Alarmstufe Gelb

Ikea-Lampen oder Carrera-Rennbahnen made in China waren erst der Anfang. Nun rollen die ersten Automarken aus dem Reich der Mitte nach Europa. Und das ist längst noch nicht alles.

In Bernhard Schuttis Welt ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Vor fünf Jahren schmiss der Mühlviertler seinen Job bei der Erste Bank in Linz hin und gründete die Firma Stein & Co. Die Geschäftsidee ist im Granitland fürwahr ketzerisch: Schutti importiert Granit aus der 10.000 Kilometer entfernten chinesischen Provinz Fujian. Individuell maßgefertigte Gartenskulpturen aus dem teuren Naturstein, von der Katze mit Schuhen bis zum mehrstufigen Springbrunnen, sind durch die Billigimporte erschwinglich geworden – der Preis beträgt trotz der Transportkosten nur bis zu einem Sechstel dessen, was bisher dafür zu berappen war.

„Der Granit ist hochwertig, und es gibt sehr, sehr fähige chinesische Bildhauer in Fujian“, schwärmt der 39-jährige Schutti. Stein & Co mit Sitz in Ennsdorf und einer Filiale im niederösterreichischen Felixdorf setzt mit 29 Beschäftigten inzwischen fast acht Millionen Euro um. Der Ex-Banker hat seine Chance genutzt: Sein neues Leben gäbe es ohne den China-Boom nicht. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite der Globalisierung spüren tagtäglich ganze Belegschaften von Produktionsbetrieben, die mit dem Hinweis auf die billige Fernostkonkurrenz gedrängt werden, für weniger Geld länger zu schuften. Als der Sportartikelkonzern Head jüngst entschied, das Gros seiner Tennisschlägerproduktion nach China zu verlagern, und damit 250 Head-Mitarbeiter – 120 davon im Vorarlberger Werk Kennelbach – ihren Job los waren, lief vielen im Land ein Schauder über den Rücken. Wer ist als Nächstes dran? Die letzten verbliebenen Textilarbeiter, die von der China-Importschwemme seit Jahresbeginn – plus 843 Prozent allein bei der Einfuhr von Pullovern in den EU-Raum von Jänner bis März – hinweggespült werden könnten?

Waltraut Urban wiederum ist gerade richtig happy – als Konsumentin. Sie hat sich eben „einen wunderschönen, grünen Pullover“ bei Zara am Stephansplatz gekauft. Gerade einmal 5,70 Euro hat das Teil bei der spanischen Textilkette gekostet. „Sicher aus China“, schmunzelt Urban ein wenig. Sie ist China-Expertin des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

Dauerschreck. 1979 hat Urban eine Studie verfasst, in der sie die Bedrohung der OECD-Staaten durch damalige Billiglohnländer wie Hongkong, Singapur und Taiwan untersuchen sollte. Ihr zwiespältiger Befund von damals lässt sich eins zu eins auf die heutige Situation mit China umlegen: Druck auf lohnintensive Industrien, Vorteile für Konsumenten sowie Unternehmen, die Vorleistungen günstiger einkaufen können. 25 Jahre später haben sich die Ex-Billiglohnländer ebenso weiterentwickelt wie die westlichen Volkswirtschaften. Das Schreckgespenst heißt nun anders. „Momentan wird alles, was China betrifft, als Gefahr wahrgenommen“, meint die Wissenschafterin.

Dabei haben Waren aus dem Reich der Mitte schon längst ihren Stammplatz im Alltag, ohne dass sie als made in China wahrgenommen werden. Der ausschließlich in China hergestellte Ikea-Massivbirnetisch „Norden“ gehört dazu genauso wie die Felix-Kinderbücher aus dem deutschen Coppenrath-Verlag. Philips-Videorekorder, Bosch-Bohrmaschinen, ja auch Skier – jene der US-Marke K2 – werden im Riesenreich gefertigt. Global aufgestellte Handelskonzerne richten ihre Einkaufsbudgets immer mehr auf Fernost aus: „19 Prozent der Ikea-Gesamtproduktion weltweit kommen aus China“, weiß Ikea-Österreich-Sprecherin Barbara Riedl. Thomas Saliger, Sprecher der Welser Möbelhandelskette Lutz, ortet auch in seinem Haus die Tendenz, „vermehrt zu Direktimporten aus China überzugehen“.

Die Handelsbilanz spricht eine klare Sprache: Die Importe aus dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Land nach Österreich sind in den letzten Jahren noch stärker gewachsen als die Ausfuhren (siehe Grafik).

Spießumkehr. Doch nun geben sich die Chinesen nicht mehr damit zufrieden, nur verlängerte Werkbank für die Markenartikelkonzerne des Westens zu sein. Mit dem Jiangling Landwind, ein dem Opel Frontera ähnelnder Geländewagen der Jiangling Motors Corporation mit Sitz in Nanchang, ist Anfang Mai das erste chinesische Automobil auf den europäischen Markt gerollt. Das rund 15.000 Euro teure Fahrzeug, importiert vom holländischen Händler Peter Bijvelds, ist die Vorhut für weitere Markteinführungen: So ist der BMW-Verschnitt Zhonghua Saloon der Brilliance Jinbei Automobile Corporation ebenfalls noch dieses Jahr zu erwarten. 2006 will ein italienischer Händler ein Miniauto mit dem viel versprechenden Namen Happy Emissary nach Europa bringen. Auch in Österreich ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis die im Design durchwegs europäischen Autos nachempfundenen Vehikel erhältlich sind (siehe Auto-Story auf Seite 58).

