Alois Czipin über die Leichtigkeit des Seins

Consulter Alois Czipin erklärt, warum er trotz schlechter Erfahrungen, die er vor 20 Jahren machte, jetzt zum zweiten Mal sein Unternehmen verkauft habe.

Alois Czipin

ALOIS CZIPIN, Consulter mit dem Schwerpunkt Produktivität, teilt in der trend-Serie "BusinessCLASS" seine Erfahrungen.

IM MAI 2000 befinde ich mich auf der Harvard Business School, um mein Wissen auf den letzten Stand zu bringen. Einige Jahre zuvor hatte ich entschieden, dass es höchste Zeit ist, zwei Jahrzehnte nach meiner Graduierung an der Wirtschaftsuni Wien wieder die Schulbank zu drücken. Die Sache wird zu einem Erlebnis der besonderen Art, denn ich komme mit einer Welt in Berührung, die für mich ganz neu ist.

Neben der Bearbeitung von "Case Studies" höre ich rechts und links Geschichten, die mich elektrisieren. Ein junger Japaner erzählt mir, dass er gerade sein Telekom-Unternehmen um mehr als 100 Millionen Dollar verkauft hat. Ein anderer, dass er ein Angebot über 300 Millionen auf dem Tisch liegen habe. Wenn ich auch die Beträge nicht so recht glauben will, so wird mir doch klar, dass Firmen einen echten Wert darstellen, den man auch lukrieren kann. Und langsam beginnt in mir die Idee zu keimen, dass auch meine Firma einen großen Wert darstellt, den auch ich realisieren könnte. Zurück in Wien erzähle ich meiner Frau über meine Erkenntnisse. Und sie ist von dieser Idee noch wesentlich begeisterter als ich.

Gegen Ende 2000 beginne ich mit einem M&A-Berater die Suche nach einem möglichen Käufer. Unsere erste "Long List" ist gleichzeitig die "Short List" und umfasst genau vier Unternehmen. Die ersten drei winken gleich ab, aber die vierte Firma beißt an. Es handelt sich um meinen ersten Arbeitgeber, den britischen Consulter Proudfoot.

Enttäuscht und verbittert habe ich 16 Jahre zuvor dieses Unternehmen verlassen und mein eigenes gegründet. Der damalige CEO hatte mir in seiner Rage ob meiner Kündigung folgenden Ratschlag mitgegeben: "Al, if you are so goddamn smart, found your own company and then sell it back to us!" Und genau das passiert jetzt. Es kommt ein Angebot auf den Tisch, das mir den Atem stocken lässt. Ich gerate in einen emotionalen Taumel, der mir den Blick auf das Ganze verstellt.

Denn das Ziel der Transaktion ist darauf ausgerichtet, mein Unternehmen zu integrieren: ohne Wenn und Aber. Mir wird nur der Titel eines "Vice President" mit keiner echten Verantwortung angeboten - aber ich schlage ein. Bis zuletzt wird um jeden Euro in fast schon feindseliger Atmosphäre gefeilscht. Trotz schlechtem Bauchgefühl unterschreibe ich das Vertragswerk unter dem Motto "Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann".


Verkaufe, solange du noch weiter mitarbeiten willst und kannst

Zwei Wochen später weiß ich, dass das ein Fehler war, ein Jahr später verlasse ich "mein Unternehmen" mit blutendem Herz, leide wie ein Hund und gründe einige Monate danach wieder eine Beratungsgesellschaft.

SOMMER 2020: Nach dem ersten Lockdown-Schock schnaufen wir bei einem Kurzurlaub in Kroatien durch. Und wieder ist es meine Frau, die mich auf die Idee bringt, meine zweite Firma zu verkaufen. Sie macht mir klar, dass ich auf den 65. Geburtstag zusteuere und weit und breit kein Nachfolger in Sicht ist. "Verkaufe, solange du noch weiter mitarbeiten willst und kannst!" Nach einigem Überlegen rufe ich meinen ehemaligen M&A-Berater wieder an. Ich gebe ihm zwei Dinge auf den Weg mit: Ich suche einen Partner, der mich in verantwortlicher Stellung in Österreich weiter arbeiten und den Markennamen und die Markenidentität weiter bestehen lässt.

Die "Long List" umfasst diesmal 33 Namen und die "Short List" wieder vier. Wir fliegen am Höhepunkt der Lockdowns kreuz und quer durch Europa. Und werden fündig: bei Efeso in Paris - einem global tätigen Beratungsunternehmen, das auch in Österreich seine Präsenz verstärken will. Die Gespräche verlaufen in sehr wertschätzender Atmosphäre. Die Due Diligence verlässt niemals den Boden gegenseitigen Respekts.

Trotzdem werde ich von Tag zu Tag immer unruhiger, je näher der unwiderrufliche Verkauf "meiner" Firma rückt, der wie ein Damoklesschwert über mir schwebt. Ich wälze mich nachts schlaflos in meinem Bett. Ich habe Angst, dass sich das gleiche Schicksal wie mit Proudfoot wiederholt. Da erinnere ich mich an einen geistlichen Begleiter, der mir schon in einigen schwierigen Situationen geholfen hat. Einen Tag vor Vertragsabschluss suche ich ihn auf. Er hört mir aufmerksam zu und gibt mir dann folgenden Rat: "Unterschreibe nur, wenn es dir leicht fällt!"

Die folgende Nacht schlafe ich wie ein Stein. Und nachdem der Notar zwei Stunden lang den Kaufvertrag vorgelesen hat, unterschreiben meine Frau und ich ganz leicht. Und ich hoffe, dass diese Leichtigkeit anhält.


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