.

Von Bernhard Ecker

Auf den wenigen Metern vom Ausgang des Hotels Frankfurter Hof zum schwarzen VW Phaeton blüht er noch einmal so richtig auf. Es ist ein Freitagabend Ende November, er hat in dieser Woche über 50 Termine mit Analysten und Fondsmanagern abgespult, geduldig hat er die immer gleichen Fragen nach der Stahlkonjunktur, der Rohstoffsituation oder möglichen Kaufzielen der Voestalpine beantwortet.

Doch auch am neunten Tag seiner zweiwöchigen Kapitalmarkttour zeigt Wolfgang Eder keine Ermüdungserscheinungen. Der Wagen wird ihn zum Frankfurter Flughafen bringen, nächste Etappe der Roadshow ist New York. Nun rückt er kurz seine markante Brille zurecht und blickt strahlend auf die ringsum aufragenden, hell erleuchteten Finanzkathedralen der Main-Metropole: den Commerzbank-Tower, das Deutsche-Bank-Hochhaus, den Eurotower. Während seine wenigen Begleiter nach der Ochsentour keuchen, sieht Eder aus wie einem Jungbrunnen entstiegen. Ein Schatten von Genugtuung huscht über sein Gesicht.

„Es gibt auch eine Welt hinterm Pöstlingberg“, hat er vor fünf Minuten in der Lounge des noblen Hotels gesagt. Der trend hatte wissen wollen, warum er auch im fünfzehnten Jahr seit dem Börsengang des Linzer Stahlkonzerns die Investoren höchstpersönlich treffen will, etwas, was anderswo die Finanzchefs schaukeln. Hier vor dem Frankfurter Hof, in diesen wenigen Sekunden on the road, ahnt man plötzlich, was damit gemeint ist. Manchmal muss ein Musiker, der den Großteil des Jahres im Studio steht, ganz einfach auf Tournee gehen.

Doch es sind nicht die Skylines der Finanzdistrikte, die ihn eigentlich faszinieren. Mit Glamour um des Glamours willen kann Eder, geboren in einem 800-Seelen-Ort am Attersee, nichts anfangen. Seine tiefe Zufriedenheit rührt vielmehr daher, dass er vor den Börsianern, die in diesen Wolkenkratzern hausen, in seiner berühmten Beständigkeit souveräne Auftritte hinlegt. Dass er die Voestalpine als echtes Unternehmen von Welt präsentieren kann. Seine Voestalpine.

Wolfgang Eder, der am 5. Februar 59 Jahre alt wird, ist der trend-„Mann des Jahres“. Denn unter seiner Führung entwickelte sich die Voestalpine AG mit ihren weltweit fast 40.000 Mitarbeitern zum Klassenbesten in der europäischen Stahlliga. In den Geschäftsberichten ist nachzulesen: Seit sieben Quartalen sind die Oberösterreicher profitabler als die Konkurrenten ArcelorMittal, ThyssenKrupp & Co (siehe Grafik). Rund 800 Millionen Euro Gewinn erwartet die Voestalpine im Ende März endenden Geschäftsjahr 2010/11. Und der stets vorsichtige Eder spricht sogar davon, bis 2015 den Umsatz auf 15 Milliarden Euro fast verdoppeln zu wollen. Das zeugt von Selbstbewusstsein.

Außen Lärm, innen Ruhe. Trotz einschneidender Kurzarbeitsprogramme und Jobabbaus gelang es in der Krise, das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führung zu bewahren. Während anderswo Manager als Sündenböcke gekidnappt wurden, gab es im weitverzweigten Voest-Reich weder Streiks noch Aufrufe dazu. Nicht einmal einen einzigen bösen Brief hat Eder bekommen. Der Linzer Anwalt Gerhard Wildmoser, ein wichtiger Fädenzieher und Meinungsmacher im Wirtschaftsleben ob der Enns, sieht darin die eigentliche Meisterleistung: „Mit welch ungeheurer Konsequenz und innerer Ruhe das Unternehmen durch die Krise geführt wurde, ist ein Glanzstück, das selten vorkommt.“

Kurzum: Eder und seine Vorstandskollegen haben die Wirtschaftskrise, die sie ab Oktober 2008 mit voller Wucht getroffen hat, besser gemanagt als die gesamte Konkurrenz des Kontinents.