Vorerst geht es den Herstellern zwar nur darum, die Akzeptanz ihrer Fahrzeuge bei europäischen Kunden abzutesten. Die Verkaufsziele sind bescheiden. Doch schon in zehn Jahren, meint WIIW-Frau Urban, „ist China bei Eisschränken, Klimaanlagen und Autos unschlagbar“. Nur besonders komplexe oder nischenorientierte Produkte haben laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG) Chancen, auch weiterhin im Westen gefertigt zu werden.

Handy, Kühlschrank & Co. Und das ist nicht alles: Längst der weltgrößte Handymarkt mit über 300 Millionen Mobiltelefonierern, hält China nun auch in diesem Bereich nach den Wachstumsmärkten im Westen Ausschau. Über spezialisierte Online-Händler (z. B. vesat.de) kann man die ansprechend designten Handys von chinesischen Markenherstellern wie Amoisonic oder Bird schon jetzt kaufen. In absehbarer Zeit werden sie in jedem Fachgeschäft erhältlich sein. Der Industrielle Hannes Androsch, der mit seinem Halbleiterunternehmen AT&S auch in Shanghai produziert: „Schon in den nächsten Jahren werden die chinesischen Hersteller, wenn die Binnennachfrage einigermaßen befriedigt ist, nach Europa kommen. So hat es auch die koreanische Samsung getan.“

Bei Haushaltsgeräten gibt der Haier-Konzern aus Qingdao, 1984 aus einem Joint Venture mit dem deutschen Kühlschrankkonzern Liebherr entstanden, den etablierten Herstellern schon jetzt einiges zu denken auf. Mit Minikühlschränken hat der rasant expandierende Hersteller bei US-College-Studenten einen Kultstatus erreicht (Marktanteil in den USA in diesem Segment: 50 Prozent), den er in Europa eben zu erlangen versucht. Von den über zehn Milliarden Euro Gesamtumsatz stammen erst 100 Millionen aus dem alten Kontinent.

Haier – von Li-bo-hai-er, wie die Chinesen den Namen Liebherr aussprachen – ist der erste schlagende Gegenbeweis zur verbreiteten These, China könne gut produzieren, aber keine starken Marken aufbauen. „Zu argumentieren, dass die Chinesen kein Händchen für Marketing haben, ist falsch“, sagt Antonella Mei-Pochtler, BCG-Geschäftsführerin in Österreich. „Das hat man auch den Koreanern nachgesagt. Samsung und LG beweisen nun das Gegenteil. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Chinesen so weit sind.“

Ausschwärmer. Das Vorgehen der Fernostriesen, großteils staatlichen Konglomeraten entwachsen, folgt einer ausgeklügelten Internationalisierungsstrategie. Das chinesische Handelsministerium hat in einem Strategiepapier die Parole „Schwärmt aus!“ ausgegeben. In einer ersten Phase wird auf die Übernahme starker, aber in der Produktion maroder europäischer und US-Marken gesetzt. Beim deutschen Elektrounternehmen Grundig ist das zwar ebenso misslungen wie jüngst beim britischen Autohersteller Rover. Doch schon gehören die Fernseher der französischen Marke Thomson und die deutsche Schneider Electronics dem Elektronikkonzern TCL. Spektakulär war der Kauf der PC-Sparte von IBM durch Lenovo, einer jener Ausschwärmer, die als Garagenfirma gestartet sind.

Für die Go-International-Strategie gebe es gute volkswirtschaftliche Gründe, sagt China-Expertin Urban: Zum einen habe das kommunistisch regierte Land die zweithöchsten Devisenreserven der Welt, „sie müssen die Devisen loswerden, auch um den niedrigen Yuan-Kurs zu rechtfertigen“. Zweitens wolle man jetzt schon für die Zeit vorsorgen, in der der Zustrom ausländischen Kapitals nach China nachlässt. Weiters gebe es die Überlegung, schon jetzt in bestehende Wirtschaftsräume einzudringen, um nicht den Handelsschranken zu unterliegen. Und schließlich sichert sich China auf diese Weise dringend benötigte Rohstoffe: vor allem Kohle, aber auch Öl (etwa im Sudan und in Angola) sowie Nickel und Kupfer (in Südamerika).

Austrofieber. Auf Österreich, bislang höchstens für Chinarestaurants und Traditionelle Chinesische Medizin empfänglich, haben die neuen Investorenkönige übrigens ein besonderes Auge geworfen. Laut einem noch geheimen Papier des Verkehrsministeriums sollen bis zu 100 chinesische Firmen in einem Bürohochhaus samt Hotel auf der Donauplatte Europa erobern – die Namen gehören zum Größten und Besten, was das Reich der Mitte derzeit zu bieten hat.

Also steckt doch auch eine Chance in der aktuellen Entwicklung? „Die Bedenken der Italiener und Deutschen, deren industrieller Kern durch China massiv unter Druck kommt, kann ich gut nachvollziehen“, meint Consulterin Mei-Pochtler. Österreich könne hingegen auch Nutznießer sein: „Als kleines Land werden wir vom China-Boom auch profitieren, etwa durch die wachsende Kaufkraft, die Touristen zu uns bringt.“ Für findige Reiseveranstalter und Hoteliers könnte die Invasion der Chinesen demnach auch ein Segen sein.

Bernhard Schutti, der Steinimporteur aus Ennsdorf, denkt seinerseits schon an die nächste Chance: „Wir setzen uns jetzt mit dem Thema Marmor auseinander.“

VON BERNHARD ECKER

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