Robin Lumsden: Über die Wiedereröffnung Kaliforniens
Der Wiener Wirtschaftsanwalt Robin Lumsden hat zwei Jahre für den trend von seinen Studien in Stanford berichtet. Auch zurück in Wien hält er Kontakt zur US-Eliteuni. Diesmal: Wie der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat versucht, die Impfbereitschaft zu steigern, und welche Rolle dabei Lotterien und Verlosungen spielen.
Der Autor Robin Lumsden mit David Crane (l.), dem früheren Kabinettschef von Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Stanford-Vortragenden. Crane half jetzt bei vielen Initiativen Kaliforniens zur Erhöhung der Impfbereitschaft mit.
IN STANFORD kehrt so wie überall in Kalifornien nun wieder Normalität zurück. Zwar hat Corona viele (positive) Digitalisierungseffekte hinterlassen, dennoch ist man sich einig:"Wir sind reif zum Öffnen." Am bevorstehenden amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli dürfte in erster Linie der klare Sieg über die Pandemie gefeiert werden. Die Wirtschaft ist wieder voll im Gange, Wachstum und Beschäftigung erreichen bald vorpandemische Werte.
Der Erfolg wird zum großen Teil den Impfungen und dem datenbasierten Vorgehen zugeschrieben. Nicht überall ist man allerdings der Impfung gegenüber positiv aufgeschlossen, in urbanen Zentren haben bereits fast 70 Prozent der Bewohner mindestens die erste Impfung erhalten, in ländlicheren Regionen liegt die Quote nur etwas über der Hälfte.
Insbesondere dort, wo es kaum noch Fälle gibt - vor allem in den dünner besiedelten Staaten - und wo es ohnehin kaum Einschränkungen gab, ist es natürlich schwierig, zu überzeugen. Dabei gibt es innerhalb der Bevölkerung keinen allgemeinen Konsens, inwiefern Covid aktuell überhaupt noch ein Problem darstellt. Dazu sind die USA ein viel zu heterogenes Volk. Auch wird natürlich die Rolle des Staates oft hinterfragt: Solange kein Zusammenbruch des Gesundheitssystems mehr droht, seien sämtliche Maßnahmen mangels sachlicher Grundlage aufzuheben, hört man oft.
Dazu kommt auch die Rolle der Politik: Insbesondere Republikaner wollen sich nichts aus Washington vorschreiben lassen, schon gar nicht vom Demokraten Joe Biden, der "ihren" Donald Trump besiegt hat. All das führt dazu, dass die USA zwar weiter "Impfweltmeister" sind, aber kaum noch Wachstum verzeichnet werden kann. Immer mehr Bevölkerungsschichten können aus sozialen, ideologischen, religiösen oder ethnischen Gründen nicht mehr erreicht werden. Ob das noch ein Problem wird, ist unklar.
DABEI VERSUCHT SPEZIELL KALIFORNIEN, mit seinen 40 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA, wirklich viel: Mit Geldanreizen von knapp 100 Millionen Euro konnte Kalifornien viele Bürger zu Impfungen bewegen und bereits Geimpfte belohnen. Gouverneur Gavin Newsom war stolz auf das "Vax for the Win"-Programm, die größte Impfanreizinitiative in den USA.
In einem Lotterieverfahren erhielten zehn vollständig geimpfte Teilnehmer jeweils 1,5 Millionen Dollar, weitere 30 immerhin noch jeweils 50.000 Dollar. Wer schon länger geimpft ist, wurde automatisch in die Verlosung aufgenommen. Zwei Millionen Kalifornier, die sich in den kommenden Wochen impfen lassen, erhalten dafür einen Einkaufsgutschein über 50 Dollar. Arnold Schwarzeneggers Ex-Kabinettschef David Crane, Lesern des trend als einer meiner Lehrer in Stanford bekannt, war bei vielen Initiativen Newsoms zur Erhöhung der Impfbereitschaft dabei.
Bisher wurden (Stand Ende Juni) knapp 180 Millionen Erstimpfungen durchgeführt, die Impfquote liegt bei knapp 55 Prozent, bei den vollständig Geimpften bei knapp 45 Prozent. Diese erfreulich hohe Quote scheint aber nun gefährdet, die Impfbereitschaft gerät ins Stocken.
Freiheit gilt nach wie vor vielen als das oberste Gut, auch die Freiheit, sich zu infizieren.
Kalifornien ist kein Einzelfall, mit Preisausschreiben wurden quer durchs Land Millionengewinne versprochen, Freiflüge und Freigetränke. Überhaupt wird das Impfen den Amerikanern leicht gemacht: Schon lange gibt es keine Priorisierung für bestimmte Bevölkerungsgruppen mehr, Tausende Apotheken und Kommunen bieten Impfungen ohne Terminvereinbarung an. Das hat in der ersten Phase gewirkt: In vielen Landesteilen sind große Impfzentren wieder geschlossen worden, weil es nicht mehr genug Nachfrage gab.
DIE USA sind aber im globalen Vergleich noch immer ein Impf-Herzeigeland: Es gibt keinen mangelnden Nachschub bei den Impfstoffen, hier geht es inzwischen nur noch darum, die Spritzen unters Volk zu bringen.
US-Präsident Joe Biden und seine Corona-Experten fordern die Bürger nun fast täglich auf, sich die Anti-Corona-Spritze zu holen. "Jetzt ist die Zeit, sich impfen zu lassen. Es wäre eine Tragödie - und eine vermeidbare -, falls die Covid-Fälle unter den Ungeimpften wieder ansteigen, zumal die Impfungen kostenlos und einfach verfügbar sind", erklärte Biden.
Aber eine allgemeine Impfpflicht ist in den USA politisch undenkbar, weil das natürlich als unangemessen großer staatlicher Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung gilt. So etwas wie den "Grünen Pass" in Europa, gibt es in den USA nicht und wird es wohl mangels Einigung zwischen den Bundesstaaten auch nie geben.
Viele Staaten haben wie Texas sogar ausdrücklich Gesetze verabschiedet, dass nach dem Impfstatus nicht einmal mehr gefragt werden darf. "Freiheit" gilt nach wie vor vielen als das oberste Gut, auch die Freiheit, sich zu infizieren, seine Umgebung und damit auch die gesamte Wirtschaft.
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Zum Autor
Robin Lumsden ist Anwalt in Wien, New York und Washington. Zwei Jahre verbrachte er an der US-Eliteuniversität Stanford. Seine Arbeit als Anwalt und die dort gewonnenen Erfahrungen verarbeitet er jetzt dieser Kolumne.