Der zweite gewichtige Grund für die trend-Wahl: In diesen turbulenten Monaten schaffte es der Mann an der Spitze auch noch, die „fünfte Division“ geräuschlos zu integrieren. Der steirische Edelstahlkonzern Böhler-Uddeholm, 2007 in einem Sensationscoup um 3,7 Milliarden Euro übernommen, ist seitdem auf geradezu harmonische Art und Weise Teil der Voestalpine-Familie geworden. Daran hatte nicht zuletzt auch der scheidende Böhler-Boss Claus Raidl einen substanziellen Anteil.

Und drittens: Seit dem Verkauf der letzten Staatsanteile 2003 hat Eder die Voestalpine – einst Staatsmoloch und Milliardengrab – kompromisslos zur parteifreien Zone gemacht. Politikern hat er in Wahlkampfzeiten verboten, die Arbeiter an den Hochöfen zu besuchen. Seinen Pressesprecher ließ er jeden Journalisten anrufen, der ihm das Etikett „SPÖ-nahe“ umgehängt hatte. Im Sommer wurde ruchbar, dass der Kronprinz des Linzer SPÖ-Langzeitbürgermeisters Franz Dobusch zwecks Erlernen der Betriebswirtschaft einen Voestalpine-Job erhalten sollte. Eder verweigerte den Deal – und zog sich den geballten Zorn der SPÖ-Landesgranden zu.

Seinem eigenen Ärger über die Politik machte Eder kurz darauf selbst Luft: Bei der Eröffnung des Voestalpine-Innovationscenters im September 2010 forderte er von der Politikerkaste endlich „Führung statt Machtgetue“ ein und geißelte Verwaltungsstrukturen „wie unter Maria Theresia“. So direkt sind Faymann, Pröll und die Landeshauptleute schon lange nicht mehr gescholten worden. Es klang nach später Rache der gequälten Verstaatlichten an der Politik.

„Wolfgang, musste das wieder sein?“, fragen ihn seine Vorstandskollegen nach solchen Auftritten dann manchmal. Wolfgang Spreitzer, Chef der Profilform-Division, letzter Assistent des 1985 abberufenen Generaldirektors Heribert Apfalter, spricht von einer „Übersensibilität“ Eders, wenn es um Politik geht.

Doch ja, aus Eders Sicht muss es sein. Ihm sitzt die Geschichte dieses Unternehmens sprichwörtlich in den Knochen. Als Protokollführer, später als Generalsekretär, schließlich als Vorstand wohnte er seit 1979 allen Aufsichtsratssitzungen bei. Den Niedergang der verstaatlichten Industrie hat er live und schmerzhaft erlebt. Die Szenen haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt.

„Weißt du, Eder, ich hab wieder einmal einen Termin beim Alten“, eröffnete ihm etwa der vitale Apfalter Anfang der achtziger Jahre bei einer gemeinsamen Liftfahrt in der Linzer Zentrale. Der Voest-General musste bei Kanzler Bruno Kreisky antreten, dem Beschäftigung tausendmal wichtiger war als Betriebswirtschaft. „Ich weiß auch schon, was herauskommen wird“, vertraute Apfalter dem jungen Mitarbeiter in tiefstem Mühlviertler Dialekt an. „Er schickt mich wieder nach Hause, und wir sollen schauen, dass wir irgendwie durchkommen. Ich darf nicht einmal ansprechen, dass wir da und dort Leute abbauen müssen.“

Diese Ohnmacht verdichtet sich in einem zweiten Bild. An einem Vormittag im März 1984 war Apfalter in Linz noch guter Dinge gewesen, Einsparungen bei den üppigen Voest-Betriebspensionen durchsetzen zu können. Am Abend sah Eder in der „Zeit im Bild“ dann Bundeskanzler Fred Sinowatz verkünden, dass der Voest-Vorstand sein Sparkonzept zurücknimmt. Neben Sinowatz standen ein strahlender Franz Ruhaltinger, der allmächtige Zentralbetriebsratschef, und ein betretener Apfalter. Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Nur vor diesem Hintergrund ist erklärbar, warum Eder auf die geringste Einflussnahme vonseiten der Politik allergisch reagiert. Freunde und Kollegen sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem „väterlichen Schutzreflex“.

