Callcenter: Bei Anruf Mord

Der steigende Kostendruck in CallCentern lässt die Qualität der Dienstleistung sinken, bringt die Anrufer zum Toben, und die Kundenbeziehung verendet immer öfter in der Warteschleife.

Willkommen bei der kostenlosen Hotline ...“ Das ist ja schon einmal sehr beruhigend, wenigstens geht der lange Tonbandsermon nicht auf meine Kosten. „… wenn Sie Fragen zu unseren Tarifen haben, drücken Sie bitte die 1, wünschen Sie eine Auskunft zu Ihrer Rechnung, drücken Sie bitte die 2 …“ Ha, genau das ist es, was ich wünsche, also flink die 2 gedrückt, aber die nette Tonbandstimme spricht unbeirrt weiter, offeriert mir noch die Möglichkeiten, Nummer 3, 4 und 5 zu drücken, wo ich überall interessante Informationen bekommen soll, die ich aber allesamt trotz heftigen Drückens niemals erreiche. Nun kündigt die Tonbandstimme an, mich mit dem Verkaufs- und Beratungsteam zu verbinden, und schließlich höre ich eine lebende, wenn auch nicht mehr ganz so freundliche Stimme, die heute hörbar zum hundertsten Mal, daher schwerst ermattet fragt: „Was kann ich für Sie tun?“ – „Ich bekomme keine Rechnung mehr!“ – „Na, san S’ froh!“ – „Aber der Betrag wird automatisch von meinem Konto abgebucht, nur bekomme ich keinen Rechnungsbeleg mehr, warum?“ – „Waß i net!“ – „Könnten Sie das vielleicht klären?“ – „Sie werden zurückgerufen!“ – Drei Wochen warte ich nun auf diesen Rückruf.

15.000 Telefonisten werden täglich auf das Volk losgelassen, erklären Stromtarife, helfen bei Computerabstürzen, verkaufen Versicherungen, suchen nach passenden Zugsverbindungen oder fahnden nach vermissten Telefonrechnungen. Oder sie versuchen es jedenfalls, oft genug mit mäßigem Erfolg, denn der Hilfe suchende Anrufer landet immer seltener im Unternehmen, dessen Mitarbeiter er sprechen will, sondern in einem ausgelagerten Callcenter.

In Österreich sind 19.500 Servicenummern vergeben. Bei all dem Aufwand, der um das Wohl der Kunden getrieben wird, könnte man doch wenigstens glückliche, zufriedene Konsumenten erwarten. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Studien, die Markt- und Meinungsforschungsinstitute regelmäßig im Auftrag großer Unternehmen, wie Siemens, OMV, IBM, Philips, Hewlett-Packard, ÖBB, EVN, Compaq, EA Generali, Telekom Austria oder T-Mobile, über Kundenzufriedenheit durchführen, zeigen ein ganz anderes Ergebnis.

Lost in the line. „Die Zufriedenheit mit Telefonservice ist immer nur mäßig. Beginnend bei Beschwerden über die lange Wartezeit, reicht es bis zu totalem Gezeter über die verheerende Qualität der Auskunft. Meist wird wüstest geschimpft“, weiß Walter Bertram Barth, Geschäftsführer der Integral Markt- und Meinungsforschungs GesmbH.

Dabei werden von den Betreibern große Hoffnungen in die ausgelagerten Servicestellen gesetzt: Dienstleistung rund um die Uhr, Kunden finden auch einen Ansprechpartner für ihre Probleme, wenn im Betrieb längst die Lichter gelöscht sind, und selbst am Wochenende dürfen sie ihr Herz ausschütten.
Hotlines sind eine heiße Sache. Deshalb werden die Auskunftsstätten auch nicht mehr altmodisch Telefonzentralen, sondern schwungvoll Callcenter genannt.

