Aprés-Ski: dem Wintertourismus droht das K.O.
Einkehrschwung und Hüttengaudi: Ist Wintertourismus auch im Corona-Winter 2020/21 machbar? Die Bundesregierung hat Regeln vorgestellt, die der heimischen Tourismus-Branche über den Winter helfen sollen. Manchen Experten gehen die nicht weit genug. Und die Buchungslage ist mager.
Leere Lifte, leere Pisten: Die Tourismusbranche bangt um die Gäste.
Zahlen lügen nicht. Der Vergleich in der Beherbergungsstatistik der Statistik Austria für den März 2019 und den März 2020 ist ernüchternd. Um insgesamt 59 Prozent sind die Übernachtungen in den heimischen Beherbergungsbetrieben gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen (siehe Grafik). Und dabei ist das Geschäft in den ersten Tagen und Wochen des Monats noch einigermaßen normal gelaufen.
Am 10. März kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz an, dass Österreich auf "Minimalbetrieb" herunterfahren werde und Gesundheitsminister Rudolf Anschober erklärte, dass sich das Leben grundlegend ändern werde. Die Corona-Pandmie hatte Österreich erreicht und mit Sonntag, dem 15. März wurde die Skisaison 2019/2020 in den Bundesländern in Tirol, Salzburg und Vorarlberg vorzeitig beendet. Die Urlauber durften auch nicht in den Orten bleiben, sondern mussten bis spätestens Montag,16. März nach Hause fahren.

Der Corona-Knick im März 2020. Touristiker bangen vor einem ähnlichen Szenario in der ganzen bevorstehenden Wintersaison.
Es folgte der mehrmonatige Lockdown. Zu spät für manche, wie sich leider herausstellte, denn in den Skigebieten hatte das heimtückische Virus zuvor schon einen äußerst fruchtbaren Nährboden gefunden und sich über Aprés-Ski-Partys und zünftigen Hüttengaudis in den österreichischen Bergen aus in zahlreiche Länder verbreitet. Ischgl, St. Anton & Co. waren plötzlich keine internationalen Vorzeigebilder für ein funktionierendes Wintertourismus-Business mehr, sondern abschreckende Beispiele für das Versagen von Behörden, die Profitgier einzelner und das völlige Unterschätzen einer bedrohlichen Lage.
Der Ischgler Promi-Hotelier Günther Aloys hätte etwa gerne gesehen, dass der Betrieb weitergelaufen wäre und sagte: "Wir haben ganz wenige Fälle. Die Leute sind sensibel, passen auf. Das ist ja nichts anderes als eine Grippe, die für die allermeisten nicht tödlich ist."
Retten, was zu retten ist
Gut ein halbes Jahr und weltweit knapp eine Million Corona-Todesfälle später sind Aussagen wie jene des Ischgler Tourismusmanagers gottlob nicht mehr zu hören. Die Wirtschaft und die Politik haben den Ernst der Lage erkannt und versuchen Lösungen zu finden, um den heimischen Touristikern im bervorstehenden Winter 2020/21 das Überleben zu ermöglichen. Denn die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist für Österreich enorm. Die direkte und indirekte Wertschöpfung des Tourismus in Österreich lag laut Statistik Austria im Jahr 2019 bei 29,17 Milliarden Euro. Das Jahr 2019 dürfte bei den touristischen Gesamtausgaben in Österreich einen Anstieg um 2,9 Prozent auf 38,09 Milliarden Euro mit sich gebracht haben. 7,3 Prozent des gesamten BIP entfielen auf den Tourismus, der bis dahin ein jährlich wachsendes Geschäft war.
"Im Wintertourismus geht es weit mehr um Wintersport", betont daher auch Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, die gemeinsam mit weiteren Vertretern der Bundesregierung nun einen ersten Ausblick darauf gegeben hat, wie die Saison 2020/21 vielleicht doch noch zu retten ist - sofern die Infektionszahlen nicht noch weiter steigen, Österreich mit weiteren Reisewarnungen belegt wird und vor allem die zahlungskräftigen Touristen aus dem Ausland den heimischen Wintersportzentren fern bleiben.
Der Fall könnte durchaus eintreten. "Dem Wintertourismus wird es so ergehen wie jetzt schon dem Städtetourismus", prophezeit auch schon NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn. Susanne Kraus-Winkler, Obfrau des Fachverbandes Hotellerie der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), sieht das ähnlich. Es gebe in den Städten keine Buchungsnachfrage mehr, und auch in den Skigebieten gebe es Stornierungen und einen Rückgang der Nachfrage. Viele Stammgäste hätten ihre Buchungen aber aufrechterhalten, "deswegen ist es für uns auch so wichtig, dass wir jetzt diese Fallzahlen innerhalb der nächsten zwei, drei, maximal vier Wochen wieder in den Griff bekommen".
