Romantik und Kapitalismus - ein regelrechtes Traumpaar

Eine Hochzeit in New York kostet durchschnittlich 86.000 Dollar, Tendenz steigend. Warum geben Menschen freiwillig so viel Geld aus, obwohl sie bereits im Vorfeld hochverschuldet sind? Die Soziologin Laurie Essig erklärt im Gespräch mit trend.at das Konzept der romantischen Manipulation.

Romantik und Kapitalismus - ein regelrechtes Traumpaar

Liebe und Geld – das sind auf den ersten Blick zwei Dinge, die nicht zwingend zusammen passen. Doch die Monetarisierung der Romantik ist für viele Unternehmen ein lukratives Geschäft, findet die Soziologin Laurie Essig.

So werden etwa von Marketing-Abteilungen moderne Liebesgeschichten kreiert, die dem Konsumenten vermitteln: Wenn du ein bestimmtes Produkt zum richtigen Zeitpunkt kaufst, dann werden all Deine Sorgen verschwinden – und auch du bekommst Dein „Happy End“. Erfolgreich umgesetzt wird dies etwa mit Produkten, die direkt mit dem Thema Liebe verbunden sind: Ein Hochzeitskleid in den USA kostet heutzutage 1300 Dollar, den Hochzeitsring gibt es um 5600 Dollar; eine durchschnittliche Hochzeit in den USA kommt auf 30.000 Dollar, in den Großstädten ist es gar das Dreifache – in New York, so Essig, zahlen Paare im Durchschnitt 86.000 Dollar für ihre Hochzeit. Und das, obwohl das Median-Haushaltseinkommen US-amerikanischer Familien bei nur 52.000 Dollar liegt.

Laurie Essig spricht in Wien über das Zusammenspiel von Romantik und Kapitalismus.

Doch auch andere Industrien können ihr Geschäft mit Liebe besser vermarkten. Als Sinnbild für die Monetarisierung der Romantik gilt laut Essig auch der Entertainment-Konzern Disney: Dieser steckte in den 1980er-Jahren in finanziellen Problemen und entschied sich anschließend, auf romantische Filme wie „Pretty Woman“ oder „Die kleine Meerjungfrau“ zu setzen. Kernaussage der Blockbuster: Alles wird gut, solange du deine Freunde und deine Familie zurücklässt, um die wahre Liebe zu finden. Disneys Gewinne stiegen im Zuge der Neuausrichtung um 35 Prozent.

Im Gespräch mit trend.at erläutert Essig, warum Romantik und Wirtschaft so ein gutes Paar bilden, wie jede Industrie sich etwas von dem Kuchen abschneiden kann und was das für den Einzelnen bedeutet.

trend.at: Business und Romantik passen normalerweise nicht zusammen. Warum bilden Sie ihrer Meinung nach dennoch ein Paar?

Laurie Essig: Romantik als Ideologie motiviert uns dazu, in die Zukunft zu investieren – wir glauben, dass wir mit der richtigen Hochzeit auch eine bessere Zukunft haben werden. Für die richtige Hochzeit muss man auch in das richtige Hochzeitskleid und den richtigen Ehering investieren. Und bevor es soweit kommt, wird uns vermittelt, dass wir mit der richtigen Zahnpasta den richtigen Lebenspartner finden. Romantik wird in der Konsumgesellschaft also als Ideologie verwendet, um Dinge zu verkaufen – nicht nur Hochzeitskleider, sondern auch Zahnpasta, Autos und Häuser. Bei all diesen Dingen wird vermittelt: Wenn Du sie kaufst, dann wird Deine Zukunft glücklicher sein.

Zusätzlich zu dem gibt es das eigentliche Geschäft mit Romantik: Das Verkaufen von Hochzeiten und Hochzeitskleidern – und das ist in den USA seit 1980 exponentiell gewachsen, auch während der Rezession. Wenn ich junge Paare zu ihren Hochzeitsplänen interviewe, dann vermitteln sie den Eindruck, dass sie glauben, mit der perfekten Hochzeit würden auch all ihre anderen Probleme verschwinden. Viele dieser Leute haben große Schulden aus dem Studium – 60 bis 80.000 Dollar pro Person -, sind also insgesamt um über 100.000 Dollar verschuldet. Und sie nehmen sogar noch mehr Schulden auf, um die perfekte Hochzeit zu haben. Wenn ich sie darauf anspreche, dass dieses Verhalten irrational ist, antworten sie, dass man ja nur einmal im Leben heiratet und dass dies der wichtigste Tag ihres Lebens ist – wenn dieser Tag perfekt ist, ist auch die Zukunft strahlend. Romantik ist so stark mit dem Glauben an eine bessere Zukunft verbunden, dass es dadurch leichter fällt, Dinge zu verkaufen.

Was macht das Geschäft mit der Romantik so krisensicher?

Wenn Menschen dazu überzeugt wurden, dass sie mit ihren privaten „Happily-Ever-Afters“ glücklich werden, dann tun sie alles, um diese zu erreichen. Die jetzige junge Generation wird es nicht so gut haben wie ihre Eltern: Im Jahr 2005 ging es 80 Prozent der Haushalte schlechter als in den 1980er Jahren. Das liegt nicht zwingend an der Rezession, sondern etwa auch an der Konzentration des Wohlstands in der Oberschicht, sowie der Verkleinerung der Mittelschicht. Das Konzept der Romantik sagt hingegen: „Schau, Du hast einen schlechten Job mit schlechter Bezahlung und viele Schulden – aber Du kannst noch ein Happy End haben, wenn Du jetzt die richtigen Produkte kaufst“. Romantik gibt uns Magie und Hoffnung in hoffnungslosen Zeiten – ähnlich wie Religionen es tun. Das Problem ist, dass uns dies in eine Sackgasse führt: Die Menschen fokussieren sich nicht auf wichtige Dinge wie Klimawandel und gerechte Einkommensverteilung, sondern das Hochzeitskleid und den Ehering. Verlobungen werden ein wirklich großes Thema: Wenn Sie sich heute in den USA verloben wollen, müssen Sie einen Berater beauftragen, um alles richtig zu machen…


Für Junggesellenabschiede können Sie nun allerlei Dinge online kaufen – von Kuchen in Genitalien-Form über Stripclub-Besuche bis zu Brautschleiern aus Kondomen.

