Fünf Trends, die Angst machen [Interview]

Er prägte den Begriff "Hidden Champions" und hat als Berater mit Simon-Kucher & Partners selbst einen Global Player und Weltmarktführer geschaffen. Im trend-Interview spricht Hermann Simon über Ängste, Strategien und Chancen in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung.

Fünf Trends, die Angst machen [Interview]

Hermann Simon, 71, Professor für Marketing, gründete das global führende Beratungsunternehmen für Preismanagement und entdeckte das Hidden-Champions-Konzept. Als einziger Deutscher zählt er zu den "Thinkers50", den 50 führenden Managementdenkern der Welt.

trend: Vor etwa zwei Jahren - nach Trumps Wahlsieg - meinten Sie, Hidden Champions wären durch Protektionismus wenig gefährdet. Bestätigt sich das?
Hermann Simon: Trump hat drohende Ankündigungen gemacht, aber wenig umgesetzt. Statt Nafta gibt es jetzt Abkommen mit Mexiko und Kanada, bei denen sich substanziell nichts geändert hat. Bei der EU hat er seine Vorhaben verschoben. Die Diskussion ist, ob das auch mit China so sein wird. Wie sich der Protektionismus tatsächlich entwickelt, nicht nur in Worten und Ankündigungen, weiß man nicht. Zu meiner These stehe ich aber uneingeschränkt. Erstens sind ihre Produkte oft unersetzbar. Herr Bardach (Eigentümer Frequentis, Anm.) hat hier am Weltmarktführer-Kongress berichtet, er hätte in China 75 Prozent Marktanteil in der Flugsicherung. Das kann man nicht ersetzen. Der zweite Punkt, der damit zusammenhängt: Die Preiselastizität ihrer Produkte ist weitaus geringer als die chinesischer Produkte. Chinesen sind massiv betroffen von einem Zoll von zehn Prozent oder 25 Prozent in Amerika, weil sie über den Preis verkaufen. Zehn oder 25 Prozent Kostensteigerung sind da existenzgefährdend.

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Globalisierung so in die Defensive geraten ist?
Simon: Es scheint diese Polarisierung Heimat versus Globalisierung zu geben. Trumps schlimmstes Schimpfwort ist "Globalist". Und der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel sagte kürzlich, die wichtigste Trennlinie innerhalb der Gesellschaft verlaufe zwischen "Anywheres", die überall zu Hause sind, und "Somewheres", die eben nur an ihrem Ort zu Hause sind. Ich hingegen glaube, dass sich diese Pole sehr wohl verbinden lassen. Ich komme aus einem kleinen Dorf, bin dieser Gegend nach wie vor verbunden und häufig dort. Ich bin aber genauso häufig in China oder Tokio. Leute meiner Kategorie, Intellektuelle, Geschäftsmanager, auch die Politiker, haben wohl den Fehler gemacht, die Vorteile der Globalisierung nicht genügend zu kommunizieren, weil wir in einer abgeschotteten Welt leben, wo man in Lounges sitzt, in Flugzeugen rumjettet, Englisch spricht. Aber in meinem kleinen Heimatdorf mit 600 Einwohnern sind viele normale Arbeiter auch Globalisten. Ich kenne da viele. Die sind auf Montage bei Projekten in Brasilien. Ein junger Mann aus dem Dorf hat für eine Energiefirma ein paar Monate in Japan gearbeitet. In der jungen Generation erlebt man auch dort Globalisierung, da geht man als Au-pair nach Amerika. Ich glaube, es gibt eine andere Trennlinie: zwischen den Leuten, die in der alten Welt aufgewachsen sind, und diesen Jüngeren. Beim Brexit haben wir gesehen, dass von den unter 25-Jährigen 73 Prozent dagegen waren - leider haben von denen nur 36 Prozent an der Abstimmung teilgenommen.