Stahl inside. Eder führt die Voestalpine wie ein Familienunternehmer. „Eine hohe emotionale Bindung an das Unternehmen“ ortet Günter Geyer, der Chef der Vienna Insurance Group, mit dem Eder in wechselseitiger Wertschätzung verbunden ist. „Wie ein Fels in der Brandung“ stehe er vor seinen Mitarbeitern, sagt sein Freund Johannes Hödlmayr, Chef des gleichnamigen Schwertberger Logistikunternehmens. Zu Stahl hat Eder überdies ein Intimverhältnis wie sonst nur Brauerei-Manager zu ihrem Bier: Wer mit ihm an einem Schiff aus der bis 1991 zum Konzern gehörenden Werft in Korneuburg vorbeifährt oder eine Stahlbrücke passiert, darf mit schwungvoll-kenntnisreichen Vorträgen rechnen.

Übervater Eder will die Voestalpine-Familie aber auch mit Nachdruck auf eine Welt vorbereiten, die so gar nicht die Gemütlichkeit des Gewohnten verheißt. So wie er das Unternehmen breit aufgestellt hat, international und auf fünf Säulen ruhend, verlangt er auch von den Menschen, dass sie über den gewohnten Tellerrand blicken lernen. Die frühere „Mühlviertel AG“ (© Claus Raidl) ist längst zur Europa AG geworden, die 70 Prozent ihres Umsatzes auf dem alten Kontinent, aber nur noch neun Prozent in Österreich macht. Das Wachstum der Zukunft findet in China, Brasilien oder der Türkei statt. Offenheit verlangt Eder deshalb auch von seinen Mitarbeitern, ja von allen Landsleuten: „Die Werte, die man in Österreich mitbekommt, sollte man mit den Werten der Zukunft verbinden, die man braucht, um sich in einer globalisierten Welt zurechtzufinden. Das Gebot der nächsten Jahre ist, emotional, kulturell und politisch aufzumachen, Grenzen zu überwinden.“

Wer mit dem Generaldirektor am sechs Quadratkilometer großen Werksgelände unterwegs ist, hört ihn pausenlos für diese Botschaften werben. Und er wird gehört. Sogar sein tendenziell sarkastischer Finanzchef Robert Ottel gerät ins Schwärmen, wenn er über die Kommunikationstalente des Chefs spricht: „Er kann mit dem Arbeiter am Hüttenflur ebenso wie mit den Vorstandskollegen reden.“

Zufallskarriere. In die Wiege gelegt wurde dem Mann des Jahres die Welt des Stahls ebenso wenig wie die des höheren Managements. Nur wer schicksalhafte Zusammenhänge konstruieren will, vermerkt, dass Eders Geburtsjahr 1952 auch das Jahr war, in dem das berühmte Linz-Donawitz(LD)-Verfahren Premiere hatte.

Der Vater ist Volksschullehrer in Steinbach am Attersee, später Direktor im nachbarlichen Weyregg und in der Bezirkshauptstadt Vöcklabruck, die Mutter Hausfrau. Das Wertesystem wird von Freunden allgemein als christlich, herzlich, erdnah beschrieben. „Hausverstand, Kritikfähigkeit, Toleranz“ nennt Eders um 15 Jahre jüngerer Bruder Bernhard als Kerntugenden.

