Unternehmensberater Czipin: "Produktivität in den letzten 2 Jahren gesunken"
Alarmierender Befund: Die Produktivität heimischer Unternehmen ist in den letzten beiden Jahren gesunken. 91 Arbeitstage gehen so pro Jahr verloren.
Alois Czipin ist besorgt. Produktivitätszuwachs macht in Österreich seit geraumer Zeit Pause. Seit zwei Jahren geht die Produktivität sogar zurück. Das gefährdet die Vorteile des Standorts, sagt der renommierte Berater, der seit 1992 immer wieder die Produktivität heimischer Industrie- und Dienstleistungsbetriebe unter die Lupe genommen hat. Nach einem Aufholprozess im Gefolge des EU-Beitritts, der am Höhepunkt des Booms 2007 zum historisch besten Produktivitätswert führte, konstatiert Czipin nun einen Rückschlag.
91 Arbeitstage wurden demnach hierzulande 2009 im Schnitt verschwendet. Das sind nicht weniger als 41 Prozent der Arbeitszeit. Der Anteil der produktiven Arbeit fiel damit auf das Niveau vor 1998 zurück. Czipins Produktivitätsansatz beruht dabei nicht auf errechneten volkswirtschaftlichen Stundenproduktivitäten, sondern auf der konkreten Beobachtung von Arbeitssituationen. So gingen in die aktuelle Studie 4.200 Beobachtungsstunden von Czipin Consulting in österreichischen Unternehmen ein.
Bei unseren Auswertungen hinterfragen wir jeden unproduktiven Zeitblock und identifizieren die Ursachen, erklärt Werner Girth, Managing Partner bei Czipin Consulting. Der mit Abstand wichtigste Grund für Produktivitätsverluste ist demnach fehlende Planung und Steuerung, auf deren Kosten im Vorjahr mehr als fünfzig verlorene Arbeitstage gingen.
Managementproblem
Unter Managementfehler zu subsumieren ist auch die zweithäufigste Ursache, nämlich mangelnde Führung und Aufsicht. Das zieht sich vom Topmanagement bis zum Schichtleiter. Führungskräfte achten oft nur auf disziplinäre und administrative Aspekte wie Pünktlichkeit oder Dienstpläne und kümmern sich viel zu wenig darum, die eigentlichen Arbeitsabläufe produktiver zu gestalten, so Girth. Insgesamt, so der Experte, gehen zwei Drittel der verlorenen Zeit damit auf das Konto von Managementfehlern.
Plausibel gemacht wird das auch durch eine Erhebung, für die Czipin 272 Führungskräften der mittleren und unteren Ebene einen Arbeitstag lang über die Schulter schaute: 44 Prozent ihrer Zeit widmeten die Manager dabei administrativen Aufgaben, für Führung und Training ihrer Mitarbeiter blieben ihnen weniger als 20 Prozent. Der kürzeste Weg, um Produktivitätsreserven zu heben, ist die Umkehrung des Verhältnisses von Führungs- und Administrationsaufgaben, ist Alois Czipin überzeugt. Er sieht ein kurzfristiges Potenzial von rund zehn Milliarden Euro an Wertschöpfung, das Österreichs Wirtschaft schon durch kurzfristig erreichbare Produktivitätsverbesserungen realisieren könnte. Der Schlüssel dafür sind die Führungskräfte, so Czipin, der ein Produktivitätsniveau von 85 Prozent für Österreichs Unternehmen als ambitioniertes, jedoch erreichbares Ziel ansieht.
Produktiver und zufriedener
Dass höhere Produktivität für die Mitarbeiter auch zwangsläufig höheren Arbeitsdruck mit all seinen Folgen von Stress bis Burnout bedeuten muss, weist er zurück. Wenn man die Ursachen für Arbeitsunterbrechungen und Stillstand ausschaltet, steigt die Produktivität, ohne dass das Arbeitstempo erhöht wird, argumentiert der Berater.
In Wahrheit, so Czipin, würden gerade reibungslosere Arbeitsabläufe für deutlich höhere Arbeitszufriedenheit bei Mitarbeitern sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand zufriedener ist, weil dauernd irgendetwas nicht funktioniert und ihn von der Arbeit abhält, meint der Berater. Mehr Produktivität und höhere Arbeitszufriedenheit wären damit vereinbar und eine echte Win-win-Situation.
Michael Schmid