Trump spielt die gleiche Karte wie die AfD

Die Ängste der Älteren nehmen den Welthandel in Geiselhaft?
Simon: Wenn ich die aktuelle Situation betrachte, haben wir fünf Trends, die alle Angst machen: die Globalisierung als Verlagerung von Wertschöpfung, dann die Demografie, die sich konkret auf der Familienebene abspielt - Leute haben keine Enkel mehr, die Digitalisierung, verbunden mit der Angst, ob mein Arbeitsplatz demnächst verloren geht, die Finanzkrise, bei der man nicht weiß, ob das alles ausgestanden ist, mit dem Tenor: "Ich bekomme seit Jahren keine Zinsen, wie sieht es mit meiner Altersversorgung aus?", und dann die Migration. Diese Trends, die nur partiell, aber nicht fundamental miteinander zu tun haben, wirken alle auf die Leute ein. Und jeder für sich wäre ausreichend, um bei vielen Angst zu verursachen. Die Summe dieser Ängste wird primär auf das Thema Globalisierung gebucht. Vor allem Globalisierung und Migration werden voll verknüpft und in der Wahrnehmung gebündelt. Trump spielt diese Karte und die AfD in Deutschland genauso.

Aber sind die Ängste deshalb irreal?
Simon: In Deutschland gibt es 19 Millionen Menschen, praktisch ein Viertel der Bevölkerung, mit Migrationshintergrund. Eine Million mehr zu verkraften, das ist machbar. Wir haben seit 40,50 Jahren massive Einwanderung in Deutschland, genauso in anderen Ländern in Europa. Doch wir leugnen bis heute, dass wir Einwanderungsland sind, und haben uns bis jetzt geweigert, ein Instrument zur Steuerung der Einwanderung zu etablieren, damit wir die Richtigen bekommen. Problematisch war vor allem das Bild dieses Kontrollverlustes vom Herbst 2015 - eine Parallele zum Attentat 9/11. Bei Unfällen kommen jedes Jahr viel mehr Menschen um als damals bei den Anschlägen. Aber das Bild von 9/11 sitzt bis heute tief. Politische Reaktionen und Emotionen werden stark durch solche Bilder singulärer Ereignisse bestimmt.

trend: Sie waren Professor und sind als Berater selbst Global Player geworden. Wie kam das?
Simon: Ich habe meine Doktorarbeit zum Thema Preisstrategien für neue Produkte geschrieben und versucht, das anwendungsnäher an praktischen Beispielen zu untersuchen, weil Preistheorie damals sehr theoretisch war. Aus dieser Idee ist unsere Beratungsfirma entstanden, Simon-Kucher & Partners. Wir haben mit drei Leuten angefangen, meinen ersten Doktoranden und einer Sekretärin. Auf dem Gebiet waren wir der Pionier in der Beratung. Das lief dann von Jahr zu Jahr besser, und 1995 habe ich mich entschlossen, Lehrstuhl und Berufsbeamtentum aufzugeben und voll einzusteigen. Damals hatten wir 35 Leute, und ich habe die neue Strategie formuliert, dass wir ein globales Beratungsunternehmen werden. Unser zweites Büro nach Bonn haben wir schon in Amerika aufgemacht. Heute sind es 38 Büros und 1.250 Mitarbeiter in 25 Ländern, und auf unserem engeren Gebiet, der Preisberatung, sind wir klarer Weltmarktführer.

Was können Sie auf diesem Gebiet am besten?
Simon: Das Wichtigste beim Preis ist der Wert oder der Kundennutzen, am präzisesten in Englisch definiert als "perceived value to customer". Die Bereitschaft, einen Preis zu zahlen, hängt immer davon ab, welchen Nutzen der Kunde in dem Produkt oder Service sieht. Unsere Spezialität ist Value-to-Customer und daraus abgeleitete Preisstrategien. Da haben wir weltweit das führende Knowhow, 120 unserer Leute haben einen Doktortitel auf diesem Gebiet.


Seht zu, dass ihr in Englisch perfekt werdet. Das ist wichtiger, als eine weitere Sprache rudimentär zu erlernen.

