Warum Logistiker auf Kreislaufwirtschaft setzen

Nachhaltigkeit ist in der Logistik- und Transportbranche derzeit eines der Top-Themen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität gibt es allerdings große technische Hürden, auch wenn bis 2035 drei von vier Trucks ohne Diesel fahren.

Thema: Management Commentary
Merle Alf, Expertin für Transportation, Travel & Logistics bei der Managementberatung Horváth

Merle Alf, Expertin für Transportation, Travel & Logistics bei der Managementberatung Horváth

Auch wenn Trucker und ihre tonnenschweren Überlandfahrzeuge so manchen Zeitgenossen (ver-) stören, aus der europäischen Transport- und Logistikbranche sind sie bis auf weiteres nicht wegzudenken. Doch der Anteil regenerativer Antriebsenergien steigt konsequent, und strenge Standards und Normen für die künftige Kreislaufwirtschaft sind absehbar. Am stärksten trifft es die City-Logistik.

Nachhaltigkeit ist in der Logistik- und Transportbranche mittlerweile ein Credo – und gewinnt weiter an Bedeutung. Darüber sind sich Branchenmanager wie Forscher einig, so die jüngsten Studienergebnisse der Managementberatung Horváth. Geschäftsmodelle und Prozesse müssen entsprechend angepasst, Transporte zunehmend auf die Schiene verlagert werden. Dem Fortschritt auf dem Weg zu „echter“ Klimaneutralität sind allerdings Grenzen gesetzt.

Warum? Technische Hürden, die lange Lebensdauer von Lastkraftwägen, die mangelnde Verfügbarkeit umweltverträglicher Antriebe sowie die ungenügende finanzielle Rentabilität werden fossile Energien aus Sicht der befragten Experten noch längere Zeit unverzichtbar machen. Pessimisten rechnen mit keinen gravierenden Veränderungen vor 2050, Optimisten gehen davon aus, dass bis 2035 drei von vier Trucks ohne Diesel auskommen werden.

Zu den größten Hürden auf dem Weg zur klimaneutralen Logistik gehört die eingeschränkte Reichweite von Transportfahrzeugen mit alternativen Antrieben und die nicht ausreichende Ladeinfrastruktur. Klimafreundliche Kraftstoffe sind ebenfalls Mangelware oder schlichtweg zu teuer. Gerade in der margenarmen Logistik ist dies ein großes Problem. Hinzu kommt die lange Lebensdauer großer, teurer Transportfahrzeuge.

Kosten bremsen Klimaneutralität

Es rechnet sich einfach nicht, konventionell betriebene Fahrzeuge, die sich noch nicht amortisiert haben, vorzeitig abzustoßen. Umgekehrt lässt die voranschreitende Dekarbonisierung der Branche neben dem CO2-freien Transport andere Fortschrittsaspekte erwarten. So arbeitet man derzeit mit Hochdruck an der Etablierung von umweltverträglichen Kreislaufwirtschaften und regionalen Handelsströmen.

Die Wiederverwendung von Rohstoffen, Verpackungen und Ladehilfen ist aus Sicht der befragten Branchenexperten neben dem Einsatz von E- und Schienenfahrzeugen ein echter Hebel zur Klimaneutralität. Mehr als zwei Drittel der Befragten messen ihr große Bedeutung zu, auch wenn die Rückführung von Verpackungen im Konsumentenmarkt deutlich schwieriger durchzusetzen sein wird als im vergleichsweise einfachen B2B-Markt.

Normen und Standards gefordert

Im Massenmarkt behindern stark individualisierte Verpackungen sowie die Vielzahl an Anbietern das Recycling. Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Einführung einer Kreislaufwirtschaft zusätzlich. Aus Sicht der Industrie und Forschung wäre es daher dringend notwendig, neue Standards und Normungen zur Realisierung umweltfreundlicher Kreisläufe festzulegen. Drei von vier Befragten sehen diese Notwendigkeit.