Einer fundierten Ausbildung der drei Söhne wird nichts in den Weg gelegt. Wolfgang, der älteste, liebäugelt mit Architektur, entscheidet sich dann aber sicherheitshalber doch für Jus. Der um zwei Jahre jüngere Siegfried entwickelt eine Vorliebe für Sprachkritik und wird Gymnasialprofessor für Deutsch und Geschichte. Nachzügler Bernhard ist heute Kundenbetreuer bei den Raiffeisen-Versicherungsmaklern und sagt: „Ich habe in 22 Jahren in der Finanzbranche keinen einzigen Manager kennen gelernt, der so authentisch geblieben ist wie Wolfgang.“

Beruflich ist er zwar in die männerdominierte Stahlwelt hineingewachsen, deren konservative Grundierung er selbst so beschreibt: „Industrie ist zum Angreifen, man weiß, was man hat, das ist berechenbar.“ Die Sehnsucht nach einer Gegenwelt ist aber ständig präsent, in der Familienverbundenheit, beim Segeln oder in seiner Bewunderung für den Event-Caterer Attila Dogudan. Dessen unternehmerische Leistung mit dem Dienstleister Do&Co fasziniert ihn ungemein.

Ein „Big Picture“ sei dem Bruder immer schon vorgeschwebt, sagt Bernhard, „er war immer sehr überlegt und weitblickend“. Das zeichnet ihn auch als Manager aus, meint Ottel, der von einem „unglaublich langfristigen Denken“ als Eder’schem Markenzeichen spricht. „Er weiß genau, wo er hinwill“, bestätigt Siemens-Vorstand Gitti Ederer, die ihn vor 20 Jahren kennen gelernt und damals noch nicht als künftigen Highflyer identifiziert hat.

Wer als so zielgerichtet beschrieben wird, muss wohl auch einen ausgeklügelten Lebens- und Karriereplan gehabt haben. Doch so etwas hält der Voestalpine-General für mindestens so absurd wie eine parteipolitische Nähe seiner Person. Einen Anflug von Statuslust belegt nur einer der wenigen eingestandenen Träume des jungen Eder: ein reservierter Parkplatz vor dem Blauen Turm in Linz, wo die „Chefitäten“ ihre Büros haben. Ansonsten muss er Karrierejünger enttäuschen: „Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Zufällen.“

Kontinuitäts-Kaiser. Schon dass der frischgebackene Jurist auf jenes Stelleninserat im Jahr 1978 antwortete, war nach eigener Darstellung Zufall: Bei einigen Banken hatte sich der damals 26-Jährige schon beworben, ein Onkel seiner Frau überredete ihn beim Sonntagskaffee, es auch bei der Voest zu probieren.

Koinzidenz Nummer zwei: das große Vakuum nach dem politisch erzwungenen Abgang des gesamten Vorstands unter Apfalter im November 1985. „Ab diesem Zeitpunkt war die Voest­alpine für die Politik ein Aussätziger, da wollte niemand anstreifen“, erinnert er sich. „Diese Freiheiten haben wir genutzt und den Konzern völlig neu aufgestellt.“

Schon in diesen Jahren arbeitete er übrigens eng mit einem Finanzvorstand namens Claus Raidl zusammen. Ein tragisches Unglück beschleunigte dann am Anfang des neuen Jahrtausends seinen Aufstieg: Eders langjähriger Mentor und Freund Peter Strahammer, damals Generaldirektor, stürzte am 22. August 2001 beim Bergwandern am Wolfgangsee tödlich ab. „Eder und ich, wir sind die prominentesten Strahammer-Jünger“, bezieht sich Kollege Spreitzer heute immer noch auf „den großen Kulturbaumeister der Voestalpine“. Die Nachricht vom Tod des damals 57-Jährigen erreichte Eder beim Segeln im kroatischen Velebicki-Kanal. Die Mitreisenden am Boot erinnern sich an den Moment seiner Betroffenheit heute noch ebenso deutlich wie an jenen berühmten 11. September, der 19 Tage später die Welt ins Wanken brachte.

Dass Strahammers Nachfolger Franz Struzl dann 2003 über Insiderhandel mit Aktien einer Voestalpine-Tochter stolperte und somit den Weg frei machte, kann wahlweise als Missgeschick, Dummheit oder eben Zufall interpretiert werden.

