Smart Energy: Wie sich Energieversorger neu aufstellen
Strompreisliberalisierung, Energiewende und die teure Umrüstung auf Smart Meter haben die Energieversorger in den vergangenen Jahren gehörig unter Druck gebracht. Mit energienahen Dienstleistungen, Flexibilisierungs- und Digitalisierungsmaßnahmen wollen sie jetzt gegensteuern.
Matthias Deeg, Partner Horváth & Partners
Die Gewinnerwartungen der Energieversorger haben sich zuletzt wieder deutlich verbessert. Waren es 2015 nur noch zwei Prozent, die optimistisch in die Zukunft blickten, sind es heute bereits wieder über 60 Prozent, geht aus einer Studie der Managementberatung Horváth & Partners hervor. Grund dafür ist allerdings nicht das Geschäft mit erneuerbaren Energien, der konventionellen Stromerzeugung oder klassischen Commodity-Produkten, sondern die strategische Neuausrichtung.
Potenzial bei etablierten Technologien
Hohe Ertragschancen sehen die Energieversorger bei der Flexibilisierung der Stromversorgung. Dem Lastenmanagement in der Industrie kommt dabei die größte Bedeutung zu. Auch die etablierten Technologien gelten als margenstark, vor allem stromgeführte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen mit Wärmenetzen. Wachsende Bedeutung kommt auch der Entwicklung von Speichern (u.a. Lithium-Ionen-Batterien) zu, die im Umfeld von Heimspeichern, Netzentgeltreduktion und auch netzdienlich agieren. Das Vertrauen in Power-Gas-Technologien wächst ebenso deutlich im Vergleich zu den Erwartungen noch vor zwei Jahren. Weniger rentabel scheint hingegen der weitere Neubau flexibler Kraftwerke oder die Modernisierung bestehender konventioneller Anlagen.
Ausbau energienaher Dienstleistungen
Bei den energienahen Dienstleistungen erwarten die befragten Energieversorger die größten Margen bei Elektromobilität, flexibleren Kapazitäten und Digitalen Lösungen. Der Bereich Elektromobilität steckt dabei noch in den Kinderschuhen. Während der Großteil der EVU bereits spezielle Tarife und Ladeinfrastruktur für strombetriebene Fahrzeuge anbietet, sehen viele eine neue Rolle in neuen Mobilitätskonzepten, z.B. Flotten- oder Parkraummanagement. Stärker werden auch die Nutzung der mobilen Speicher im Fahrzeug sowie ergänzender Speicher bei Schnellladesäulen. Gut voran kommen auch die digitalen Energielösungen, d.h. Auftragssteuerung für Photovoltaik, Wärmelösungen und Submetering, die derzeit im Markt am stärksten wachsen.
Neue Geschäftsfelder durch Digitalisierung
Um margenstarke Geschäftsbereiche weiter auszubauen und zugleich kosteneffizienter zu machen, ist die Digitalisierung für Energieversorger unverzichtbar. Die digitale Transformation dient dazu, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren, Prozesse besser zu planen und zu steuern. Die Ziele für Cost2Serve im Privatkundensegment sollten bei vielen Versorgern eigentlich zwischen 14 und 20 Euro liegen. Tatsächlich liegen die meisten aktuell noch bei 20 bis 40 Euro pro Vertrag. Auch Querschnittsfunktionentwie Einkauf, Personal oder Controlling werden durch digitale Plattformen (Self Services) effizienter.
Höhere Erträge aus der Wohnungswirtschaft
Großes Potenzial werden insbesondere für Dienstleistungen in der Wohnungswirtschaft erwartet – dies führt zu zahlreichen neuen Marktteilnehmern. Darunter fallen nicht nur die Objektversorgung mit Strom, Gas und Wärme oder mehr Energieeffizienz durch digitale Steuerung, individuelle Bedarfsprofile oder Abwesenheitsregelungen. Die EVU wollen sich künftig zum kompletten Service- und Lösungsanbieter weiterentwickeln – mit Internet, Telefon und Fernsehen sowie Überwachung des Gebäudezustands beispielsweise hinsichtlich Beleuchtung, Trinkwasseranalysen und Sicherheit durch vernetzte Rauchmelder oder elektronische Zutrittsschranken.
