Facebook, Xing & Co: Netzwerken zwischen Selbstinszenierung und Information

Die neue soziale Marktwirtschaft. Social Networks wie Facebook, MySpace und Twitter haben fast eine Milliarde Mitglieder. Wer daran verdient – und wer noch nicht. Wie die Netzwerke das Marketing revolutionieren.

Das erste Foto des Airbus-Jets, der im Jänner im New Yorker Hudson River notlanden musste, stammte von einem Mann, der das Geschehen von einem Boot aus beobachtet hatte. Er stellte es auf die Online-Plattform Twitter, noch bevor die Medien von der Sache Wind bekommen hatten: eine Sensation. Auch beim vorwöchigen Amoklauf in Deutschland glaubten Zeitungen, via Twitter eine Quelle direkt in der betroffenen Schule gefunden zu haben. Doch diesmal stellten sich die Schilderungen eines jungen Mädchens als Fantasie heraus.

Internet-Netzwerke sind "in"
Die Social Networks boomen – und sie verändern den Umgang mit Realität. Das Feld zwischen banaler Selbstinszenierung und relevanter Informationsvermittlung ist weit. „War es der Knoblauch vom Mittagessen oder doch der erste Bärlauch-Hauch, den der Westwind in die Nasenlöcher wehte“, fragt sich Bernhard M. über Facebook. „Wir haben gerade Geschichte geschrieben. All das ist passiert wegen euch, danke“, teilte Barack Obama über das gleiche Medium mit. Diese Kurzbotschaften (Postings) sind gerade dabei, unser Kommunikationsverhalten zu revolutionieren. Hunderte Millionen User tummeln sich weltweit in den sozialen Netzwerken. Die zehn größten haben 950 Millionen Mitglieder. Twens wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wurden reich. Die Unternehmen entdecken die Online-Communities als Marketing-Feld. Die US-Kette Burger King verschenkte für die Opferung von zehn Facebook-Freunden einen „Angry Whopper“. Immer mehr Werbegeld fließt ins Internet.

Kaum wirkliche Gewinne  
Social Networks sind derzeit das tragende Geschäftsmodell des Web 2.0. Aber sind sie auch ein Geschäft? Das deutsche studiVZ erzielt zehn Millionen Euro aus Werbung im Jahr, hat aber 20 Millionen Kosten. Die 85 Millionen, die der Holtzbrinck-Verlag den Gründern gezahlt hat, werden schwer zu verdienen sein. Selbst beim Highflyer Facebook übersteigen die Kosten die 260 Millionen Dollar Werbeerlös wahrscheinlich noch ums Doppelte. Vieles wird sich als Blase erweisen. Die Nutzer interessieren solche Zahlen nicht. Zurzeit wachsen die Teilnehmer weltweit alle 14 Tage um die Einwohnerzahl Österreichs. Das Prinzip ist einfach: Der Benutzer legt einen virtuellen Steckbrief an und knüpft Kontakte. Das ging nie schneller und unkomplizierter als im Web. Medienpsychologe Peter Vitouch: „Es ist eine ideale Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen, und erweitert das persönliche Umfeld enorm.“ Das Prinzip „Wer kennt wen?“ funktioniert im Netz fast vollautomatisch. Die Software filtert die gemeinsamen Bekannten heraus, verrät, welche Rapid-Anhänger es in Innsbruck gibt, und bietet die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten in „Communities“ zusammenzuschließen.

Von Harvard in die weite Welt
Wie schon die erste Internet-Gründerwelle startete auch die Social-Network-Bewegung in den USA. Als ein 19-jähriger Psychologiestudent für seine Harvard-Kollegen eine kleine Plattform baute: Facebook. Das war 2004. Zuckerberg schmiss das Studium und konzentrierte sich auf die Entwicklung des Geschäfts. Nach einem Jahr hatte er bereits sechs Millionen User und die nächsten 40 Millionen Dollar Risikokapital eingesammelt. Die Mitgliederzahlen – so etwas wie das Betriebsvermögen – verdoppelten sich bis heute jährlich. Die nächsten Geldgeber kamen rasch: Microsoft legte 2007 für 1,6 Prozent Anteil satte 240 Millionen Dollar hin, und Li Ka Shing, Besitzer des Hongkonger Mischkonzerns Hutchison Whampoa (dazu gehört Mobilfunker „3“) zahlte für seine 0,8 Prozent 120 Millionen. Das Geld von Microsoft & Konsorten brauchte Facebook, um die Technik für Millionen User vorzuhalten, die täglich drei Milliarden Minuten auf der Seite verbringen und 850 Millionen Fotos monatlich hochladen.