Warum das?

Verlobungen sind sehr emotionale Momente. Sie können nicht mehr einfach auf die Knie gehen und einen Antrag machen – das reicht heutzutage nicht mehr. Sie brauchen einen Flashmob, der ins Restaurant stürmt, Luftballons, Schmetterlinge… Wenn Sie heute auf YouTube nach „Engagements“ suchen, finden Sie tonnenweise Videos von aufwändigen Inszenierungen… und wenn Sie online nach entsprechenden Beratern suchen, finden Sie jede Menge Anbieter. Es muss einfach immer mehr geben: Die Menschen wollen heute nicht mehr bloß die perfekte Hochzeit, sondern auch die perfekte Verlobung, Verlobungsparty, den perfekten Junggesellenabschied – und all diese Dinge erfordern Produkte und Dienstleistungen. Für Junggesellenabschiede können Sie nun allerlei Dinge online kaufen – von Kuchen in Genitalien-Form über Stripclub-Besuche bis zu Brautschleiern aus Kondomen. All diese Dinge kosten Geld – und Menschen sind immer mehr überzeugt davon, dass sie sie unbedingt brauchen. Als Teil des Prozesses, eine bessere Zukunft zu bekommen.

Da wäre auch der jährliche Valentinstag, der zusehends kommerzialisiert wird.

Ja, das wird auch immer extremer. Es reicht nicht, bloß dem Partner Valentinstagsgeschenke zu besorgen – auch der Hund kriegt Leckerlis in Herzchen-Form. Es ist ein Markt, der sich stetig weiter ausbreitet. Romantische Produkte sind in diesem Punkt ähnlich wie der Markt für Beautyprodukte und Schönheits-OPs: Zuerst wollten die Menschen ihre Nasen korrigieren lassen, nun kommen diverse Implantate für Brüste oder Muskeln hinzu. Und all dies tun die Leute, weil sie glauben, mit dem Kauf dieser Produkte auf der sicheren Seite zu sein. Dieser Impuls ist ähnlich wie bei Religionen: Man wünscht sich Frieden. Aber es wird nicht besser. Auch wenn man einen Kredit aufnimmt für die perfekte Hochzeit oder eine Schönheits-OP, dann verbessert das nicht gezwungenermaßen die Zukunftsaussichten.

Mitunter sogar verschlechtert.

Genau. Und anstatt sich für Dinge wie Mindestlöhne, gerechte Steuern oder Umweltauflagen zu interessieren, denken die Menschen, dass mit der perfekten Romanze alles besser wird.


Disney World ist die beliebteste Flitterwochen-Destination in Kontinental-USA.

Das klingt nach einem Happy-End wie in einem Disney Blockbuster.

Ein gutes Beispiel. Disney produziert aber nicht nur Filme, sondern ist m Romantik-Geschäft aktiv: Man kann eigene Disney-Hochzeiten buchen. Man kann dann wie Cinderella in einer gläsernen Kutsche anreisen und das gleiche Kleid tragen wie Arielle, die Meerjungfrau. Und der Bräutigam reitet auf einem Schimmel. Die Trauung findet gleich in Disney World statt – was praktisch ist, weil der Freizeitpark zugleich die beliebteste Flitterwochen-Destination in Kontinental-USA ist. Ich habe die Menschen interviewt, die ihre Flitterwochen dort verbringen – man erkennt sie rasch daran, dass die Frauen ein weißes Kleid tragen, und die Männer einen Smoking.

Lässt sich dieses Romantik-Business auch auf andere Wirtschaftsbereiche abseits der Unterhaltungsindustrie umlegen?

Das Konzept der Romantik ist besonders ausgeprägt in den USA und Großbritannien – und es ist wohl kein Zufall, dass dies die Länder sind, in denen Kapitalismus und Neoliberalismus florierten. Von dort breiten sich die Konzepte aber auch in die restliche Welt aus – Hochzeitsringe und weiße Hochzeitskleider gibt es inzwischen auch in anderen Ländern. In Japan war es ursprünglich nicht üblich, bei der Hochzeit Diamantenringe zu übergeben – 20 Jahre nach dem Einstieg der Juweliere in den Markt ist das Konzept nicht mehr wegzudenken. Aber die Juweliere hatten es nicht leicht: Anfangs wurden Diamanten nicht mit Liebe in Verbindung gebracht, weshalb der Slogan des Jahrhunderts - „Diamonds are forever“ – geschaffen wurde. Dann wurde das Ritual des Auf-die-Knie-gehens geschaffen. Ein Brauch, von dem wir heute glauben, dass er jahrhundertealt ist, stammt in Wahrheit aus den 1940er Jahren und war Teil einer Corporate Policy, um Diamanten zu verkaufen.

Man muss betonen, dass diese Erlebnisse für viele Menschen schön und wichtig sind – und das ist per se nicht verwerflich. Das Problem ist bloß, wenn dadurch Zukunftsaussichten verbaut werden, so wie es derzeit in den USA passiert – und diese Entwicklung wird auch ihren Weg nach Europa finden.

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