Egal ob die Standards dabei von Industrieverbänden, kooperativen Transport- und Logistikunternehmen oder staatlichen Einrichtungen kommen, Hauptsache ist, dass jetzt Initiativen gesetzt werden. Die Dimension der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) wird nicht zuletzt für Investoren und Kapitalgeber als ESG-Kriterium immer wichtiger, was die Unternehmen unter Zugzwang setzt.

Regionalisierung als Chance

Eng mit der Kreislaufwirtschaft ist die Regionalisierung von Handelsströmen verbunden. Das ist ein ebenso zunehmender nachhaltiger Trend. Aufgrund von krisenbedingten Lieferengpässen und Lieferkettenstörungen haben die Unternehmen ihre Beschaffungs- und Absatzwege wieder stärker regionalisiert. Re- und Nearshoring, erhöhte Lagerbestände sowie eine diversifizierte Beschaffung sind dazu erkennbare Anpassungen.

Das macht auch Sinn: Denn neben der so erzielten besseren Resilienz ergeben sich Nachhaltigkeitseffekte durch kürzere Transportwege und höhere Transparenz aufgrund der insgesamt stärkeren Überwachung.

Letzte Meile verteuert sich weiter

Einig sind sich Branchenvertreter wie Wissenschaftler darin, dass sich die letzte Meile in den Innenstädten weiter verteuern wird. Das ist deshalb gravierend, da diese Kosten schon heute drei Viertel der Gesamttransportkosten ausmachen. Über 90 Prozent der letzten Meile sind Personalkosten, und die steigen durch die Inflation weiter an – ebenso wie die Betriebs- und Bereitschaftskosten, die aufgrund strengerer regulatorischer Vorgaben in die Höhe schnellen.

Verkehrsbezogene Nachhaltigkeitsziele, Immissionsschutz, Straßen- wie baurechtliche Vorgaben und technische Vorgaben sowie Datenschutz- und Haftungsregelungen werden das Geschäft der Logistiker weiter erschweren. Dass diese Vorgaben auch noch regional unterschiedlich sind, erschwert standardisierte Lösungen und verteuert die Prozesse zusätzlich.

Zur Kostenreduktion gibt es verschiedene Stellschrauben, so unter anderem Knotenpunkte für die Zustellung, verbesserte Routenplanung oder optimierte Sendungsübergaben. Grundsätzlich bedarf es jedenfalls innovativer und ökologischer Lösungen für die gesamte innerstädtische Logistik – also Konzepte, die Schienenverkehr, Pakethubs (in Parkhäusern), Lastenfahrräder, Zustellroboter und Drohnen einschließen.

Transformationswille entscheidend

Die Auswirkungen der geforderten Klimaneutralität auf die Transport- und Logistikindustrie sind gewaltig, und sie werden nur dann bewältigt werden können, wenn der Wille zur Transformation zu radikalen Maßnahmen führt. Ob Strategie, Geschäftsmodell, Organisation oder Prozesse – die Veränderungen betreffen nahezu alle Unternehmensbereiche. Das erfordert enorme Anpassungsfähigkeit aller Beteiligten.

Fazit: Die Logistik- und Transportbranche steht vor großen Umwälzungen, die mit dem politischen Ziel der Klimaneutralität zusammenhängen. Keine Frage ist, dass die strengeren Normen den Aufwand und die Kosten deutlich erhöhen werden. Das wird nur bewältigbar sein, wenn sich die Unternehmen rechtzeitig anpassen und mögliche neue Chancen wahrnehmen. Die Transportwirtschaft umweltverträglich zu gestalten ist das gemeinsame Ziel.


Für die Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ wurden 30 Topführungskräfte großer Logistik- und Transportunternehmen und Verkehrswissenschaftler befragt.


DIE AUTORIN

Merle Alf ist Expertin für Transportation, Travel & Logistics bei der Managementberatung Horváth. Sie berät große Logistikunternehmen, Bahnunternehmen, Reiseveranstalter und Airlines zu Themen um Transformation und Performance Management.

Die Serie "Management Commentary" ist eine Kooperation von trend.at und der Unternehmensberatung Horváth. Die bisher erschienen Beiträge finden Sie zusammengefasst im Thema "Management Commentary".


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