Sie sind globale Nummer eins in einer Nische, also selbst Hidden Champion.
Simon: Das Ziel, der beste in einem Markt zu werden, erreicht man nur mit Fokus, nämlich indem wir uns auf diese Marketing-, Preis-, Vertriebsseite konzentrieren - und das global. Wir machen keine Rationalisierungsprojekte. Das Thema Hidden Champions ist ja eher ein Hobby von mir und durch einen Zufall entstanden. 1987 fragte mich ein Harvard-Professor: Warum sind die Deutschen im Export so erfolgreich? Dem bin ich nachgegangen, und daraus entwickelte sich die Einsicht: Es liegt nicht an den Großunternehmen, sondern an diesem extrem starken Mittelstand, an den Hidden Champions. Der Ausdruck "Hidden Champion" mit dem impliziten Widerspruch war ein Glücksgriff, meine drei Bücher dazu wurden in 25 Sprachen übersetzt.

Werden die Hidden Champions, die ja für Deutschland und Österreich besonders wichtig sind, ihre Wettbewerbsvorteile auch im Zuge der Digitalisierung erhalten können?
Simon: Da muss man unterscheiden. Bei B2C ist das ein Spiel der großen amerikanischen und chinesischen Digitalunternehmen, weil das schnelle Märkte sind, die rasch ausgeweitet werden. Ganz anders ist das Bild bei B2B. Industrielle Märkte sind eine Vielzahl von kleinen Nischenmärkten und einzeln für die digitalen Giganten nicht interessant. Zudem sind die Prozesse komplexer, das Know-how ist nicht offen verfügbar, sondern steckt in den Firmen drin.

Haben Sie ein paar Beispiele für digitale Hidden Champions?
Simon: Es gibt viele, die man nicht kennt. TeamViewer ist Weltmarktführer für Screensharing, die Grundlage dafür, dass IT-Leute aus der Distanz meinen Computer hier reparieren könnten. Das ist auf 1,5 Milliarden Geräten installiert, und man könnte meinen, das sei eine amerikanische Firma. Dabei sind die aus Göppingen. DeepL, das beste automatische Übersetzungsprogramm, kommt aus Köln. Oder wenn Sie Siri anrufen, steht dahinter Long Short-Term Memory, LSTM. Das ist auf weltweit drei Milliarden Smartphones installiert und kommt von Professor Schmidhuber von der TU München. Hidden Champions kennen Grundbedürfnisse ihrer Kunden und stellen die Digitalisierung darauf ab. Trumpf, Weltmarktführer bei Laserschneidemaschinen, brauchte früher vier Tage, um kundenspezifische Werkzeuge herzustellen. Mit einem voll digitalisierten Prozess liefern sie heute innerhalb von vier Stunden.

Was raten Sie der jungen Generation?
Simon: Egal wo ihr herkommt, aus welchen Verhältnissen, die Welt bietet euch Chancen. Seht zu, dass ihr im Rahmen der Ausbildung ins Ausland kommt, im Studium, zum Schüleraustausch, für Praktika. Seht zu, dass ihr perfekt in Englisch werdet. Das ist die Sprache der globalisierten Welt, in der ihr leben müsst. Internationale Kompetenzen werden noch wichtiger. Wer die beherrscht, hat noch mehr Vorteile, und wer sie nicht beherrscht, hat noch mehr Nachteile. Dieses Fazit ziehe ich aus meinem eigenen Lebenslauf.


Vom Bauernsohn zum Global Player

Hermann Simons Werdegangs in Buchform

Im Aufschwung nach dem Wiederaufbau nutzte Simon die sich ihm bietenden Chancen, studierte Betriebswirtschaft. Schon Dissertation und Habilitation widmete er dem Thema Preise, konnte dazu international am MIT sowie am Insead arbeiten. Er etablierte Preismanagement sowohl in der akademischen Welt als auch in der Unternehmensberatung mit seinem Unternehmen Simon-Kucher & Partners. Das ist heute Weltmarktführer auf diesem Gebiet.

Von diesem Weg, der ihn nach Harvard, Stanford, Tokio und an viele andere Orte führte, sowie von Begegnungen mit Peter Drucker, Philip Kotler, Marvin Bower (McKinsey) oder Unternehmer Hans Riegel berichtet er in seiner Autobiografie. --> Jetzt kaufen


Hermann Simon, Zwei Welten, ein Leben. Vom Eifelkind zum Global Player. Campus, 352 S., € 32,90


Das Interview ist ursprünglich in der trend.PREMIUM-Ausgabe 48/2018 vom 30. November 2018 erschienen.

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