Umschaltspiel als Krisenstrategie

Gekonnter Wechsel und guter Mix von Offensiv- und Defensivaktionen kennzeichnen nicht nur starke Fußballteams, sondern auch jene Unternehmen, die laut BCG gestärkt aus der Krise kommen.

Thema: Leadership
Umschaltspiel als Krisenstrategie

LUKAS HAIDER, BCG: "Entwicklungen früh erkennen, volatile Bereiche proaktiv absichern und neue Chancen nutzen, um in der Krise Marktanteile zu gewinnen"

Krise als Chance" - wer so unspezifisch Google bemüht, handelt sich nicht nur Tre ffer im zweistelligen Millionenbereich allein in der deutschsprachigen Version ein, sondern erhält gleich dazu Dutzende passende Buchtitel, zumeist einschlägige Ratgeberliteratur, zum Kauf angeboten.

Der Gedanke, eine Krise als Chance anzusehen, ist also offenbar durchaus breit verankert - auch bei Führungskräften: 75 Prozent der Unternehmen setzen bei wirtschaftlicher Unsicherheit auf Expansion. Das ist ein Ergebnis einer Umfrage des internationalen Strategieberaters Boston Consulting Group (BCG) vom vergangenen Herbst bei mehr als 1.400 Entscheidungsträgern in Konzernen.

"The CEO 's Dilemma. How to win Market Share in a Downturn" lautet der Titel der darauf beruhenden, von BCG kürzlich publizierten Studie, die sich der Umsetzung dieses löblichen Vorhabens in die Praxis widmet. Mit Blick in den Rückspiegel vergangener Krisen entzaubern die Experten darin allerdings gleich den von der Mehrheit verfolgten Expansionsansatz in der Krise als für die meisten eher chimärenhaft:

  • Nur 14 Prozent der Unternehmen konnten im Abschwung gleichzeitig Umsatz und EBIT-Marge erhöhen, den Anspruch also tatsächlich erfüllen.
  • 14 Prozent gelang es zwar, die Umsätze zu steigern, doch ihre EBIT-Margen lagen im Minus.
  • 28 Prozent konnten ihre Gewinnmargen steigern, verloren aber wegen sinkender Umsätze dabei Marktanteile.
  • Bei der großen Mehrheit von 44 Prozent entwickelten sich im gesamtwirtschaftlichen Abschwung auch beide Unternehmenskennzahlen negativ.

Dennoch: Die Chancen, Marktanteile zu gewinnen und von Umbrüchen auf Märkten zu profitieren, sind in Zeiten hoher Volatilität besser als in sehr stabilen Wirtschaftsphasen. Der Mythos hat durchaus auch eine reale Grundlage. Es dürfte also wohl an der Herangehensweise liegen, dass das Vorhaben nur so wenigen Unternehmen gelingt.

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BCG hat daher einen neuen Ansatz entwickelt, der gerade der aktuellen, von mehreren einander teilweise verstärkenden Faktoren geprägten Polykrise (Covid-Regularien, Lieferkettenproblematik, Klimaregulatorik, Krieg und Energiekrise, Teuerung, Rezession) gerecht werden soll, und sich angesehen, was Unternehmen richtig machen, die tatsächlich Aussicht haben, gestärkt aus dieser Abschwungphase hervorzugehen.

Sensing plus Defense plus Offense


RADARSYSTEM & WECHSELSPIEL. Lukas Haider, Partner und Leiter des Wiener Büros von BCG, skizziert den Zugang: "Rein reaktive Kostensenkungsprogramme mit Druck auf Zulieferer und Personalmaßnahmen sind nicht ausreichend. Es geht vielmehr um ein feines Austarieren von defensiven und offensiven Aktionen. Mithilfe eines Radarsystems, basierend auf Data und Analytics, können Unternehmen den Puls von für die jeweilige Branche spezifischen und relevanten Frühindikatoren direkt und taggenau beobachten."