Bei aller Ruckartigkeit dieser Ereignisse sticht die 32-jährige Kontinuität in ein und derselben Firma noch mehr ins Auge als die Sprünge. Damit korrespondiert eine fast beängstigende Beständigkeit von Eders Lebenssäulen außerhalb der beruflichen Existenz. Noch ein Jahr länger als mit der Firma ist er mit seiner Frau Gabi verheiratet, einer Englisch- und Französischlehrerin am Linzer Europagymnasium Auhof. Seit 15 Jahren spielen Eders jeden Sonntagabend mit ein und demselben Ehepaar „Familientennis“, wie sie es nennen.

Sogar seine privaten Versicherungen schließt er seit fast drei Jahrzehnten bei jenem Allianz-Mann ab, der mit ihm in einer Linzer Juristen-Fußballmannschaft gekickt hat. Und natürlich hat er auch sein Büro im Blauen Turm – ungeachtet aller Karrieresprünge – seit 20 Jahren nicht getauscht.

Steuermann.
Folgerichtig ist sein Freundeskreis dicht bestückt mit Leuten aus Jugend- und Ausbildungszeiten. Dazu gehört etwa Dominikus „Mink“ Schweiger, heute Anwalt in Linz. Als Schweiger im Herbst 1972 ins Salzburger Studentenheim Wolf-Dietrich einzog, „war Wolfgang der Erste, den ich kennen gelernt habe“. Zu Schweigers Nutzen: „Wolfgang war im Jusstudium immer ein Semester vor mir, weil er wegen des Bundesheers schief inskribiert hatte, und ich habe ihm viel zu verdanken: Bücher, Vorlesungsunterlagen oder einfach gute Tipps.“ Segeltörns folgten, nach den Familiengründungen gemeinsame Urlaube auf Hausbooten in Frankreich oder Irland – abgelöst durch Törns der Väter, erst mit ihren Söhnen, dann auch mit den Töchtern. „Und ob Sie es glauben oder nicht“, so Schweiger, „wir haben in den 38 Jahren kein einziges Mal gestritten.“
Selbst am Attersee treffen sich die Familien jeden Sommer, Schweigers haben ein Domizil in Kammer-Schörfling, Eders in Parschallen an der Westseite des Sees. Das Segelboot wird Eders liebstes Freizeitgerät. 1972 hat er um ein Haar die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Kiel verpasst. Heute liebt er die sommerlichen Drachenboot-Regatten auf dem Attersee und die freundschaftlichen Fahrten durchs Mittelmeer.

Als Steuermann agiert er dabei nicht anders als in der Arbeit, meint „sein“ Vorschoter Markus Liebl, im Brotberuf Generaldirektor der Brau Union: „Er improvisiert viel, hat stets den Überblick, er kann die Leute gut einteilen und zu überdurchschnittlichen Leistungen anspornen.“ Bernhard Eder, ebenfalls erprobt am Vorschot, ergänzt: „Er ist detailversessen, teilweise pedantisch. Die Einstellungen müssen genau stimmen, und er kontrolliert zum Beispiel immer, ob der Mast drinnen ist.“

All das stimmt mit seiner Arbeitsweise im Blauen Turm überein, wie sie von den Mitarbeitern geschildert wird. Geschäftsberichte studiert der Vorstandsvorsitzende höchstpersönlich im Detail, Motivieren ist seine Stärke, Teamgeist oberste Priorität. Im 15. Stock des BG 41, wie das Bürogebäude der Bosse offiziell heißt, versammelt er seine engen Getreuen: Neben Ottel und Kommunikationschef Gerhard Kürner vor allem auch den Leiter der Rechts- und Akquisitionsabteilung, Hubert Possegger.
Besonderes Augenmerk legt Eder auf das Mikroklima im Vorstand der Voestalpine AG. Dort erfordert ein bestimmtes Streitthema einiges Fingerspitzengefühl. Einige Kollegen wurmt, dass Eder neben seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der AG noch immer Chef der Stahl GmbH in Linz ist. Das führt zu Eifersüchteleien, welcher Konzernteil wie viel Zuwendung erfährt, und wird naturgemäß von den dezentralen Einheiten kritisch gesehen. „Ich hätte mir oft gewünscht, dass er nicht gleichzeitig Vorstandschef der Stahl-Division ist“, gibt Vorstandskollege Spreitzer, dessen Profilform-Division in Krems sitzt, offen zu. Eingeweihte sagen, Eder würde sich ohne das Nervenzentrum Stahl als eine Art König ohne Königreich fühlen. Er selbst will das Thema nicht kommentieren.