Das Leben vor Facebook  
Im doppelten Wortsinn spielt die Musik auf MySpace schon länger als auf Facebook. Die Plattform nahm den Boom eigentlich vorweg, hat aber einen weniger studentischen Hintergrund und ist so etwas wie das inoffizielle Zentralorgan für die Musikbranche geworden. Verdient wird auch hier mit Werbung: geschätzte 800 bis 900 Millionen Dollar pro Jahr. Vieles deutet darauf hin, dass MySpace-Besitzer Rupert Murdoch an einer Konkurrenz zu iTunes, der Musik-Plattform von Apple, bastelt. Mit einiger Verzögerung breitete sich das Social-Network-Fieber auch im deutschsprachigen Raum aus. Als Mark Zuckerberg noch an seinen Expansionsplänen tüftelte, hatten sich drei Berliner Studenten das Konzept schon abgeschaut und starteten 2005 das deutsche Studentenportal studiVZ, das sie mit 500.000 Euro Startkapital vom Holtzbrinck-Verlag und einigen Investoren schnell hochzogen. Sie besetzten so einen der wichtigsten Märkte der Welt. Zuckerberg wollte die studiVZ-Community übernehmen, die Verhandlungen scheiterten. Kurz vor dem deutschen Facebook-Start Anfang 2008 verkauften die studiVZ-Gründer teuer an die Holtzbrinck-Gruppe. Facebook hat im deutschsprachigen Markt die kritische Masse extrem schnell überschritten und droht studiVZ vom Platz zu stellen.

Business zwischen Werbung und Beiträgen  
Die Millionen User bilden einen Staat im Internet-Staat. Doch hinter den Communities stehen handfeste pekuniäre Interessen. Wer verdient mit den Usern langfristig Geld? Wer Experten fragt, hört unterschiedliche Ideen, aber sehr oft das Wort Online-Werbung. Young-&-Rubicam-Chef Luigi Schober hat seinen Gewinner schon ausgemacht: „Facebook ist das Megabusiness schlechthin.“ Und weiter: „Wer Junge erreichen möchte, trifft dort Leute, die mehr Bildung haben und mehr Geld. Praktisch die 20 Prozent, die 70 Prozent des Volksvermögens ausgeben.“ Logisch, dass Werber feuchte Augen bekommen, wenn sie über Social Networks nachdenken. Schon die klassische Werbung lässt sich soziodemografisch treffgenauer buchen. Der Werbekunde kann sich etwa genau die Leute heraussuchen, die „Segeln“ in ihrem Profil stehen haben, aus Wien kommen. So genau kann das selbst der Internet-Werbepionier Google nicht. Experte Christoph Pichler von CPC Consulting warnt allerdings vor zu großer Euphorie: „Es gibt noch keine Erfahrungswerte, was die Effizienz solcher Kampagnen betrifft.“ Bei Google kann man sich das schon genau durchrechnen.

Aufwändige Profile
Die Benutzer verbringen rein statistisch sehr viel Zeit mit ihrer Profil- und Kontaktpflege, fühlen sich von Werbung aber schnell belästigt. „Das Marketing auf Social Networks wird stärker kommen“, so Pichler, „aber es wird andere Werbeformen geben müssen.“ Etwa nützliche Programme oder Spiele, die der Nutzer „anerkennt“ und die solcherart Werbung für die Firma quasi nebenbei generieren. Da hat Facebook mit seiner Plattform, die für Software-Programme von Dritten offen ist, strategisch die Nase vorn. Dort gibt es bereits Tausende mehr oder weniger sinnvolle Programme. Geld verdient wird beispielsweise mit einer Art Tamagotchi-Spiel, wo künstliche Haustiere gehalten werden, deren Besitzer sich dann echte T-Shirts mit dem Haustier drauf um echte Dollars kaufen können.