Der Boom begann in Österreich 1997. Mittlerweile werden in 500 heimischen Unternehmen Callcenter-Dienstleistungen erbracht. Während Filialen geschlossen und Reparaturdienste wegrationalisiert werden, sollen die Kunden Rat bei der Telefonseelsorge finden, und zwar rasch und unkompliziert.
Verspricht ein Callcenter-Anbieter einem Kunden 80/40, so meint er keineswegs die Cornettomaße seiner Mitarbeiter – Callcenter-Agents genannt –, sondern garantiert einen Servicelevel, bei dem 80 Prozent der Anrufe innerhalb von 40 Sekunden entgegengenommen werden. Doch selbst eine Wartezeit von 40 Sekunden nimmt sich wie eine Ewigkeit aus, vor allem, wenn es sich nicht um eine kostenlose Servicenummer handelt. Und in Österreich sind bereits über 17.000 kostenpflichtige 0900er-Nummern vergeben. Kein Wunder, dass der Anrufer, während er in der Warteschleife hängt, hinter freundlichsten Tonbandansagen und schmeichelnder Hintergrundmusik bedrohlich laut die Euros rasseln hört. Meldet sich schließlich jemand am anderen Ende der Leitung, ist er meist weder motiviert noch befugt, tatsächlich Hilfe zu leisten.

„Demotivierte Callcenter-Agents arbeiten eben auch schlecht; und demotiviert sind sie alle, denn an ihnen wird gespart“, schildert Ferdi Akdag, Geschäftsführer der Customer Care Solutions Call Center Betriebs GmbH, „und die Supervision wurde ohnedies längst wegrationalisiert.“ Damit haben frustrierte Telefonisten auch keinen psychologischen Beistand mehr, der sie wieder auf freundlich-fit trimmt.

Einfache Bestell-Hotlines werden mit Studenten besetzt, die maximal ein paar Stunden ausgebildet werden. Ein Callcenter-Agent verdient für 40 Wochenstunden permanent charmante Stimme und wenn möglich effiziente Hilfeleistung 1000 bis 1500 Euro brutto im Monat. „Derzeit sind wir in einer Krisenphase“, meint Akdag, „in einem Dumpingwettbewerb, der sich stark auf die Qualität auswirkt.“

Far from home. Vom Spargedanken gelenkt, betreiben internationale Konzerne längst Outsourcing in Billiglohnländer. Der Ansprechpartner am Ende der Service-Hotline sitzt dann in Indien oder Portugal und kostet meist nur ein Fünftel der inländischen Callcenter-Agents.

„Es ist nicht nur die Tendenz zu Billiglohnländern“, erklärt Brigitte Herbst von Teleperformance, „sondern man setzt auf die Qualität der Muttersprache.“ Von Teleperformance werden Kunden nach Tunesien, Indien, Argentinien, Mexiko oder auf die Philippinen umgeleitet. Und Herbst gibt zu: „Die Mitarbeiter in den Offshore-Standorten kosten ungefähr ein Drittel im Vergleich zu hier.“ Die Gefahr, dass dadurch der Kontakt zur weit entfernten Konzernzentrale verloren ginge und die Servicequalität noch mehr leide, sieht Herbst nicht: „Das ist immer nur eine Frage der Koordination der Schnittstellen und des Informationsflusses, aber vom Standort völlig unabhängig. Ein Trouble Ticket ans Homeoffice kann ich weltweit, von überall, online in kürzester Zeit schicken.“

Doch dem Kunden hilft das selten: Als der 73-jährige Pensionist Hans M. den ersten PC in seinem Leben unter dem Weihnachtsbaum fand, war die Freude groß. Sie wuchs, als der wissbegierige EDV-Senior in der Wiener Compaq-Zentrale eine geduldige Helferin fand. Mehrmals täglich quälte er sie, wann immer er sich in den Schleifen der für ihn unverständlichen Welt der Speicher und Rechner verloren hatte. Der Pensionist erlangte durch seine verständnisvolle Betreuerin ein wenig Sicherheit am Keybord, lobte Compaq und die unendliche Hilfsbereitschaft seiner Mitarbeiter. Als er einmal doch noch eine Frage hatte, blieb sein Hilferuf ungehört. Die Service-Hotline in Wien war aufgelassen, die Mitarbeiterin gekündigt. Sein Anruf wurde in ein Callcenter in den Niederlanden weitergeleitet. Der Hilfe suchende Pensionist und der anonyme Auskunftgeber scheiterten kläglich aneinander. Der PC wanderte ins Eck. Der Gedanke an einen Internetanschluss wurde verworfen. Sich aufdrängendes Zusatzgeschäft ging verloren.

Telefonwerbung. Wie die Untersuchungen zeigen, ist das Beispiel kein Einzelfall und somit symptomatisch für unerwünschte Nebenwirkungen des Kostensenkungswahns: Einsparungen sind zwar für Bilanzen heilsam, für die Bindung von Stammkunden, die Gewinnung von neuen Aufträgen oder Zusatzgeschäft aber oft pures Gift.