Lieber lässt er seine Kollegen einkochen. Auf seine Initiative hin gehen die nunmehr sechs Voest-Obersten einmal im Jahr gemeinsam mit ihren Ehefrauen essen, das Steirereck in Wien stand ebenso schon auf dem Programm wie Lisl Wagner-Bachers Gasthaus in Mautern. Wie es ihm gelungen ist, den notorisch mitteilsamen Claus Raidl in das Team einzubinden, halten viele noch heute für das Bravourstück der Böhler-Übernahme.

Effekt dieser atmosphärischen Bemühungen war, dass – bei aller Unterschiedlichkeit der Charaktere – in der Krise stets an einem Strang gezogen wurde. Und er, der bisher nur in Schönwetterzeiten geglänzt hatte, musste ab Herbst 2008 auch als Voest-Chef vorexerzieren, dass er „in brenzligen Situationen extrem gute Nerven hat“, wie Bruder Bernhard vom Segeln her weiß.

Krisenmanagement. Alle, die mit ihm in dieser Zeit zu tun hatten, erinnern sich an den Tag, als Eder von der World-Steel-Tagung in Washington Anfang Oktober 2008 zurückkam. Davor, in den ­Tagen nach dem Kollaps von Lehman Brothers am 15. September, hatte er noch von einer „Wachstumsdelle“ gesprochen. Nun wurde klar, dass es sich um eine Krise handelte, die im Management-Lehrbuch nicht vorkam. Eder: „In Washington hat sich die gesamte Stahlwelt getroffen, und es war allen klar: Jetzt geht’s ans Eingemachte. Es herrschten extreme Nervosität, Aufgescheuchtheit, Orientierungslosigkeit. Gleichzeitig tauchten erste Gerüchte aus der Heimat auf, die Kunden begännen Aufträge zu verschieben.“

Das Dilemma der Voestalpine: Nach der Böhler-Uddeholm-Übernahme im Jahr davor war der Schuldenberg 3,8 Milliarden Euro hoch, die Lager waren nach zehn Jahren hundertprozentiger Auslastung übervoll, die Bestände an Rohstoffen wie Erz riesig. Nun sank der Auftragseingang quasi über Nacht auf null. „Es war, als hätte man einen Schalter umgelegt“, berichten Voestler noch heute verdattert.

Als Sofortmaßnahmen wurden alle Kreditlinien überprüft, die Investitionen dramatisch zurückgefahren, das Thema Liquidität in den Mittelpunkt gestellt. Alle weltweiten Führungskräfte wurden dreimal binnen neun Monaten nach Linz bestellt. „Und zwar nicht zum Diskutieren, sondern zur Befehlsausgabe“, sagt Eder. „Da ist dann Führung gefragt.“ Seither sind die letzten Skeptiker in Bezug auf Eders Leadership auch überzeugt.
Dennoch verschlimmerte sich die Lage fast täglich. Im Jänner 2009 legte Mercedes, einer der Großkunden im Automobilbereich, die Produktion seiner S-Klasse für drei Monate still. Es war klar, dass nach drastischem Urlaubsabbau und der Reduktion von Leiharbeitern Einschnitte beim Personal unvermeidlich sein würden: Kurzarbeit und Kündigungen.

