"Ich mache mir tagsüber Sorgen, nachts schlafe ich"

FORMAT: Wow, eine Stretch-Limousine. Ist das Ihr regulärer Dienstwagen?
Jim Wong: Gott bewahre, nein. Normalerweise werden andere Autos bestellt. Ich mag Stretch-Limousinen nicht besonders. Die sind schlecht gefedert und heizen sich sehr schnell auf. Wenn man sich länger unterhält, wird man ganz rammdösig. (Wong hält die Türe auf.) Vielleicht wurde die Limo auch zu Ehren meines Gastes gebucht - bitte sehr, Ladies first.
Danke. Das wird offenbar ein Gespräch unter erschwerten Bedingungen. Fangen wir doch mit etwas Nettem an. Mögen Sie Geschenke?
Wong: Geschenke? Ja klar!
Na dann ist heute Ihr Glückstag. Ich habe Ihnen nämlich ein Geschenk mitgebracht.
Wong: Oh, ein chinesischer Glückskeks! Danke. (Wong öffnet den Keks und liest.) Da steht, ich solle Chinesisch lernen. Kann ich doch schon (lacht).
Mehr steht da nicht?
Wong: Oh, Moment, das war nur die Rückseite des Zettels. Also noch mal: "Wenn du niemals Angst hast, peinlich berührt bist oder verletzt, bedeutet das, dass du niemals Risiken eingegangen bist." Ziemliche Binsenweisheit, aber stimmt wohl.
Sind Sie abergläubisch?
Wong: Nein, ich halte mich für rational.
Sie hätten also keine Probleme, wenn ich Ihnen eine Uhr schenken würde?
Wong: Na ja, doch. Wenn man jemandem in China oder Taiwan eine Uhr schenkt, bedeutet das, man wünscht ihm den Tod. Die Uhr können Sie bitte behalten.
Ich habe eh keine Rolex in der Tasche. Also doch abergläubisch?
Wong: (Lacht) Okay, ein bisschen.
Gibt es Ihrer Meinung nach große Unterschiede bei der Definition von Glück in Asien und der westlichen Welt?
Wong: Ich denke schon. Wir Asiaten sind viel familienorientierter als die Leute im Westen. Ich verbringe eigentlich jede freie Minute mit meiner Familie und wenn ich Familie sage, meine ich nicht nur meine Frau und meine drei Söhne, sondern die ganze Großfamilie sowie unsere engsten Freunde und die Freunde unserer Kinder und deren Großfamilien. Bei uns ist immer Trubel. Geben Sie es zu, für Sie klingt das wie ein Albtraum.
Stimmt.
Wong: In unserer Kultur ist das normal. Ich leite einen globalen Konzern, fliege ständig um den Erdball, New York, London, Tokio, aber trotzdem muss ich meine Eltern einmal pro Woche besuchen. Sonst wäre was los. Familie ist heilig.
Wünschen Sie sich manchmal, einfach allein zu sein?
Wong: Was meinen Sie, warum ich so viel reise? (lacht) Nein, Quatsch. Die Menschen im Westen sind besser darin, sich selbst etwas Gutes zu tun. Ich beneide sie manchmal, wie unabhängig und frei sie sind. Gleichzeitig merke ich auch, wie wohl sich westliche Freunde in unserem Familientrubel fühlen. Ich glaube, manchmal wird bewundernd auf unseren starken Zusammenhalt gesehen. Es gibt kein "Falsch" oder "Richtig", beide Seiten können voneinander lernen.
Ich war vor einigen Wochen das erste Mal in China. Nach einer Weile wurden mir das Gewusel und die Lautstärke zu viel. Da bin ich auf den Berg Huang Shan gestiegen, weil ich dachte, dort Ruhe und Idylle zu finden.
Wong: Oh, schlechte Wahl. Lassen Sie mich raten: Auf dem Gipfel war es so überfüllt wie in der Shanghaier U-Bahn.
Exakt. Wieso ist das so? Fühlen sich Asiaten nur in großen Gruppen wohl?
Wong: Sagen wir mal so, wir haben große Probleme, unseren Familienanhang loszuwerden. Wenn wir etwas unternehmen, sind wir immer sehr viele.
Wie ist es im Geschäftsleben? Gibt es da immer noch große Unterschiede und Verständigungsprobleme zwischen West und Ost?
Wong: Richtige große Bretter, mit denen sich westliche und asiatische Geschäftsleute gegenseitig ungewollt vor den Kopf stoßen, gibt es kaum noch. Manager bei global agierenden Unternehmen sind heute auf beiden Seiten sehr gut geschult, um Missverständnisse zu vermeiden. Weiterhin gilt, dass wir Asiaten Beziehungen als sehr wichtig ansehen. Man muss sich erst mehrmals treffen, zusammen essen und Karaoke singen, bevor man ins Geschäft kommt. Westliche Manager sind da pragmatischer. Wenn der Preis und die Konditionen stimmen, wird unterschrieben.