Dennoch sinken die Hoffnungen auf eine halbwegs normale Saison. Auch die Hersteller von Wintersportgeräten reagieren bereits darauf. Fischer Ski hat etwa schon die Erwartungen für die kommende Saison um 20 bis 30 Prozent zurückgenommen (siehe Artikel).
Reisewarnungen und Hoffnungen
Aktuell stehen Geschäft ohnehin die Reisewarnungen aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und entgegen. Diese Warnungen bedeuten für die Mehrheit der Touristen, dass sie Reisen stornieren oder erst gar nicht buchen. "Die Infektionszahlen sind zu hoch. Wir müssen das Wachstum stoppen", stellte Bundeskanzler Sebastian Kurz daher auch als Grundbedingung fest, denn es gehe nicht nur um die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch um Arbeitsplätze. 279.100 selbstständige und unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse gab es laut Statistik Austria im Jahr 2018 in der heimischen Tourismusindustrie - rund 5,9 Prozent der Erwerbstätigen sind in dem Business aktiv.
Doch Gesundheitsminister Rudolf Anschober gibt der Branche Hoffnung. "Sicherheit und Tourismus sind gut vereinbar", erklärte er. Besonders wichtig sei, dass die Tourismusbranche selbst verstanden habe, dass sehr viel auf die Sicherheit geschaut werden muss.
Präventionskonzept
Eine ganze Wintersaison ohne Tourismus - das wäre für Österreichs Bundesregierung ohnehin nicht vorstellbar. Und so wurde nun das Präventionskonzept für den Winter vorgestellt.
Köstinger versicherte, dass Weihnachtsmärkte stattfinden würden. Die kostenlosen Corona-Tests in der Gastronomie und Hotellerie sollen zudem ausgedehnt und auch für Fremdenführer, Reiseleiter und Skilehrer zur Verfügung stehen.

WKÖ-Präsident Mahrer, Tourismusministerin Köstinger, Bundeskanzler Kurz, Gesundheitsminister Anschober und Tirols Landeshauptmann Platter bei der Präsentation "Sicherer Wintertourismus in Österreich".
Die einschneidendste Änderung betrifft wohl das Aprés Ski. Das soll es in der bevorstehenden Wintersaison gar nicht geben. In und vor Hütten dürfen Speisen und Getränke zudem nur im Sitzen genossen werden. Beschränkungen hinsichtlich der Öffnungszeiten oder etwa auch den Alkoholausschank betreffend wurden nicht beschlossen. Weshalb der Wiener Umweltmediziner und Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter postwendend grundsätzlich "neue, kreative Konzepte" für die Freizeitgestaltung im Wintertourismus abseits der Skipisten einmahnte. "Apres Ski im Sitzen kann nicht der einzige Schritt sein", erklärte er.
Wie die in dem Konzept enthaltenen Bestimmungen im Detail umgesetzt werden sollen, das obliegt jedoch noch der Kreativität und entsprechender Maßnahmen der Betriebe. Die Auflage, dass beim Anstellen an Liften der Mindestabstand von einem Meter einzuhalten ist, scheint jedenfalls bei einem entsprechenden Gästeansturm nur schwer umzusetzen sein. Dafür wurden Gondelbahnen offenbar anderen Öffentlichen Verkehrsmitteln gleichgesetzt und keine Beschränkungen hinsichtlich der Personenzahl, die in den einzelnen Gondeln befördert werden dürfen, festgesetzt. Die Benutzer sollen lediglich einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen.
Entsprechend der aktuellen Maximalzahl von Teilnehmern bei Veranstaltungen ohne gekennzeichnete Sitzplätze hat die Regierung zudem Skischul-Gruppen auf maximal zehn Personen beschränkt. Allerdings wurde das nicht verordnet, sondern lediglich empfohlen.
Regeln und Kontrollen gefordert
Oliver Fritz, Tourismusexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, forderte entsprechend auch klare Regeln und Kontrollen für Wirte, Hoteliers, Hüttenbetreiber und Seilbahnen in den Wintersportorten. Andernfalls hat er die Sorge, dass Schwarze Schafe den gesetzten Rahmen ausnutzen. Ohne zumindest stichprobenartige Kontrollen werde es nicht gehen. Es müsse in vertrauensbildende Maßnahmen investiert werden, und in ein konkretes Procedere, was passiert, wenn jemand vor Ort krank wird: "Ein "Ischgl II" muss verhindert werden."
Der Wifo-Tourismusexperte fürchtet, dass es einige Tourismusbetriebe mit der jetzigen Saison nicht mehr schaffen werden. Die Durststrecke sei zu lange und Hilfe durch den Staat sei nötig. Fritz geht aktuell davon aus, dass die Nächtigungszahlen im Gesamtjahr 2020 um 30 Prozent unter dem Vorjahr liegen werden. Wobei die Wintersaison 2020/21 darin allerdings kaum berücksichtigt ist, da diese erst rund um Weihnachten richtig beginnt.