In der Voest der siebziger und frühen achtziger Jahre wäre das die Stunde eines Franz Ruhaltinger gewesen. Doch im Machtparallelogramm der Voestalpine von heute gibt es keine Betriebsratskaiser mehr. Es wird vielmehr so etwas wie „innerbetriebliche Sozialpartnerschaft“ gelebt.
Diese Formulierung wählt Hans-Karl Schaller, Ruhaltingers Nach-Nach-Nachfolger, den sie in seinem Büro „Charly“ nennen. Es befindet sich im Erdgeschoß des braunen BG 19, zwei Steinwürfe vom Blauen Turm entfernt. An der Wand künden zwei Porträts von Bruno Kreisky und eine alte Ausgabe der „Arbeiter-Zeitung“ von der Vergangenheit. Schaller schwärmt vom aktuellen „Voest-Geist“, der jetzt wieder im Werk herrscht. Er meint damit den Spirit, der durch den Zusammenhalt in der Krise entstanden sei.

Kommunikation nach Plan. Mit Eder habe es in der Krisenzeit viele Vieraugengespräche und gerade einmal „ein fünfminütiges Zerwürfnis gegeben“. Schaller wollte eine Ausdehnung der Kurzarbeit, um möglichst viele in Beschäftigung zu halten – Eder legte sich quer. „Er war stinksauer, und ich war stinksauer“, berichtet der Mühlviertler. Doch schon kurz darauf habe ihn der Oberboss angerufen, man habe wieder an einem Strang gezogen. Ansonsten redet Schaller, der vier Jahre nach Eder in die Voestalpine eingetreten ist, viel von Working Capital und strukturellen Krisen – die Argumente des Managements sind offenbar auch den Belegschaftsvertretern in Fleisch und Blut übergegangen.

„Wir haben uns genau aufgeteilt, wer wem etwas mitteilt“, rekapituliert Raidl den Kommunikationsplan in der Krise. „Eder hat Linz und den Zentralbetriebsrat gemacht, ich habe mich in Kapfenberg und bei Buderus in Wetzlar vor die Mannschaft hingestellt.“ Der Unterschied, so der Böhler-Chef: „In Österreich hatten alle Betriebsräte Verständnis für die Maßnahmen, sie kannten ja die Geschichte des Hauses. In Deutschland reden da Gewerkschaftssekretäre mit, denen vor allem ihre Karriere wichtig ist.“

Fazit: Die Voestalpine ist nach der Krise gesünder als zuvor. Verluste schrieb sie gerade einmal in einem einzigen Quartal. Von den bis zu 11.000 Voestlern in Kurzarbeit sind seit Herbst 2009 wieder alle in Vollzeitbeschäftigung. Spätestens im Geschäftsjahr 2011/12 dürfte das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein. Wolfgang Eder hat sich auch als Schlechtwetterpilot bewährt.

Mensch ohne Allüren. Das sehen auch seine Großaktionäre so. „Er hat bewiesen, dass er extrem schnell reagieren kann. Das Projekt Edelweiß (Plan eines neuen, sieben Milliarden Euro teuren Stahlwerks am Schwarzen Meer, Anm.) hat er sofort auf Eis gelegt, die Stahlwelt in Linz hat er durchgezogen – und sie nicht als Ruine mitten in Linz stehen lassen“, sagt Raiffeisenlandesbank-Chef Ludwig Scharinger, dessen Verhältnis zum Voest-Chef als nüchtern gilt. „Für uns als Miteigentümer war diese Zeit weitgehend überraschungsfrei, wir hatten keinen Grund, unruhig zu werden“, ­applaudiert auch Scharingers Rivale Franz Gasselsberger von der Oberbank, die rund fünf Prozent an der Voestalpine hält. Für Scharinger ist der Stahlkonzern „nach der Krise eines der interessantesten Unternehmen nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa“.