"Sensing plus Defense plus Offense" nennt BCG in der Studie diesen Dreiklang von Elementen einer funktionierenden Resilienzstrategie, die es Unternehmen ermöglicht, Unsicherheiten und Volatilitäten in das strategische Management einzubeziehen und sie sowohl widerstandsals auch wettbewerbsfähiger macht:

Sensing.Grundlage für Entscheidungen ist das von Haider angesprochene Radarsystem, das es ermöglicht, Umschwünge und Veränderung von Märkten und Kundenverhalten sofort zu erkennen. Das erfordert Fitness im Bereich Data &Analytics. Es soll nicht nur als Frühwarnsystem Gefahren rechtzeitig erkennen, sondern insbesondere auch Chancen aufzeigen, die Mitbewerber nicht so schnell sehen. Als Beispiele solcher Frühindikatoren nennt Haider etwa die Entwicklung von Kontoständen für die Finanzindustrie und tagesgenaue, produktspezifische Absatzdaten für Konsumgüterhersteller.

Solche Systeme verbessern nicht nur Verständnis von Marktlage und Wettbewerbsposition und ermöglichen agile, datenbasierte Entscheidungen, sondern können mittels Simulation verschiedene Optionen vergleichen. Je nachdem, welche Signale Sensing liefert, baut darauf ein Wechselspiel offensiver und defensiver Aktionen auf, die durchaus parallel erfolgen können oder auch müssen.

Defensive. Hier sollte eben nicht der berüchtigte Rasenmäher angesetzt werden, sondern fein austarierte, datenbasierte Aktionen, um Kundenbasis und Umsatzrentabilität zu sichern. Handlungsfelder sind etwa Pricing, Nachverhandlungen bei von Kosteninflation betroffenen Produkten, Fokus auf Schlüsselkunden. Die Forcierung des Onlinegeschäfts mit den Corona-Lockdown war etwa für Beiersdorf zunächst eine defensive Aktion und ermöglicht nun, mit einer neuen Qualität der Datenbasis und viel mehr Nähe zu Endkunden sowie ihrer Customer Experience in die Offensive zu gehen, um sie personalisiert im Onlinemarketing anzusprechen.

Offensive. Als Musterbeispiel eines gelungenen Umschaltspiels von der Defensive in die Offensive nennt Haider auch den heimischen Ölfeldausrüster SBO (siehe Kästen, unten). Mit sehr flexiblen Betriebsmodellen im Corona-Abschwung konnte der Equipmentspezialist sofort auf steigende Nachfrage reagieren, als die globale Öl- und Gasindustrie mit dem Ausfall russischer Kapazitäten am Weltmarkt in Folge des Ukraine-Kriegs ihre Explorations- und Produktionskapazitäten erhöhte. Zugleich investiert SBO in den Aufbau des Geschäfts mit Geothermie, wo sie bewährte Expertise und Stärke in der Bohrtechnik ausspielen kann. "Damit setzt man proaktiv auf einen Megatrend und nicht etwa auf eine Cashcow-Strategie bei der Förderung fossiler Brennstoffe", konstatiert Haider.

Schlüsselfaktor im Offensivspiel


BCG identifiziert KI-Technologien und Anwendungen, verbunden mit Upskilling in Marketingteams, als Schlüsselfaktor im Offensivspiel, etwa um personalisiertes Marketing treffsicher umzusetzen sowie Konsumentenerfahrungen laufend zu verbessern und so Wachstum in einem extrem volatilen Umfeld zu generieren.

Grundlagen dafür schafft man am besten schon vor Krisen – Fußballteams, die Umschaltspiel beherrschen, starten ihr Konditionstraining schließlich auch nicht erst dann, wenn sie gerade am eigenen Strafraum eingeschnürt werden.



AT&S

MIT LANGFRISTIGEM FOKUS durch Corona hindurch", charakterisiert Experte Haider den strategischen Zugang von Leiterplattenhersteller AT&S. Die Offensivstrategie basiert auf dem von Digitalisierung und 5G getragenen Langfristtrend im Halbleiterbereich: In Leoben investiert man eine halbe Milliarde Euro für 700 Arbeitsplätze in F&E zu Substrat- und Packaginglösungen für die globale Halbleiterindustrie.

