„Wir sollten lernen, die Digitalisierung ernst zu nehmen“
Otto Schell, Vorstand IoT-/Business Transformationen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DASG), gilt als Vordenker in Sachen Digitaler Transformation. Seine Ansätze wirken dabei bisweilen radikal.
Otto Schell, Vorstand IoT-/Business Transformationen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DASG)
trend:
Herr Schell, was bringt und die Digitale Transformation?
Otto Schell:
Ich denke, dass Digitalisierung für uns nicht nur von Nutzen ist, weil wir damit Geld verdienen, sondern auch weil wir nachhaltig arbeiten müssen. Wenn wir aber über Digitalisierung reden, dann reden wir oft immer noch davon, die eigenen Geschäftsprozesse zu optimieren. Was fehlt ist der gesamtheitliche Blick. Wenn wir sehen, wie unsere Ressourcen aufgefressen werden, obwohl wir ständig wachsende Nachfolgegenerationen haben, dann sollten wir langsam anfangen Digitalisierung ernst zu nehmen.
trend:
Digitale Transformation auch für die Gesellschaft?
Schell:
Für mich ist das Social Arcitecture. Stellen wir uns mal vor, wir haben wirklich 30 Millionen autonom fahrende Fahrzeuge, zudem natürlich viel mehr gehört, als nur ein selbstlenkendes Auto. Denn auch Städte, Infrastrukturen und Straßen müssen verbunden werden. Aber möglicherweise stehen wir dann vor der Situation, dass nicht mehr Millionen Fahrzeuge gebaut werden müssen. Stattdessen werden wir die Fahrzeuge auslasten, die auf der Straße sind. Das ist ressourcensparend. Aber auch völlig konträr zu den Geschäftsmodellen , die wir derzeit haben. Wir müssen uns also Gedanken darüber machen, wie wir diese Transformation hinbekommen.
trend:
Unternehmen haben sicher einen anderen Blick auf die Dinge…
Schell:
Natürlich. Für Unternehmen geht es um die Abarbeitung der Aufträge. Uns geht es ja nach außen hin sehr gut, aber für mich ist das ein Zeitraum-bezogenes Thema. Wenn die Auftragsbücher mal nicht mehr gut gefüllt sind, dann nützt es nichts den Markt noch Mal abzufragen, denn da ist dann schon jemand. Das muss man in Zeiten von IoT lernen: Es gibt keine Reaktionszeiten mehr. Das ist eine Tatsache, die uns in Zukunft noch stark beschäftigen wird.
trend:
Für viele KMU ist die Digitale Transformation ein Thema, das sie verunsichert…
Schell:
Ich glaube, dass viele Unternehmen sich überfordert fühlen. Ich glaube man muss sich mit den Unternehmen – vor allem auch mit den kleinen – einfach mal vor eine weiße Wand setzten und ihnen erklären, dass sie die gleichen Probleme haben, wie die etwa die großen Automobilbauer, die beispielsweise durch Tesla herausgefordert werden, das all diese schicken Autos baut, die aber am Ende des Tages dann doch auch nur vier Räder haben, Ich glaube, sie brauchen einfach nur ein paar Gespräche mit Menschen wie uns, damit sie erkennen, wie nahe sie bereits an der Umsetzung dran sind. Ein viel größeres Problem ist es, die Unternehmen zur Zusammenarbeit zu bewegen…
Viele Unternehmen fühlen sich überfordert.
trend:
Warum sollten sie das tun?
Schell:
Weil sie auf die Zusammenarbeit angewiesen sind. Stellen Sie sich zwei kleine Maschinenbauer vor, die eine gemeinsame Plattform schaffen, wo sie ihre Anlagendaten austauschen. Wenn der eine Unterlastung hat, dann kann der die dem anderen anbieten, um gemeinsam Aufträge abzuwickeln. Nichts anderes tun große Unternehmen auch, um beispielsweise ihre Roboterstraßen zu amortisieren. Das kann man auf kleine und mittelständische Unternehmen übertragen. Man muss ihnen sagen: Fangt an Konsortien und gemeinsame Vertriebskanäle zu schaffen, alleine werdet ihr es nicht schaffen.
trend:
Geschäftsgeheimnisse herauszugeben ist aber nicht jedermanns Sache. Könnte darin nicht bereits der Kern des Scheiterns liegen?
Schell:
Nein. Sie kennen das neue Schlagwort digitaler Zwilling. Es bedeutet: Alles was physisch vorhanden ist, ist auch digital vorhanden. Das eröffnet ganz neue Steuerungsmöglichkeiten. Und es macht den Menschen sehr schnell transparent, dass man eigentlich kein Geschäftsgeheimnis nach draußen gibt, sondern vielmehr ein Business-Modell schafft, um sie voll auszulasten.
trend:
Wie kann die DSAG die Kommunikation zwischen den Unternehmen anstoßen?
Schell:
Wir müssen den Begriff SAP erstmal klein schreiben oder ganz außer Acht lassen. Wir haben mehr als 3500 Unternehmen mit denen wir zusammenarbeiten, genauso wie mit unterschiedlichen Verbänden. Letztendlich müssten wir hier einen regelrechten Roll-out machen. Mit Abendessen oder Business-Frühstück, einfache, lockere Runden, bei denen man sich nicht über irgendein Software-Produkt unterhält, sondern das Thema Digitalisierung in den Raum wirft und sich dann darüber unterhält, was KI oder auch Blockchain für die Themen bedeutet. Denn das ist auch für die kleinen Unternehmen relevant. Um auf unser Problem von eben zurückzukommen: Mit einer Blockchain kann man beispielsweise sicherstellen, dass der Partner wirklich nur über die Auslastung der Maschine informiert wird und sonst nichts.