Um Kundenverluste wieder wettzumachen, werden dann so genannte Outbound-Callcenter eingesetzt. Sie sind schlichtweg für den Verkauf via Telefon und e-Mail zuständig und beim Kunden noch um ein Hauseck unbeliebter als Inbound-Callcenter, die auf Serviceleistung trainiert sind.

Jürgen Menedetter, Präsident des Direct Marketing Verbandes, ist sich sehr wohl der Gefahr bewusst, die unerwünschte Werbung in sich birgt: „93 Prozent der Verbraucher fühlen sich durch elektronisch übermittelte Werbung überfallen, 77 Prozent werfen digitale Briefsendungen ungeöffnet in den elektronischen Papierkorb, 16 Prozent lesen die Werbebotschaften mit Verärgerung“, zitiert er aus einer brandaktuellen Studie des deutschen Internetverbandes, „das sollte auch uns Betreibern von Outbound-Callcentern zu denken geben.“

In Österreich findet derzeit eine Marktbereinigung statt, weiß Menedetter: „Schlussendlich werden nur vier bis sechs große Callcenter-Anbieter übrig bleiben.“ Einer der größten ist die Competence Callcenter AG. Eigentümer Thomas Kloibhofer will die Schuld an mangelnder Servicequalität nicht in seiner Branche sehen: „Anrufer wünschen sich natürlich, dass ein Mitarbeiter immer helfen kann, und häufig fehlt es dem Inbound-Callcenter-Mitarbeiter auch nicht an der Fähigkeit, aber er hat nicht die Kompetenzen übertragen, um beispielsweise einen Umtausch zuzusagen. Und in den dahinter gelagerten Abteilungen laufen die Prozesse eben langsamer ab.“ Unter nachgelagerten Abteilungen versteht Kloibhofer Rechnungswesen, Logistik, Personalabteilung oder Marketing, „dort sind die Prozesse oft noch nicht so optimiert wie im Callcenter“.

Der Kunde allerdings hat wenig Interesse, die Schuldfrage zu klären, er möchte lieber sein Problem gelöst wissen. „Viel zu oft sind mehrmalige Anrufe notwendig, um ein im Grunde einfaches Problem zu lösen“, weiß Integral-Chef Barth.
Obwohl die Branche ständig um Verbesserung ihrer Leistung bemüht ist. Teleperformance führt seit 15 Jahren einen internationalen Wettbewerb zur Messung der telefonischen und schriftlichen (via e-Mail) Servicequalität durch. Dabei werden Kriterien wie Freundlichkeit, Wartezeit, Effizienz, Erreichbarkeit, aber auch Lösungsorientierung gemessen. Besonders gut schnitten in diesem Jahr dicall – Weiss Logistik, Quelle Lebensversicherung und Master Card ab.

„Durchschnittlich liegt Österreich bei allen Kriterien derzeit bei einem Zufriedenheitswert von 61 Prozent“, erklärt Brigitte Herbst, „unser Ziel wären 80 Prozent.“
Bis dieser Wert erreicht ist, müssen sich die Österreicher noch ein bisschen in Geduld üben.

Zurück zur fehlenden Rechnung: Nach drei Wochen vergeblichen Wartens auf den versprochenen Rückruf starte ich einen neuen Marsch durch die Tonbandschleife, mache gehorsam die erfolglosen Drückversuche, die angeblich zu diversen Servicestellen leiten sollen, und bin schließlich bei einem menschlichen Wesen angelangt, das beinahe heiter wirkt. Ich schildere erneut mein Anliegen, das diesmal mit dem Hinweis quittiert wird: „Aber Malheur is des kans, Sie können sich die Rechnung doch einfach im Internet ausdrucken.“

Gewitzte Idee! – Aber offenbar bloß für technisch versiertere User als mich. Nach rund dreißig gescheiterten Ausdruck-Versuchen, vier weiteren erfolglosen Anrufen und mittlerweile fünf Monaten ohne Rechnungsbeleg werde ich demnächst einen neuen Anlauf starten, aber erst, wenn ich viel Zeit, Humor und Nerven getankt habe.

Avaaz sammelt nicht nur online Millionen von Unterschriften, sondern begleitet seine Kampagnen oft mit öffentlichen Aktionen. In vielen Fällen, gerade bei globalen Anliegen, ist das von Erfolg gekrönt.
 
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