In Malaysia entsteht gerade um 1,7 Milliarden Euro ein weiterer Produktionsstandort neben Werken in Indien, China und Südkorea, der zu 40 Prozent mit Solarstrom versorgt wird. Zugleich verstehe es AT&S auch, von Quartal zu Quartal zu managen und zu reagieren: Nach einem Geschäftshalbjahr 22/23 auf Rekordkurs revidierte man Aussichten nach trüberen dritten Quartal.


BEIERSDORF

KOSMETIK UND KLEBSTOFF mit Marken wie Nivea, Eucerin, La Prairie, Hansaplast oder Tesa bilden die Standbeine von Beiersdorf. Ambivalente Corona-Effekte bewirkten in Summe Ergebnisrückgänge und bewegten den deutschen Traditionskonzern zu einem 300-Millionen-Euro-Investitionsprogramm, das zu einem guten Teil in den digitalen Ausbau zur Steigerung des Onlinegeschäfts floss.

Damit wurde laut BCG-Expertise gezielt in Marketing, die Customer Experience, Optimierung der Organisation und des Talentepools investiert. Beiersdorf transformiert zudem gerade seine zentralen SAP-Systeme auf S/4HANA. 2022 wuchsen die Umsätze wieder kräftig um 10,5 Prozent, auch die Aktie kehrte im Vorjahr nach einjähriger Absenz wieder in den DAX zurück.


BAWAG

RIGIDES COST MANAGEMENT, auch Stellenabbau, und Rechtsstreitigkeiten brachten der Ex-Gewerkschaftsbank nicht nur gute Presse. BCG-Chef Haider sieht die Bawag im Hinblick auf Kosten und Risikoprofil im Marktvergleich sehr gut aufgestellt aus der Krise kommen. Sie habe in Digitalisierung und effiziente Abläufe investiert, als Konsolidierer am heimischen Markt die Hellobank übernommen und integriert, setze im Wertpapier- und Kreditkartengeschäft auf Wachstumsfelder.

Die Bank hatte Corona-Vorsorgen hoch angesetzt, sah seit 2021 "Normalisierung" und setzte sich ambitionierte Ziele bis 2025. Die übertrifft sie 2022 schon bei der Cost-Income-Ratio, tätigte trotz Großabschreibung (Linz-Swap) Aktienrückkäufe und hat "Kapital für Wachstum und Übernahmen".


PROCTER & GAMBLE

DER WELTWEIT FÜHRENDE Konsumgüterhersteller Procter & Gamble nutzte Mehrerlöse aus der hohen Nachfrage nach Hygieneartikeln in der frühen Corona-Phase und investierte im gesamtwirtschaftlichen Abschwung gezielt in Marketing, E-Commerce, Digitalisierung der Lieferkette, Neuausrichtung des Portfolios sowie insbesondere in Initiativen zur langfristigen Reduzierung von Plastikverpackungen sowie Kreislaufwirtschaft.

Damit gelangen Umsatzzuwächse mitten in der Krise sowie eine hundertprozentige Outperformance des S&P-500-Börsenindex. Aktuell belasten nun teure Rohstoffe und der starke Dollar die Ergebnisse, doch selbst für das Multikrisengeschäftsjahr 2022/23 erwartet P&G organisches Wachstum um vier bis fünf Prozent.


SCHOELLER-BLECKMANN OILFIELD

MIT DER "STRATEGIE 2030" reagierte der global agierende heimische Ölfeldausrüster Schoeller-Bleckmann Oilfield (SBO) nach kurzfristigen Krisenmaßnahmen mit Weitblick auf Krisenverwerfungen, die 2020 Umsatzeinbrüche und rote Zahlen brachten. Sie setzt darauf, dass Öl und Gas noch jahrzehntelang unverzichtbar für die globale Energieversorgung bleiben, und zugleich auf den Aufbau eines gleich starken Geschäftsfelds als Technologieausrüster für Geothermie und E-Fuels-Produktion – auch durch Zukäufe.

Dass die Öl- und Gasindustrie mit dem Ukraine-Krieg lange vernachlässigte Exploration und Produktion hochfuhr, brachte nach einem "Brückenjahr" der Erholung 2022 neue Auftragsrekorde und den historisch zweitbesten Umsatz ein.


Der Artikel ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 10. März 2023 entnommen.

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