Seriös im Geschäft  
Weniger verspielt geht es auf dem Social Network für berufliche Zwecke zu – Xing: Die einzige börsennotierte Plattform startete 2003 unter dem Namen OpenBC, hat heute sieben Millionen Mitglieder. Hier werden tatsächlich Mitarbeiter rekrutiert und Aufträge an Land gezogen. Orange-Chef Michael Krammer ist auf Xing: „Es erleichtert den Berufsalltag ziemlich, vor allem bei der Personalsuche ist hier eine Vorselektion möglich.“ Xing generiert 80 Prozent des Umsatzes über die 550.000 zahlenden Mitglieder und exerziert vor, wie die Zweiklassengesellschaft funktioniert. Wer nur die kostenlose Basismitgliedschaft nutzt, muss Werbung akzeptieren. Premiummitglieder, die 5,95 Euro pro Monat berappen, bleiben werbefrei. Gesteigert werden sollen die Werbeerlöse nur behutsam. „Der Schwerpunkt soll auf berufs-bezogenen Angeboten liegen“, sagt Xing-Sprecher Torsten Vestermann. Dutzende Social Networks wollen noch auf den Zug aufspringen. LinkedIn, das US-Pendant zu Xing, hat seit wenigen Wochen einen deutschen Ableger, und das englische Portal Bebo (gehört Time Warner) setzt gerade über den Ärmelkanal.

Der letzte Schrei ist Vogelgezwitscher
Twitter (engl. Zwitschern) wurde 2006 von einer kleinen Klitsche in San Francisco gegründet und hat spätestens seit der spektakulären Boeing-Landung im Hudson River einen PR-Schub erfahren. Sechs Millionen Nutzer posten dort Mitteilungen mit 140 Zeichen, die von anderen, den sogenannten „Followern“, gelesen werden. In den USA ist das Abonnieren von prominenten Twitter-Benutzern wie Hollywood-Schauspielern schwer angesagt. Auf diese Art der Prominenten-Schnitzeljagd fahren auch immer mehr Österreicher ab. Der prominenteste Twitter-User Österreichs ist derzeit wohl „ZiB 2“-Anchorman Armin Wolf: „TV-Nachrichten werden eher von älteren Menschen gesehen, und wir haben mitunter Probleme, junge Leute zu erreichen“, sagt er. „Zuerst wollte ich eine Art Facebook-Tagebuch machen, aber das ist mir zu privat. Twitter gefällt mir, weil es schnell geht und einen zwingt, die Dinge auf den Punkt zu bringen.“

Auf der Suche nach dem Business
Wolf hat im Vergleich zum Gros der Twitterer Gehaltvolles mitzuteilen. Auch mit geistreichen Postings lässt sich allerdings noch kein Geld verdienen. Twitter hat unlängst zwar 50 Millionen Dollar Venture-Kapital eingesammelt, was angesichts der Krisenstimmung in den USA erstaunlich ist. Doch von einem tragfähigen Geschäftsmodell ist die Plattform mit aktuell drei Prozent Marktanteil noch weit entfernt. Und das Produkt ist nicht so einzigartig, dass es nicht von jedem anderen Netzwerk dupliziert werden könnte. Twitter illustriert die darwinistische Logik im Social-Network-Geschäft. Mark Zuckerberg wollte die Plattform um 500 Millionen Dollar in Facebook-Anteilen kaufen. Die Twitter-Macher wollten sich mit „unsicheren Facebook-Aktien, die niemand derzeit verkaufen kann“, nicht abspeisen lassen. Was Zuckerberg nicht haben kann, baut er eben selbst auf. Auf Facebook gibt es jetzt einen Nachrichtenstrom („Stream“) ähnlich wie bei Twitter.