Die größten Hebel für die Wohnungswirtschaft bieten klassische digitale Prozesse: von der Transparenz bei Energiedaten über den digitalen Mieterwechsel samt Zwischenabrechnung bis hin zur Terminsteuerung. Der Rollout der intelligenten Messsysteme wird dazu führen, dass die Zahl der intelligenten Liegenschaften zunimmt. Die Wohnungswirtschaft führt damit das Ranking der Ertragschancen an, gefolgt von Kommunen und öffentlichen Einrichtungen sowie kleinen und mittleren Gewerbebetrieben.
Digitalisierung der Kundenschnittstelle
Für alle Bereiche gilt, dass die Kundenschnittstellen digital werden müssen. Nahezu alle Befragten des Horváth-Energiebarometers erwarten dadurch eine bessere Durchdringung der Absatzmärkte und einen höheren Vertriebserfolg; 83 Prozent auch eine Verbesserung der Kundenbindung. Der digitale Dialog mit dem Kunden reicht vom elektronischen Self Service über die Terminvereinbarung mit dem Monteur per WhatsApp bis hin zu Push-Nachrichten, wenn der Kunde in die Nähe von Servicestellen kommt. Mit Social-Media-Aktivitäten wollen Energieversorger zudem künftig selbst als Influencer auftreten und dadurch den Einfluss von Vergleichsportalen zurückdrängen.
Cloudbasierte Systeme kein Tabu mehr
Für viele Versorger stellt sich die Frage, ob sie für den Kundenkontakt cloudbasierte Dienste nutzen sollen, nicht mehr. Dreiviertel der Befragten sehen deren Nutzung als Chance. CRM-Systeme können datensicher auch per Cloud genutzt werden, ebenso digitale Abrechnungen, was zum Beispiel für die Elektromobilität interessant ist. Ziel ist, über Cloudlösungen skalierbare Kosten zu erreichen.
Bessere Steuerung durch valide Prognosen
Kosteneffizienz spielt natürlich auch in der Unternehmenssteuerung eine große Rolle, dies gilt u.a. für die Automatisierung der Kostenprognosen und die Steigerung der Prognosequalität. Wo fallen Instandhaltungskosten an? Wie entwickeln sich die Margen im Vertrieb? Letztendlich sollen Kosten und Mengen besser planbar und noch besser steuerbar werden.
Wettbewerb droht von außerhalb
Wenn es um die künftige Ertragssicherheit geht, spielt der Strom- und Gaspreis im Neugeschäft kaum noch eine Rolle. Das klassische Stromgeschäft wird nicht mehr als Hauptergebnisquelle gesehen. Nur sechs Prozent der Befragten geben an, mit niedrigen Strompreisen ein Problem zu haben. Als größte Gefahr für die künftigen Erträge der Energieversorger gelten neben der Identifikation attraktiver Geschäftsmodelle der Widerstand der Bevölkerung bei Netzausbau und Anlagen für erneuerbare Energien sowie die sinkende Planungssicherheit durch regulatorische Eingriffe.
Fazit: Nach Jahren der Unsicherheit haben die Energieversorger die Weichen wieder auf Wachstum und Produktivitätssteigerung gestellt. Die Margen werden künftig aber bei kleineren Verträgen und einer größeren Anzahl an Dienstleistungen, sogenannten Bündelprodukten, erzielt. Dafür braucht es mehr Kompetenzen in Produktentwicklung und Vertrieb und mehr (komplexeres) Know-how im operativen Betrieb, um Anlagen, Geräte, Kommunikationstechnik und Daten als Standardlösungen liefern zu können.
Der Autor
Matthias Deeg ist Head of Competence Center Utilities und Partner bei der Managementberatung Horváth & Partners in Frankfurt.
Die Serie "Management Commentary" ist eine Kooperation von trend.at und der Unternehmensberatung Horváth & Partners. Die bisher erschienen Beiträge finden Sie zusammengefasst im Thema "Management Commentary".