Alois Czipin: Den Betriebsrat ins Boot holen
Unternehmensberater Alois Czipin berichtet über Immer wieder scheiternde Veränderungen am mittleren Management. Ein Schulterschluss mit der Belegschaftsvertretung kann dagegen helfen.
Alois Czipin, Czipin Produktivitätssteigerungs-GmbH
FREIER FALL. Mitte der 90er-Jahre treffe ich bei einem "Cold Call" einen Neounternehmer. Er hat ein Jahr zuvor mit einem Management-Buy-out ein ehemals staatliches Unternehmen übernommen.
Zum Zeitpunkt der Übernahme standen die konjunkturellen Vorzeichen auf Grün, was sich dann aber fundamental änderte. Die Auslastung und damit die Preise befinden sich im freien Fall. Der Forecast für das laufende Geschäftsjahr kündigt ein tiefrotes Ergebnis an: minus zehn Prozent vom Umsatz.
Es reicht nicht mehr, in der Zentrale den Finanzbedarf anzumelden.
Schon im ersten Gespräch öffnet der Unternehmer sein Herz und teilt mir unumwunden seine Sorgen mit. Er selbst kennt das Unternehmen als Manager schon viele Jahre, und darum überrascht ihn die Zyklizität dieser Branche nicht. Nur jetzt ist es anders: Denn es reicht nicht mehr, die Konzernzentrale anzurufen und kurzfristigen Finanzbedarf anzumelden. Nun hat er es mit Banken zu tun, bei denen er sich zur Einhaltung von Covenants (Eigenkapitalquote etc.) verpflichtet hat. Werden diese nicht eingehalten, was aufgrund der Prognosen sicher scheint, sind die Banken berechtigt, die Kredite fällig zu stellen. Dringender Handlungsbedarf ist angesagt.
Wir beginnen umgehend mit der ersten Analyse. Neben operativen Erhebungen widme ich mich selbst den Zahlen der letzten Jahre. Der Vorteil des ehemals verstaatlichten Unternehmens liegt darin, dass Zahlen in Hülle und Fülle vorhanden sind. Über zehn Jahre hinweg fällt mir auf, dass in Zeiten von Hochkonjunktur das Ergebnis maximal zehn Prozent vom Umsatz beträgt, während bei schlechter Konjunktur ein Minus von zwölf Prozent eingefahren wurde, bei relativ stabilen Personalkosten.
Die Vorstellung des Neoeigentümers ist, dass in Zukunft in der "Talsohle" ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt werden soll. Damit ist für mich und mein Team die Aufgabe klar: Wir müssen ein Kostenpotenzial von mindestens 15 Prozent finden und dann auch umsetzen.
Wir gehen ins Detail: An den Strangpressen zur Fertigung von Metallprodukten zeigt sich, dass sowohl die Personalbesetzung zu üppig als auch der Wirkungsgrad der Anlagen viel zu niedrig ist. In der Weiterverarbeitung finden wir, dass die Abteilungen fixe Besetzungen haben, woraus sich hohe Leerzeiten ergeben. Der Einkauf wird von den technischen Abteilungen vielfach übergangen, was dazu führt, dass Einkaufspreise tendenziell zu hoch sind.
Darüber hinaus mangelt es an bereichsübergreifender Kommunikation - basierend auf klaren Daten und Fakten. Wir kommunizieren unsere Ergebnisse sehr breit: mit Mitarbeitern, Führungskräften und dem Betriebsrat. Die Reaktionen sind gemischt. Besonders das mittlere Management argumentiert vehement dagegen.
Mit dem Topmanagement schaffen wir eine tragfähige Vertrauensbasis. Resultat der langen Gespräche: Personalkürzungen um 15 Prozent durch Abbau der "Planstellen", Umsetzen von technischen Maßnahmen zur Erhöhung des Wirkungsgrades der Pressen und anderer Schlüsselaggregate und verbesserte Abläufe im Einkauf zur Erzielung besserer Preise. Unsere Rechnung zeigt, dass damit die Kosten im besten Fall um 20 Prozent gesenkt werden könnten. Die Vorgabe unseres Auftraggebers lautet, auch das mittlere Management ins Boot zu holen.
Das Killerargument
Das erweist sich als die größte Schwierigkeit. Wir erstellen gut durchdachte Vorschläge zur effizienteren Besetzung von Maschinengruppen. Wir schaffen es aber nicht, das mittlere Management von der Machbarkeit der Vorschläge zu überzeugen. Die Mauer der Ablehnung ist sehr hoch. Wir machen Probeläufe, die zum Großteil gut funktionieren, aber trotzdem keinen Meinungsumschwung bewirken.
Das Hauptargument lautet, dass bei der derzeit geringen Auslastung vieles möglich ist, aber bei Vollbetrieb die Produktion zusammenbrechen würde. Gegen dieses Killerargument sind wir machtlos.
Da kommt mir die Idee, zu versuchen, den Betriebsrat ins Boot zu holen. Wir beginnen Gespräche, die von Beginn an sehr konstruktiv verlaufen. Natürlich ist der Betriebsrat nicht begeistert, Arbeitsplätze zu reduzieren, wir können ihn aber von der Machbarkeit der meisten Vorschläge überzeugen.
Damit ist der Bann gebrochen: Auch der Unternehmer ist jetzt bereit, die Umsetzung zu wagen. Und es werden auch einige überfällige Neubesetzungen im Bereich des mittleren Managements vorgenommen. In der nächsten Hochkonjunkturphase zeigen sich die positiven Effekte der Restrukturierung: Das Unternehmen erwirtschaftet Ergebnisse von 20 Prozent des Umsatzes und wird einige Jahre später erfolgreich an einen strategischen Investor verkauft.
Der Beitrag ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 14.10.2022 entnommen.