Eder hinterfragt stets genau, von wem und aus welchen Gründen solches Lob kommt. Denn sein auffälligstes Merkmal in einem Umfeld wachsender Manager-Eitelkeiten ist zweifelsohne Bescheidenheit – obwohl er längst allen Grund hätte, glanzvoll aufzutreten. Industriellenvereinigungs-Generalsekretär Markus Beyrer spricht von einer seltenen Kombination „aus Brillanz und Unprätentiosität“. Einen „Menschen ohne Allüren“ will Claus Raidl in Eder erkannt haben, und der Finanzer Ottel fasst seine mehr als zehnjährige Tätigkeit an Eders Seite so zusammen: „Was ihn von allen anderen Top-Managern, die ich kenne, unterscheidet, ist, dass der persönliche Schein für ihn nie wichtig war. Er hat geradezu Angst vor der Hybris.“

Was also treibt den trend-„Mann des Jahres“ an, wenn es nicht Ruhm und jene 1,3 Millionen Euro sind, die er im abgelaufenen Geschäftsjahr an Grundgehalt und Boni verdiente? „Er will etwas Interessantes machen, das ihn erfüllt“, sagt Freund Schweiger. „Es ist die pure Freude am Gestalten und die Herausforderung, mit der Größe der Aufgaben mitzuwachsen“, will einer seiner engsten Mitarbeiter wissen. „Größtmögliche Unabhängigkeit und Freiheit“, sagt er selbst.

Freunde statt Netzwerk. Kokett bezeichnet er sich als „Anti-Netzwerker“, wiewohl ihm heute auf Knopfdruck die wichtigsten Netzwerke des Landes zur Verfügung stehen. Bestätigt wird reihum, dass er niemals systematisch Kontakte in Polit- und Wirtschaftskreisen aufgebaut hat. „Obwohl er täglich x Einladungen zu Abendveranstaltungen hat, ist ihm die Pflege seines Freundeskreises wichtiger“, behauptet „Mink“ Schweiger. „Eder steht bei Wirtschaftsempfängen oft beobachtend auf der Seite, das ist nicht seine Welt“, hat auch Anwalt Wildmoser beobachtet. Im Union Yacht Club Attersee, wo er als überaus aktives Mitglied gilt, geht es ihm primär ums Segeln.

Selbst der Lions Club Johannes Kepler, der sich allmonatlich im Linzer Promenadenhof trifft, ist mehr eine Ansammlung von Freunden mit sozialer Ader als eine Karrieremaschine. Dort findet sich zwar eine erstaunliche Spitzenmanager-Dichte. Unter anderen zählen Rosenbauer-Chef Julian Wagner und sein Finanzchef Robert Kastil, Johannes Hödlmayr, und ORF-Tirol-Chef Kurt Rammerstorfer zu den Mitgliedern. „Doch es geht uns primär darum, möglichst effizient zu helfen“, sagt Hödlmayr.

Mit einigen Lions-Kollegen – dem Ex-Trierenberg-Vorstand Heinz Durstberger, „Mink“ Schweiger und anderen – hat Eder jüngst eine Firma gegründet: die HRM Beteiligungs GmbH, die sich an Firmen mit Nachfolgeproblemen beteiligen will. Eder hält 20 Prozent der Anteile. Schweiger nennt HRM „eine Vorbereitung zum Pensionistendasein“. Obwohl sich alle Befragten einig sind, dass Eder, dessen Vertrag zumindest bis 2013 läuft, mit hoher Wahrscheinlichkeit in kein schwarzes Loch fällt, wenn sein Voestalpine-Leben einmal endet.

Davor will er aber noch eine neue Rolle auskosten. Bahnsys­teme-Vorstand Josef Mülner, den Eder gern in technischen Fragen konsultiert, hat an ihm registriert, wie sehr ihn die neue Funktion als Vorsitzender des europäischen Stahlverbands Eurofer erfüllt. „Vor einigen Jahren wäre ein Österreicher als Präsident der Eurofer kaum vorstellbar gewesen, das war stets eine Domäne der Deutschen“, so Mülner. Nun darf der Mann aus Steinbach am Attersee, der seit 30 Jahren am Fuß des Pöstlingbergs wohnt, für die Belange der europäischen Industrie, den Standort Europa, die Rolle der Branche in einer globalisierten Welt sprechen.

Es ist eine Art ultimativer Anerkennung für das, was Wolfgang Eder ausmacht. Für das, was er macht. Für das, wozu er die Voest­alpine gemacht hat. Seine Voestalpine.

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