Ausländische Manager erzählen oft Horrorstorys, was für fürchterliche Dinge sie mit chinesischen Geschäftspartnern essen mussten, um deren Vertrauen zu erlangen.
Wong: Wir Asiaten finden es sehr lustig, westlichen Geschäftspartnern Schlangen, Schnecken oder frittierte Heuschrecken vorzusetzen und auf deren Reaktion zu warten. Ich würde ihnen aber immer im letzten Moment die Wahl geben, doch eine harmlose Reispfanne zu bestellen.
Haben Sie das etwa auch einmal mit Bill Gates gemacht?
Wong: Nein, ich habe ihn zwar zweimal getroffen, aber wir haben leider nie zusammen gegessen. Er ist aber auch ein sehr ernsthafter Mann, vermutlich hätte ich mich nicht getraut, ihn auf den Arm zu nehmen. Steve Ballmer ist da lockerer.
Ach Quatsch, Sie haben Microsoft-Chef Ballmer Heuschrecken serviert?
Wong: (lacht) Leider hatte ich noch keine Gelegenheit. Wir waren zwar erst vor kurzem zusammen essen, aber er ist clever und hat die Bestellung übernommen. Irgendwann krieg ich ihn. (Der Fahrer hält an und ruft: "Times Square!)
Ah, unser Zwischenstopp. Wir haben uns überlegt, dass wir hier doch ein paar Fotos mit Ihnen machen könnten.
Wong: Na, dann machen wir das doch.
Mögen Sie den Times Square?
Wong: Ach, eigentlich nicht besonders. Es ist halt einfach ein Platz mit vielen bunten Lichtern. Hektisch und bunt kenne ich ja schon. Mein Lieblingsort in New York ist das Metropolitan Museum im Central Park. (Die Fotografin bringt Wong in Position, er lässt sich geduldig ablichten.)
Das hätten wir. Wieso das Metropolitan Museum? Sind Sie ein Kunstfan?
Wong: Eigentlich nicht, aber mir gefällt die Atmosphäre im Metropolitan. Es wirkt auf mich ungeheuer entspannend, in diese langsame Welt abzutauchen. In der IT-Branche geht alles so rasend schnell. Wenn man Produkte auf den Markt bringt, sind sie schon fast wieder veraltet. Deswegen schätze ich manchmal so einen zeitlosen Ort wie ein Museum.
Als Sie im April 2011 zum Acer-Chef ernannt worden sind, haben Sie das als Glück empfunden?
Wong: Ehrlich gesagt, würde ich es eher als große Verantwortung bezeichnen. Acer-Chef zu werden war nie mein Traum. Ich war immer ein Technikfreak und habe Spaß an Produktentwicklung gehabt. Aber Acer war damals in einer schwierigen Lage. Der Verwaltungsrat hat mich um Hilfe gebeten. Ich habe mich nach 25 Jahren im Konzern verpflichtet gefühlt, die Herausforderung anzunehmen.
Zwei Jahre später ist die Situation immer noch angespannt. Sie haben 2012 wieder Verluste geschrieben, dazu sind die PC-Verkaufszahlen branchenweit erstmals rückläufig. Können Sie nachts noch ruhig schlafen?
Wong: Ich habe einen exzellenten Schlaf. Übrigens zum Leidwesen meiner Frau, weil ich fürchterlich schnarche. Sie drängt mich immer, 20 Minuten nach ihr zu Bett zu gehen, weil sie sonst kein Auge zutut. (lacht) Aber was Ihre Frage angeht: Ich mache mir tagsüber Sorgen, nachts schlafe ich.
Worüber sorgen Sie sich tagsüber?
Wong: Wir haben in den Jahren bis zu meinem Amtsantritt den Trend der Tablet-PCs unterschätzt. Das versuche ich jetzt mühsam aufzuholen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir sehr viel Energie in die Entwicklung neuer Tablets, Notebooks und Smartphones gesteckt. Wir holen auf.
Acer hat vor einigen Jahren das Ziel ausgegeben, Weltmarktführer zu werden. Stattdessen sind Sie von Platz zwei auf Platz vier zurückgefallen.
Wong: Das stimmt, aber es geht wieder aufwärts. In diesem Jahr werden wir erstmals wieder Gewinn machen, und das Ziel des Weltmarktführers habe ich weiterhin vor Augen. Geben Sie mir noch drei bis fünf Jahre. Wenn ich das schaffe, kann ich dann auch in Rente gehen.
Ich nehme Sie beim Wort. Glauben Sie eigentlich, Ihre Produkte machen die Menschen glücklicher? Durch Tablets und Smartphones sind wir ständig online, immer erreichbar. Das ist doch nicht gesund.
Wong: Kommunikation ist den Menschen ein Bedürfnis. Sie waren schon immer begierig auf Informationen und Austausch. Wir bieten ihnen nur neue Möglichkeiten. Wie er damit umgeht, muss jeder selbst wissen.
Wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihnen alle Ihre Geräte wegnähme?
Wong: Entsetzliche Vorstellung. Machen Sie das bloß nicht.