Man kann dem Mensch sinnvolle Aufgaben geben.
trend:
Stehen wir also noch am Anfang des Transformationsprozesses?
Schell:
Ja, das glaube ich. Viele Unternehmen sind beim Thema Digitalisierung noch in der Awareness-Phase, nur ganz wenige haben den digitalen Transformationsprozess schon hinter sich. Wir schleppen ja auch noch eine Art Historie mit. Die Unternehmen haben ihren Bestand, den sie in diese neue Welt bringen müssen. Die Manager müssen das Unternehmen neu aufstellen, es dazu bringen, dass es darüber nachdenkt, was es mehr kostet, wenn die nächste Lagerhalle mit digitalem Equipment ausgerüstet wird und dafür ausgelegt wird, dass Roboter durchlaufen können. Es geht hier um kleine Schritte, um Optimierung der Landschaften.
trend:
Ich habe von Ihnen gelesen, dass Sie Digitalisierung immer ohne die Menschen denken. Machen Sie da nicht die Rechnung ohne den Wirt?
Schell:
Nein. Wenn wir jetzt projizieren wollen, wo die Welt hingehen kann, dann müssen wir so offen denken wie nur möglich, um auch die Grenzen so weit zu setzen wie nur irgend möglich und uns nicht von vorne herein einzuschränken. Wenn ich auf der Hannover-Messe bin und sehe, dass seit Jahren irgendwelche Lösungen um Menschen herum gebaut werden, nur um den Menschen drin zu halten, dann denken wir nicht weit genug. Es gibt genug Beispiele aus China oder anderen aufstrebenden Ländern, die sagen: Da machen wir uns erstmal keine Gedanken. Dort plant man gleich von Anfang an anders.
trend:
Letztlich müssen Sie doch irgendwann die Menschen wieder einbeziehen…
Schell:
Das stimmt. Ich glaube, wir müssen offen denken, die Regeln setzen. Dann sehen wir, wie die Projektion aussehen kann – und dann holen wir die Menschen wieder zurück. Wenn wir das nicht machen, verlieren wir Wettbewerbsvorsprung. Es macht keinen Sinn, einem Menschen einen unnützen Handschlag in einer Roboterstraße machen zu lassen, nur damit er weiter beschäftigt ist. Man kann diesem Menschen doch auch eine sinnvolle Aufgabe geben. Oder muss man sich über Ausgleichssysteme wie etwa das bedingungslose Grundgehalt Gedanken machen. Auch so ein Gedanke übrigens, der nur entsteht, wenn man offen denkt.
Die Aufgabe der Menschen wird viellelicht sein, neue Chancen und Möglichkeiten zu generieren.
trend:
Es gibt aber insbesondere unter Handwerkern eine ganze Reihe von eher konservativen Menschen, die ihnen bei diesen Denkmodellen nicht zustimmen werden. Wie bekommt man die ins Boot?
Schell:
Auch für Handwerker werden sich die Aufgaben ändern. Vielleicht muss ein Elektriker in ein paar Jahren keine Leitungen mehr legen, weil der 3D-Druck bereits alles vorbereitet hat. Aber sicher wird es jemanden geben müssen, der dies plant. Oder nehmen Sie den Mechatroniker. Das ist ein Beruf den es vor ein paar Jahren noch gar nicht gab. Auch an anderer Stelle wird es Umbrüche geben, etwa bei den Banken. Prinzipiell könnte jede statische Abfolge, die mit Regeln versetzt ist, abgelöst werden. Diese Aufgaben kann man programmieren. Trotzdem kann man jemanden brauchen, der die Regeln festlegt. Der Transfer von Know-how in diese neuen Landschaften wird eine der Arbeitsaufgaben der Zukunft sein. Was aber auch bedingt, dass wir neue Wege für Ausbildung und Lehre finden müssen. Die Aufgabe der Menschen wird in Zukunft vielleicht sein, aus bestimmten Datenmustern neue Chancen und Möglichkeiten zu generieren, und nicht ein Problem im Ablauf zu finden.
trend:
Welche Rolle spielen KIs in diesem Szenario?
Schell:
Ich habe ein iPhone und gegen das was Siri kann, ist das, was wir in der Industrie einsetzen gleich Null. Siri kann sich auf mich einstellen, findet E-Mails mit Namen und Telefonnummer und recherchiert für mich im Web – das ist schon mehr künstliche Intelligenz, als wir in den nächsten fünf Jahren in der Industrie einführen werden. Es ist also eigentlich schon alles da, aber weil wir in bestimmten Abläufen trainiert sind, tun wir uns schwer, etwas fallen zu lassen.
trend:
Müssen wir vor KIs fürchten?
Schell:
Ob Sie es wollen oder nicht: Es wird immer Menschen geben, die versuchen werden, mit dieser Technologie Geld zu verdienen. Diese Menschen werden deshalb keine Hemmung haben, sie auch einzusetzen. Um mit Bill Gates zu sprechen: Wir müssen akzeptieren, dass es kommt.