Unternehmer wachen langsam auf  
Dass die Kommunikationsflüsse im Web immer mehr dezentral – also von den Usern gesteuert – verlaufen, spricht sich langsam bis zu heimischen Firmen durch. Der Grazer TU-Professor Klaus Tochtermann hat im Buch „Web 2.0 in der Unternehmenspraxis“ Fallbeispiele von Opel bis IBM zusammengestellt und konstatiert eine Trendwende in der Wahrnehmung. „Vor zwei Jahren dachten die Firmen noch, das ist nur was für Junge und Freaks.“ Tochtermann hebt als Positivbeispiel den Lego-Konzern vor, der ein „Star Wars“-Bauset überhaupt erst auf Betreiben der Community produzieren ließ. Wer die Kommunikationsflüsse ignoriert, dem könnte ein Schicksal wie dem Fahrradschloss-Hersteller Kryptonite drohen. Ein User hatte der Firma mit einem YouTube-Video einen zweistelligen Millionenverlust beschert: Er führte vor, wie er das Superschloss mit einem Kugelschreiber knackt. Internet-Experte Markus Höfinger von PXP warnt davor, die Re-volution zu verharmlosen: „Diese Social Networks sind wie Google, die verschwinden nicht wieder.“

Der Facebook-Inder
Der tele.ring-Inder ist ein weiteres Beispiel für Community-Building im Netz. Nach wenigen Tagen hatte er 1.745 Facebook-Freunde. Wer das Profil angelegt hat, ist offiziell nicht bekannt. Solange sich sein Image so positiv verbreitet, werden Werbeagentur und Netzbetreiber tele.ring nicht eingreifen. Was aber passiert, wenn es nicht so läuft? Medienprofi Rudi Klausnitzer berät Unternehmer in Sachen Web 2.0, warnt aber vor „isolierten“ Aktivitäten: „Die Strategie muss Teil eines gesamtheitlichen Marketingansatzes sein, offline und online. Das war einer der großen Unterschiede von Obama zu seinen Vorgängern. Wichtig ist die Analyse der Netzwerke, in die eine Firma, ihre Kunden und Mitarbeiter involviert sind.“

Regeln fürs Paralleluniversum  
Damit hat sich ein Paralleluniversum mit eigenen Gesetzen entwickelt, für das die Parameter der realen Welt nicht gelten. „Problematisch ist, dass die Leute oft den Eindruck haben, nicht öffentlich zu sein“, sagt Medienpsychologe Vitouch, „sie veröffentlichen Dinge, die sie in einem persönlichen Gespräch nicht preisgeben würden.“ Österreichs oberster Datenschützer, Hans Zeger, stellt die Meinungsfreiheit der „neuen virtuellen Stammtische“ über die Regulierung. Der politische Handlungsbedarf steigt allerdings, wie Harvard-Professor Viktor Mayer-Schönberger von einer OECD-Tagung über die Regulierung virtueller Netze zu berichten weiß. Während die Politik noch probate Antworten sucht, geht es in der Branche um die Frage: Wer bleibt übrig? Sicher jene Portale, die groß genug sind, um mit ihren Mitgliedern eine tragfähige Einnahmequelle aus Werbung oder Mitgliedsbeiträgen zu lukrieren. Viele werden auf der Strecke bleiben, andere als Subangebote in den multimedialen Gemischtwarenläden großer Medienkonzerne aufgehen. Am Ende wird es wieder sein wie bei der ersten Internetblase. Der eine verschwindet ganz banal im virtuellen Orkus, der andere schreibt Weltgeschichte.

Von Carolina Burger und Barbara Mayerl

Im Bild (von links): Christoph Zenk, 30, Gaming-Agentur Skill3D (Xing, Facebook), Eric Hallwachs, 35, Key Account Manager (Xing, LinkedIn, Facebook), Margarete Landertshammer, 50, Hel-Wacht-Chefin (Xing), Harald Schimpl, 28, Sport-Student (studiVZ, Facebook), Nola Hempel, 35, CRM Consulting (Xing, Facebook)

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